Vor 40 Jahren wurde ProSpecieRara als Stiftung gegründet, mit dem Ziel, gefährdete Kulturpflanzensorten und Nutztierrassen in der Schweiz vor dem Aussterben zu bewahren. Kurz darauf wurde das Herzstück des Pflanzenbereiches angelegt – eine Samenbibliothek mit dem Saatgut seltener Pflanzen. Bibliothekarin Mira Oberer verwaltet heute Samen von rund 1700 Zierpflanzen, Gemüse- und Getreidesorten. Diese lagern in einem klimatisierten Container, in dem konstant eine Temperatur von 15 Grad Celsius und 15 Prozent Luftfeuchtigkeit herrscht. In den Gestellen reiht sich Plastikbox an Plastikbox. Darin sind die kleinen Papiertüten mit den Samen versorgt. Diese wurden von ihren «Herstellern» fein säuberlich beschriftet.

Ein Netzwerk aus Freiwilligen

Oberer kann auf ein grosses ehrenamtliches Team zählen. Aktuell ist es ein Netzwerk bestehend aus 600 Personen, die als Sortenbetreuerinnen gefährdete Pflanzen im eigenen Garten zum Blühen bringen und das gewonnene Saatgut in die Bibliothek zurücksenden. Viele vermehren über Jahre immer dieselben Sorten, mit denen sie sich bestens auskennen. Sie wissen, wie gesunde und dem Typus entsprechende Pflanzen und deren Früchte aussen müssen, und erkennen von Krankheiten oder Schädlingen veränderte Pflanzen, von denen natürlich keine Samen gewonnen werden sollen. Interessierte Personen müssen sich in einem halbtägigen Kurs zum Sortenbetreuer ausbilden lassen, bevor sie bei der Bibliothek Samen beziehen und einsenden können. So entsteht ein Kreislauf aus Saatgutproduktion und Pflanzenanbau. ProSpecieRara ist auf die Hilfe der ehrenamtlichen Gärtnerinnen angewiesen, denn die meisten Samen bleiben nur drei bis vier Jahre keimfähig. Um sie zu erhalten, muss das Saatgut also alle paar Jahre erneuert werden.

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Bei all diesen Samenversänden und -einsendungen ist es wichtig, die Übersicht zu bewahren. Dazu wurde eine Datenbank angelegt, in der akribisch jede Samenportion vermerkt wird, die von der Bibliothek empfangen wird oder sie verlässt. Beim Eingang werden die Samen kontrolliert und falls nötig gereinigt, um sicher zu gehen, dass die richtige Sorte ganz ohne Verunreinigungen oder Krankheitserreger eingelagert wird. In der Datenbank ist notiert, welche Sorten wo und von welchen Personen vermehrt werden. Jederzeit kann man auf Knopfdruck abrufen, von welcher Sorte welche Menge an Saatgut vorhanden ist und ob bei bestimmten Sorten dringend Nachschub benötigt wird. Einmal jährlich veröffentlicht ProSpecieRara eine Rote Liste mit Sorten, von denen aktuell wenig Saatgut vorhanden ist und die von den Sortenbetreuerinnen angebaut werden sollten.

Pflanzenvielfalt lebendig erhalten

Nach ein bis zwei Jahren, wenn die Vermehrung erfolgreich war, kann die Sorte wieder von der Roten Liste gestrichen werden. Das System, in dem Sorten im Umfeld, in dem sie entstanden sind, regelmässig angebaut und vermehrt werden, nennt man «in situ». Es hat den Vorteil, dass die Sorten und das Wissen um ihre Verwendung lebendig in den Köpfen und Herzen erhalten bleiben. Zudem können sie sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen und Resistenzen gegen Krankheiten oder Schädlinge bilden, da sie mit ihnen in Kontakt kommen. Der Aufwand ist relativ gross, da viele Leute als Sortenbetreuerinnen involviert werden müssen. Nur ein kleiner Teil der Samen wird von ProSpecieRara jeweils tiefgefroren in einem anderen Gebäude gelagert – als Notvorrat sozusagen.

Andere Samenbanken setzen voll auf dieses System, wie der weltweit grösste Saatgutspeicher für Nutzpflanzen auf Spitzbergen. Die Samenportionen werden dort im Permafrost gelagert, also «ex situ», das heisst,ausserhalb des natürlichen Umfeldes. Dies bringt die Gefahr mit sich, dass einzelne Pflanzen, nachdem sie jahrelang von der Umwelt abgeschnitten waren, in einem veränderten Umfeld gar nicht mehr gedeihen. Dennoch kann der dortige Tresor wertvoll sein, beispielsweise wenn wie im Syrienkrieg die Genbank eines Landes zerstört wird und man so auf das «Backup» zurückgreifen kann.

Eine Bibliothek zum Samentausch einzurichten, lohnt sich. Auf diese Art werden nicht nur Sorten, sondern auch das Wissen um ihren Anbau lebendig erhalten und vermehrt.

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