Vollendet veredelter Schweizer Kaffee
Kaffeeröstmeister müssen über ein feines Näschen verfügen
Kaffee hat hierzulande eine grosse Bedeutung. Für viele Menschen ist er unverzichtbar. Doch ohne die Kaffeemacher der vielen Röstereien wäre das «Schwarze Gold» wertlos.
In kaum einem Land ist Kaffee so beliebt wie in der Schweiz. Er ist für Millionen von Menschen der Treibstoff, ohne den ein gelungener Start in den Tag undenkbar wäre. Um dieses Grundbedürfnis zu befriedigen, braucht es aber nicht nur gute Kaffeebohnen, sondern auch Röstereien, die sie veredeln. Sie sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Mehr als 150 gibt es aktuell, Tendenz steigend. Die älteste davon befindet sich seit über 260 Jahren in St. Gallen und heisst Turm Kaffee. Wer sie besucht, muss zunächst eine kleine SB-Tankstelle passieren. Wenige Meter dahinter können dann auch die Sinne auftanken. Zunächst der Geruchssinn, der mit einem herrlichen Duft von frisch geröstetem Kaffee umschmeichelt wird. Und schliesslich der Geschmackssinn beim Genuss eines perfekt zubereiteten Espressos, den Roger Bähler offeriert.
Der Geschäftsführer von Turm Kaffee entscheidet sich für einen Americano und verrät, was sein Unternehmen seit 1761 so erfolgreich macht. «Es sind mehrere Schlüsselfaktoren: gute Maschinen, hochwertiges Rohmaterial und Menschen, die ihr Handwerk verstehen und mit Begeisterung ausüben.» Gemeint sind damit vor allem die fünf ausgebildeten Röstmeister. Jeder von ihnen hat seine Erfahrung und sein Wissen, das er beim Veredelungsprozess einbringt. Wie dieser Vorgang funktioniert, zeigt Bähler bei einem Rundgang. Er führt als erstes durch das Lager mit den 15 Rohsorten, die hauptsächlich aus Brasilien stammen und nicht länger als zwei Wochen in Säcken aufbewahrt werden, bevor die Verarbeitung beginnt.
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First und Second Crack
Zu diesem Zeitpunkt sind die Bohnen noch ungewohnt hell. Ihre charakteristisch braune Farbe erhalten sie erst nach 12 bis 16 Minuten Röstung bei 200 bis220 Grad. In dieser Zeit kommt es zum Aufplatzen der Bohnen, dem sogenannten «First Crack». Wird der Kaffee hell geröstet, endet danach das Rösten. Für besonders dunkle Röstungen wartet man hingegen den «Second Crack» ab.
Gerade ist eine Röstung abgeschlossen. Vorsichtig entnimmt Roger Bähler eine kleine Kostprobe.«Riechen Sie einmal, aber bitte nicht verbrennen», sagt er mit einem zufriedenen Lächeln. Man muss den heissen Bohnen gar nicht zu nah kommen, um den wunderbar aromatischen Duft wahrzunehmen. Test bestanden! Die Bohnen sind bereit für den nächsten Schritt und kommen über einen Trichter in einen grossen Behälter, um luftgetrocknet zu werden – und nicht etwa mit Wasser. Das ist laut dem Fachmann extrem wichtig für den guten Geschmack. Haben die Kaffeebohnen die richtige Temperatur erreicht, saugt eine Maschine sie wie Popcorn auf und befördert sie in Silos, um anschliessend frisch verpackt zu werden. «Wir rösten pro Stunde drei bis vier Chargen à 180 Kilogramm. Für jede davon gibt es eine Verköstigung, damit die Qualität stimmt», erzählt Bähler mit lauter Stimme, um gegen den Maschinenlärm anzukommen. Pro Jahr kommen an den beiden Produktionsstandorten inSt. Gallen und Schaffhausen geschätzt 600 bis800 Tonnen gerösteter Kaffee zusammen, womit man zu den zehn grössten Röstereien des Landes gehört. Genaue Zahlen gibt das Unternehmen allerdings nicht an, was in dieser Branche nicht unüblich ist.
Kaffeeanbau
Mit über 2 Millionen Hektaren Anbaufläche ist Brasilien der grösste Kaffeeproduzent der Welt. Die Schweiz verfügt nicht über die klimatischen Beding-ungen, um Kaffee anzubauen. Dennoch wachsen und gedeihen auch hierzulande Kaffeebohnen. Allerdings nur in Tropenhäusern, zum Beispiel in Frutigen BE. Dort erfahren Besucher auf einem Kaffeepfad, wie die Kirsche in die Tasse kommt. Kaffeemischungen mit zehn Prozent des Frutiger Kaffees werden im dortigen Shop verkauft.
tropenhaus-frutigen.ch
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Rösten trotz Beeinträchtigung
Szenenwechsel. Wir befinden uns mittlerweile im Mahlwerk 23, einer kleinen Rösterei im aargauischen Staufen bei Lenzburg. Sie gehört zur Stiftung Orte zum Leben, die Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen eine Tagesstruktur und Perspektive bietet. Die Unterschiede zu Turm Kaffee könnten kaum grösser sein. Zumindest, was die Zahlen betrifft. Hier rösten zweimal pro Woche eine verantwortliche Rösterin zusammen mit einem beeinträchtigten Klienten 15 Kilogramm Rohkaffee pro Röstgang. Damit komme man ungefähr auf fünf Tonnen im Jahr, sagt Mirjam Koch, die Abteilungsleiterin Hauswirtschaft. Ein Fünftel davon ist Eigenbedarf für die Kantinen. Die andere Hälfte produziere, verpacke und versende man für Masaba Coffee, ein Tessiner Projekt in Uganda, das über 7000 Bauern die Ausbildung und Mittel ermöglicht, um Fair-Trade-Kaffee anzubauen.
«Heute wird viel mehr auf hochwertige Kaffeequalität geachtet.»
«Private Kontakte zu Masaba sind auch der Grund dafür, dass wir 2019 die Rösterei eröffnet haben», sagt Daniel Schneeberger, Bereichsleiter Arbeit. Er ist dafür verantwortlich, dass aus der zunächst angedachten logistischen Kooperation die Gründung einer Rösterei wurde. Um diese fachgerecht zu betreiben, kam für Schulungen extra ein Profiröster aus dem italienischen Monza vorbei. «Er ist einer der besten seines Fachs. Zumindest hat er das behauptet», sagt Schneeberger und schmunzelt. Der Röstprozess läuft ähnlich wie in St. Gallen ab, nur in einem kleineren Rahmen. Apropos klein: Das Mahlwerk 23 verfügt zusätzlich zur Haupttrommel auch noch über eine Mini-Röstmaschine im gleichnamigen Café. Sie kommt vor allem für Showröstungen vor Publikum zum Einsatz.
Mittlerweile beherrschen Mirjam Koch und Daniel Schneeberger dieses Handwerk selbst. Und zwar so gut, dass sie dabei sind, Events aufzubauen, an denen man beim Rösten dabei sein kann. Zuvor möchten sie aber am 18. Juni noch das Mahlwerk 23 offiziell einweihen. Das war bisher coronabedingt nämlich noch nicht möglich.
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Nachhaltigkeit und Fairness
Zurück bei Turm Kaffee in St. Gallen. Auch hier führt man einem Publikum Röstungen vor. Und nicht nur das. Es gibt sogar zwei betriebseigene Barista Academies, in den Konsumentinnen und Konsumenten ihre Kaffeekenntnisse vertiefen können. Das Angebot reicht von zweistündigen Schnupperkursen bis zu mehrtägigen Zertifizierungskursen. «Das Wissen über Kaffee ist zentral. Wenn man das erlernt hat, ist es möglich, Leute zu begeistern und gemeinsam ein Kaffee-Erlebnis zu zelebrieren», ist Roger Bähler überzeugt. Seiner Meinung nach machen 70 Prozent eines perfekten Kaffees allein die Handhabung und Zubereitung an der Kaffeemaschine aus. Selbst der viel gescholtene Filterkaffee könne so zu einer wahren Geschmacksexplosion führen. Wobei diese Zubereitungsart ohnehin deutlich besser als ihr Ruf sei. Gelitten habe dieser, sagt Bähler, zu Grossmutters Zeiten, als qualitativ guter Kaffee Mangelware gewesen ist und es sich bei der Zubereitung häufig um sogenannten Ersatzkaffee gehandelt hat.
Ersatzkaffee
Ersatzkaffee, umgangssprachlich auch Muckefuck (aus dem Französischen «Mocca faux», also falscher Kaffee) genannt, wird nicht aus Kaffeebohnen, sondern aus Getreidesorten wie Gerste oder Roggen und der Pflanze Zichorie hergestellt. Er ist daher koffeinfrei. Getrunken wird er vermutlich bereits seit Mitte des 15. Jahrhunderts, wobei er in Europa vor allem zu Kriegszeiten eine hohe Bedeutung hatte, da es praktisch keinen normalen Kaffee gab.
Heute werde viel mehr auf hochwertige Kaffeequalität geachtet. Und nicht nur das. Mindestens genauso wichtig ist für viele Kaffeetrinker auch, dass ihr gekauftes Produkt nachhaltig produziert und fair gehandelt wurde. «Das sind wichtige Bestandteile unserer Unternehmenskultur», betont Bähler. «Wir kennen die Kaffeebauern teilweise persönlich und praktizieren mit ihnen einen warmen Händedruck. Sehr am Herzen liegt uns auch die Förderung und Unterstützung von Frauen und Jungkaffeebauern.»
Ein weiterer Eckpfeiler der Nachhaltigkeitsstrategie ist das Sortiment an biozertifizierten Premiumkaffees. Dafür nehme man deren Herkunft und Anbaumethoden genau unter die Lupe. «Der Anbau in Monokulturen, die maschinelle Ernte und die Verwendung von Pestiziden haben im modernen Kaffeeanbau keinen Platz», sagt Bähler. Genauso wichtig sei es beim Transport, dem Lieferanten und beim Verpackungsmaterial auf Umweltverträglichkeit zu setzen. Selbst der Einwand, dass die Firma auch Kaffeekapseln verkaufe, die häufig als unökologisch kritisiert werden, kann Bähler nur teilweise gelten lassen. «Wir haben mittlerweile auch Kapseln, die zu 100 Prozent biologisch abbaubar sind.» Mit diesem beruhigenden Wissen schmeckt die zweite Tasse Kaffee gleich noch besser.
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