Sylvan Müller, Sie kommen ursprünglich aus der Reportagefotografie. Wie und wann kam die Hinwendung zur kulinarischen Fotografie respektive das Interesse an Lebensmitteln und ihren Produzenten?

Es stimmt, nach meiner Ausbildung war ich erst als Reportagefotograf unterwegs. Danach arbeitete ich knapp 18 Jahre lang in Fotostudios in der Schweiz und in den USA. Vornehmlich setzte ich dort Aufträge für die Werbefotografie um. Foodfotografie (die fotografische Inszenierung von Lebensmitteln) spielte dabei eine grosse Rolle. Ich war also schon damals mit kulinarischen Aufnahmen beschäftigt, allerdings hatte ich ausschliesslich Esswaren aus der Lebensmittelindustrie vor der Linse. Zum Essen und Trinken hatte ich schon immer eine Affinität. Besonders gerne mag ich die sorgfältig von Hand hergestellten Produkte. 2011 habe ich mich für die Auflösung meines eigenen Fotostudios entschieden, ohne allerdings einen konkreten Zukunftsplan zu haben. Genau zu der Zeit kontaktierte mich Dominik Flammer, der als Koch, Journalist und Foodscout tätig ist, mit der Projektidee zum Buch «Das kulinarische Erbe der Alpen». Das war genau das richtige Fotoprojekt für den Start meiner Neuausrichtung.

Zur Person

Der Luzerner Sylvan Müller absolvierte eine Ausbildung zum Fotografen und war während vieler Jahre international als Reportage- und Studiofotograf tätig. Mittlerweile hat er sich vollkommen seiner Leidenschaft, dem Essen und Trinken, und den Geschichten, die daraus entstehen, verschrieben. Müller hat zahlreiche kulinarische Fotobände veröffentlicht und führt das Restaurant Jazzkantine in der Luzerner Altstadt, wo er auf regionale Produkte setzt.

sylvanmueller.ch
jazzkantine.com

Wieso haben Sie den Fokus gerade auf das kulinarische Erbe des Alpenraums gelegt?

Natürlich spielt die geografische Nähe eine Rolle. Der Alpenraum ist unser Zuhause, von dem wir glauben, es zu kennen. Doch vor unserer Haustür wartet eine faszinierende und teils in Vergessenheit geratenekulinarische Vielfalt auf uns. Für das Buch haben wir in sieben Ländern des Alpenraums mit sieben unterschiedlichen Kulturen gearbeitet. Und trotzdemstiessen wir auf unglaublich viele kulinarische Gemeinsamkeiten, die sicher auch den ähnlichen Lebens-umständen geschuldet sind. Es war uns ein Anliegen, diese Parallelen aufzuzeigen.

[IMG 2-3]

Wie haben Sie die porträtierten Produzenten ausfindig gemacht? Können Sie etwas über den Entstehungsprozess des Buches erzählen?

Das war ein Arbeitsprozess, der insgesamt knapp drei Jahre in Anspruch nahm. Wir haben als Erstes einen Themenkatalog erarbeitet und mittels historischer Recherchen herausgefunden, welche Produkte innerhalb dieser einzelnen Themenbereichen wie Getreide, Gemüse, Fisch oder Fleisch wichtig sind. Zwei bis drei Produzenten kannten wir bereits zu Beginn und diese waren als Akteure im Buch gesetzt. Oft erhielten wir von einem Porträtierten den Hinweis auf ein anderes spannendes Produkt. So begaben wir uns auf eine Entdeckungsreise, von der wir oft nicht genau wussten, wo sie uns hinführt. Genauso möchten wir die Leser einladen, sich auf eine Reise einzulassen, die vollkommen neue Horizonte eröffnet. Dieser Prozess ist für mich keineswegs abgeschlossen. Ich betreibe in Luzern ein Restaurant und bin dafür ständig auf der Suche nach neuen, spannenden und vor allem feinen Produkten.

[IMG 4-5]

Sie haben nicht nur Menschen, sondern auch Nutz-tiere alter Rassen porträtiert. Wie haben Sie diese Aufnahmen so ausdrucksstark hinbekommen? Und was waren die grössten Herausforderungen bei den Fotoshootings mit Kuh, Schwein und Co.?

Dazu muss ich sagen, dass ich seit jeher sehr gerne Tiere fotografiere. Wichtig ist natürlich, dass es nicht zu lange dauert, bis das Bild im Kasten ist. Ich habe jeweils eine schwarze Leinwand als Hintergrund mittransportiert und dann versucht, die Tiere davor zu platzieren. So kommen die Konturen gut zum Vorschein.

«Vor unserer Haustür wartet eine faszinierende, teils vergessene kulinarische Vielfalt.»

Die Tierrassen sind immer stark regional verankert. Das sieht man nur schon an ihren Namen wie Sulmtaler Huhn, Murnau-Werdenfelser-Rind oder Walliser Landschaf. Deshalb fand ich diese Porträts eine charmante Art der Visualisierung der Gebiete, wofür sie stehen. Die Tierfotos befinden sich im hinteren Teil des Buches, im Glossar. Diese Art Bilder schien uns optimal zur Auflockerung der dortigen Textwüste.

[IMG 6-7]

Auf traditionelle kulinarische Produkte und landwirtschaftliche Bräuche aufmerksam machen – was sonst möchten Sie über dieses Buch vermitteln?

Keinesfalls wollen wir mit dieser Publikation nur die Vergangenheit hochleben lassen. Wichtig ist, aufzuzeigen, was den Alpenraum kulinarisch geprägt hat und vor allem auch, welche Innovationen daraus entstanden sind. Diesen schmackhaften Produkten und innovativen Produzenten möchten wir eine Plattform bieten.

Die Porträtierten wirken allesamt sehr stolz auf ihr Werk. Welche Aussagen und Gefühle wollen Sie über die Fotos transportieren?

Tatsächlich sprachen wir während der Entstehung des Buches jeweils von unseren kulinarischen Helden. Ich finde die Würde, den Stolz, aber auch die Anstrengung und Eigenständigkeit der Arbeit darf man sehen. Denn diese Leute schaffen es, unter erschwerten Bedingungen tolle Produkte herzustellen. Keinesfalls wollten wir mit den Bildern einem Alpenkitsch verfallen. Die Menschen und ihre Arbeit nahmen wir sehr ernst, und das wollten wir über die Bilder vermitteln. Dazu braucht es gar nicht viel, nur die Reduktion auf das Wesentliche. Mit Anweisungen hielt ich mich sehr zurück. Das Wichtigste ist, dem Gegenüber zu zeigen, dass man sich viel Zeit nehmen kann. Dann entwickeln sich die spannendsten Dinge. Ich habe mich bei den Porträts bewusst an die historische Fotografie angelehnt, und die Produkte wollte ich so darstellen, dass sie wie die gezeichneten Abbildungen in alten Enzyklopädien wirken.

[IMG 8-9]

Wer oder was hat Ihnen am meisten Eindruck gemacht bei der Arbeit an diesem Bildband?

Generell die Leidenschaft und Hartnäckigkeit, mit der die Porträtierten ans Werk gehen. Persönlich habe ich eine Affinität zu einfachen Lebensmitteln. Deshalb finde ich die alten Bergkartoffelsorten, die Marcel Heinrich im Albulatal anpflanzt, super und verwende sie auch in meinem Restaurant, wenn immer möglich.

Wo lagen die grössten Herausforderungen bei diesem fotografischen Projekt?

Ich konnte mir viel Zeit nehmen und das ist dergrösste Luxus für ein solches Projekt. So verlief ehrlich gesagt das meiste reibungslos. Natürlich war dasWetter manchmal eine Herausforderung und die viele Reiserei konnte anstrengend sein.

Ihre letzten Bücher sind «Honig der Alpen» und «Japan – ein Kochreisefotobuch». Steht das nächste Fotoprojekt auch wieder im Bezug zur Kulinarik?

Ja, tatsächlich, ich bleibe dieser Thematik treu.Momentan arbeite ich an einem Projekt zu Innereien. Dabei handelt es sich um eine selbst geschriebeneKolumne, die ich mit eigenen Fotos illustriere. DasFilet reizt mich selten, faszinierend finde ich das Vergessene und Verpönte. Ich begebe mich stets auf die Suche nach dem Kleinen im Grossen.

[IMG 11]

schmökerecke
«Das kulinarische Erbe der Alpen»
Dominik Flammer (Text) und Sylvan Müller (Fotos), 368 Seiten, zahlreiche Abbildungen, AT Verlag.

In derselben Reihe sind erschienen: «Enzyklopädie der alpinen Delikatessen»; «Das kulinarische Erbe der Alpen – Das Kochbuch» und «Honig der Alpen».

 

Mehr spannende Artikel rund um Tiere und die Natur?Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 10/2022 vom 19. Mai 2022. Mit einem Schnupperabo erhalten Sie 6 gedruckte Ausgaben für nur 25 Franken in Ihren Briefkasten geliefert und können gleichzeitig digital auf das ganze E-Paper Archiv seit 2012 zugreifen. In unserer Abo-Übersicht  finden Sie alle Abo-Möglichkeiten in der Übersicht.

Jetzt Schnupperabo abschliessen

Zur Abo-Übersicht