Mönche seien es gewesen, die ihn auf die Idee gebracht hätten, erklärt Manfred Steffen. Während er spricht, steuert er mit seinem weissen Suzuki über die Landstrasse im Grenzgebiet zwischen den Kantonen Bern, Luzern und Aargau. Am Rückspiegel baumelt ein kleiner Plüschfisch, der in jede Kurve liegt. Vorne taucht das Kloster St. Urban aus der hügeligen Landschaft auf. Mit seinen hohen Türmen und der weissen Fassade wirkt es etwas gar imposant für das ländliche Idyll. «Die Zisterziensermönche lebten nach strengen Ordensregeln», erklärt Steffen. «Mit Ausnahme von Vögeln durften sie kein Fleisch von warmblütigen Tieren essen, und zwar nicht nur zur Fastenzeit.» Also setzten sie auf Fisch.

Rund um das Kloster habe es damals grosse Teichanlagen gegeben. Karpfenzuchten, die dem leiblichen Wohl der Ordensbrüder dienten. Doch die Regeln im Kloster wurden mit der Zeit gelockert, die meisten Teiche verschwanden mit dessen Aufhebung 1848. Ab und an ist heute noch ein alter Damm zu sehen. «Ich habe mich immer für die Umweltgeschichte der Region interessiert», sagt der Ökologe und Umweltwissenschaftler, der selber in St. Urban aufgewachsen ist. «Insbesondere die Teiche haben mich fasziniert, weil sie so tolle Lebensräume sind für Tiere und Pflanzen.» Deshalb wollte er die fast vergessene klösterliche Tradition wieder aufleben lassen.

Steffen begann sich im Verein «Lebendiges Rottal» zu engagieren; benannt ist dieser nach dem Flüsschen Rot, das sich zwischen Langete und Wigger in Richtung Aare schlängelt. Er liess sich in Deutschland von grossen Teichlandschaften und Karpfenzuchten inspirieren, überzeugte seine Vereinskolleginnen und-kollegen, einen ersten Teich anzulegen, und importierte junge Karpfen aus dem nördlichen Nachbarland. «Der Aischgründer Spiegelkarpfen ist eine uralte Rasse», erklärt er heute. «Hier in der Schweiz gibt es kaum mehr reine Karpfenformen, die haben sich völlig vermischt.» 2004 wurde der erste Karpfenteich fertiggestellt, im Jahr darauf kamen die jungen Fische rein. In der Zwischenzeit wurde der Verein «Karpfen pur Natur» gegründet. Weitere Teiche kamen hinzu, insgesamt sind es bis jetzt acht. Ein neunter ist im Bau und weitere sind in Planung.

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Eine Chance zur Erneuerung

In Pfaffnau LU biegt Steffen von der Hauptstrasse an den Waldrand ab. Hier liegt der Grüenbodeweiher,angelegt 2008. Sein Wasserstand ist noch tief, denn er wurde erst im letzten Herbst abgefischt und abgelassen. Karpfen sind noch keine im Teich, die sollen diesen Herbst eingesetzt werden. Dafür ist der Teichgrund übersät von schwarzen Kaulquappen. «Das sind alles Erdkröten», sagt der Experte. Die Grasfrösche sind Mitte Mai schon voll entwickelt. Aus dem Schilf quaken laut die Wasserfrösche. Sie alle, aber auch die Libellenlarven, leben in diesem Frühling im Paradies, denn fischfreie Teiche sind hierzulande Mangelware. Mit einem frisch abgefischten und trockengelegten Teich bietet sich der Natur eine Chance, sich rundum zu erneuern. «Es können sogar wieder Pionierarten wie Gelbbauchunken und Plattbauchlibellen das Gebiet zur Fortpflanzung nutzen», sagt Steffen mit einem Strahlen im Gesicht.

Wobei, ergänzt er: «Die Karpfen fressen nicht alles.» Die Erdkrötenlarven etwa würden sie weitgehend verschmähen. «Denn diese sondern einen Stoff ab, den die Fische nicht mögen.» Bei der Frage, was denn das Lieblingsfressen der Karpfen sei, lacht er. «Vielleicht Zuckmückenlarven. Die sehen auch lecker aus. Ein bisschen wie Cannelloni für uns.»

Fische züchten und gleichzeitig die Biodiversität fördern, eigentlich widerspricht sich das ja. Schliesslich ernähren sich Karpfen von dem Kleingetier, das über den Teichgrund krabbelt und schwimmt. «Ich will auf keinen Fall, dass die Leute Fische in bestehenden Weihern aussetzen», sagt Ökologe Steffen mit Nachdruck. «Die Gewässer, die wir hier bauen, haben wir extra für die Fischbewirtschaftung geschaffen. Und wir bewirtschaften sie so extensiv, dass wir gleich-zeitig gewisse Amphibienarten fördern können.» Auf 10 Aren, sagt er, werden höchstens 35 Karpfen eingesetzt. Die fressen zwar ein bisschen etwas weg, aber sie lassen längst genug übrig, dass sich die Natur entfalten kann. «Und weil wir nach zwei Jahren wieder alle abfischen, vermehren sie sich nicht unkontrolliert.» Eigentlich würden die Karpfenweibchen erst im dritten Jahr geschlechtsreif. «Aber mit der Klimaerwärmung hat sich das geändert, und so haben wir meistens schon im zweiten Jahr Jungfische.»

Magere Böden für seltene Arten

Manfred Steffen geht um den Teich herum, ganz ohne nasse Füsse zu bekommen. Bei diesem niedrigen Wasserstand ist das möglich. Ein Betonwürfel ragt aus dem Wasser, der sogenannte Teichmönch. Er hat nichts mit dem Kloster St. Urban zu tun, vielmehr ist er quasi der Stöpsel für den Teich. Mit seiner Hilfe, ein paar Holzbrettern und Sägespänen zum Abdichten, ist es möglich, das kalte Wasser vom Teichgrund abzulassen und das warme Oberflächenwasser zu behalten. Denn: «Karpfen mögen warmes Wasser. Je wärmer, desto schneller wachsen sie.»

Ein paar Schritte weiter oben – hier gelangt das Wasser auch dann nicht hin, wenn der Teich voll ist – blühen Knabenkraut und Wundklee. Der Grosse Wiesenknopf ist noch unscheinbar. «Wenn er blüht, lockt er den Moorbläuling an, einen seltenen Schmetterling.» Steffen freut sich über die violetten Orchideen, die er selbst eingebracht hatte. Diese seien in einer nahen Wiese etwas zu früh gemäht worden, er jedoch konnte ein paar im Heu nachreifende Samenstände hier ausbringen. Die Blumen breiten sich inzwischen von selbst am Teichufer aus. «Wir arbeiten hier mit möglichst magerem Boden, entfernen den Humus», sagt Steffen. «So wächst das Gras weniger üppig und die Vegetationsdecke schliesst sich auch nach Jahren nicht vollständig. So können wir Arten fördern, die sonst kaum einen Lebensraum finden, weil die Böden überall zu nährstoffreich sind.»

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Ein grosser Steinhaufen soll Kleintieren eine Rückzugsmöglichkeit bieten. «Der Glögglifrosch mag so etwas zum Beispiel sehr.» Aber auch für Blindschleichen oder Käfer sei die steinige Unordnung geeignet. Insgesamt aber arbeite man zurückhaltend mit Steinen, so der Ökologe. «Die eingewanderte Mauereidechse nimmt stark zu und kann die seltenere Zauneidechse verdrängen. Deshalb setzen wir eher auf Totholz- und Sandhaufen und verzichten je nach Region ganz auf Steine.»

Die KarpfenzuchtJeweils im Herbst setzt der Verein «Karpfen pur Natur» junge Fische in die Projekt-Teiche. Zwei Jahre später sind sie, ohne zusätzliche Fütterung, gross genug und bereit zum Fang. Beim «Abfischen», einem gross angelegten Vereinsanlass, wird das meiste Teichwasser abgelassen, sodass die Karpfen mit einem langen Zugnetz zusammengetrieben und mit Keschern aus dem Wasser geholt werden können. Sie kommen schnellstmöglich in ein Wasserbecken, wo sie sortiert werden. Die schönen Jungfische kommen in einen neuen Teich, die restlichen sowie die ausgewachsenen Fische werden fachgerecht betäubt, getötet und zu Filets und Knusperli verarbeitet.
karpfenpurnatur.ch

Trittsteine zwischen Lebensräumen

Nach dem Rundgang will Manfred Steffen noch einen weiteren Teich präsentieren. Zurück im Auto erklärt er, dass es nicht bei den paar Karpfenteichen bleiben soll. Einzelne Lebensräume für seltene Tiere und Pflanzen seien ja schön und gut, aber noch besser wäre es, wenn sich Frösche, Kröten und Libellen auch von einem Teich zum nächsten fortbewegen könnten. Und zwischen diesen gäbe es einfach noch zu grosse Lücken. «Die Tiere können nicht in andere Gebiete wandern, wenn zwischen zwei Lebensräumen nur intensive Landwirtschaftsflächen liegen», sagt Steffen. «Ideal wäre es, wenn es alle paar Hundert Meter ein Laichgewässer für Amphibien gäbe, verbunden mit Feuchtwiesen und Säumen.»

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Deshalb hat Steffen das neue Projekt mit dem Namen «Teichperlenkette» ins Leben gerufen. Damit sollen «Trittsteine» entstehen, kleinere und grössere Teiche als eine Art Raststätte zwischen den Bestehenden.Interessenten dafür gibt es einige, was nicht selbstverständlich ist. Denn die Landbesitzer, die ihr Land für neue Teiche hergeben, sind oft Bauern, die dadurch auf Flächenbeiträge verzichten.

So auch das Ehepaar, das am Rand des Fluebergweihers in Melchnau BE ein Kürbisfeld pflegt. Der Weiher wurde auf ihrem Land neu gebaut und soll, wenn es mit der Bewilligung klappt, dieses Jahr zum ersten Mal mit Karpfen besetzt werden. Der Boden ist erst dünn bewachsen, Kies und Sand dominieren den Anblick. Doch das Leben hat längst Einzug gehalten. In einem winzigen Nebenteichlein motoren die Frösche mit einem vorbeifahrenden Auto um die Wette. Grosse Margeriten recken sich aus dem Kies in Richtung Sonne. Steffen rupft ein paar Stauden Einjähriges Berufkraut aus dem Boden: Die invasiven Neophyten will er hier nicht haben. Und am gegenüberliegenden Teichufer watscheln fünf junge Entlein ihren Eltern zur Schwimmstunde hinterher.

Manfred Steffens Freude über sein Werk ist ihm anzusehen. «Es steckt sehr viel Arbeit drin, bis eine Teichanlage steht», sagt er. «Irgendwann möchte ich die Entwicklung der Natur an den Teichen einfach geniessen.» Wie viele solcher Tümpel bis dann im Rottal entstehen sollen, könne er noch nicht sagen. Das Etappenziel wäre es, die bis jetzt geplanten Teiche zu bauen. Neben Tier- und Pflanzeninventaren ist er vor allem damit beschäftigt, das notwendige Geld dafür aufzutreiben. «Und wenn’s mal nicht klappt, verzichte ich auf mein Honorar», sagt er mit einem Schmunzeln. Das geht in Ordnung, signalisiert er. «Schliesslich ist das auch mein Herzensprojekt.»

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