Schweizer Gärten, in denen viele Wildblumen stehen sind eher selten geworden. In dicht besiedelten Gebieten finden sich oft auf Hochglanz polierten Gärten. Doch es besteht Hoffnung: Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer achten rund ums Eigenheim bewusst darauf, die Tierwelt zu unterstützen und sich für die Biodiversität einzusetzen. Wildblumen-Experte Michael Burri erklärt im Interview, was für Vorteile ein biodiverser Garten bringt

 Herr Burri, wie steht es um die Biodiversität in der Schweiz?

Grundsätzlich ist jeder Quadratmeter wichtig und kann einen Beitrag zu mehr Biodiversität leisten. Dabei kommt es nicht nur allein auf die einzelnen Gärten darauf an, sondern auch auf die Umgebung rundherum. Eine Rolle spielt beispielsweise, ob umliegende Strukturen vorhanden sind, oder ob der Garten zwischen Wohnblöcken isoliert ist. Man kann sagen, dass Schweizer Gärten punkto Biodiversität nicht per se schlecht sind, aber noch viel Potential haben. Wenn jemand zum Beispiel einen Englischen Rasen hat, welcher aus wenigen verschiedenen Gräserarten besteht, zwanzig Mal geschnitten und regelmässig gedüngt wird, dann trägt dieser wenig zur Biodiversitätsförderung bei.

Können Sie Beispiele nennen, wie man Biodiversität in den eigenen Garten bringen kann?

Man kann einerseits schon viel erreichen, wenn man das Ganze ein wenig extensiviert. Das heisst, wenn man weniger Hilfsstoffe einsetzt – weniger düngen, weniger schneiden, weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen. Einen Rasen zum Beispiel kann man ohne grossen Einsatz einfach in eine für die Biodiversität wertvollere Fläche umwandeln. Wenn weniger geschnitten wird, wachsen automatisch die Gräser ein wenig höher, es entstehen spontan Blütenpflanzen und somit ein Lebensraum für pollensuchende Insekten. Zusätzlich bieten die entstehenden Strukturen Unterschlupf und Rückzugsgebiet für allerlei Insekten. Das ist sozusagen die einfachste Methode. Nicht die Natur sich komplett selbst überlassen, aber nur möglichst wenig. Es braucht ab und zu einen gezielten Eingriff.

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Wie viel Wissen wird dazu benötigt?

Nicht unbedingt viel. Man kennt den Begriff unter «Blackbox Gardening». Dabei experimentiert man mit einer Fläche:  An einem Ort macht man mal ein Jahr gar nichts, an einem anderen Ort pflanzt man etwas, am dritten Ort schneidet man regelmässiger. Und dann schaut und staunt man - sofort entstehen neue Strukturen und Pflanzengesellschaften. Es braucht eine differenzierte Pflege. Den ganzen Garten auf einmal mähen, wäre ein Fehler. Man kann also problemlos experimentieren und kreativ sein, um etwas für die Biodiversität zu tun.  

Was für Möglichkeiten gibt es, Pflanzen für die Biodiversität zu setzen?

Man sollte bei Neupflanzungen und Neuansaaten möglichst nur einheimische Wildpflanzen verwenden. Unsere einheimischen Insektenarten sind an unsere einheimischen Pflanzen angepasst. Zum Beispiel gibt es Insektenarten, die nur von bestimmten Glockenblumenarten mit bestimmter Kelchlänge Nektar holen können. Die Rüssel-Länge des Insektes ist dann genau auf die Kelchlänge der Glockenblume abgestimmt.  Bei Zuchtblumen passt diese Länge dann vielleicht nicht. Mit den einheimischen Wildblumen können einheimische Insekten bestmöglich gefördert werden. Auf importierte Pflanzen sollte verzichtet werden.

Einheimische Wildpflanzen
Eine Möglichkeit sich über Pflanzen zu informieren, bietet die Website infoflora.ch. Das Nationale Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora zeigt, ob eine Pflanze einheimisch ist oder nicht. Man findet viele Hinweise zu den einzelnen Pflanzen. Saatgutanbieter wie UFA Samen bieten in ihrem Sortiment Saatgut von verschiedenen Wildpflanzen an. Von 540 verschiedenen Pflanzen existiert Saatgut. So kann für jede Fläche die entsprechende Pflanzengesellschaft zusammengemischt werden, die sich dann am entsprechenden Standort im Garten auch längerfristig wohl fühlt. Saatgutmischungen kommen dort ins Spiel, wo eine höhere Pflanzendiversität gewünscht wird. Einen Rasen, wo anfangs nur wenige Arten vorhanden sind, bringt man so auf 20 bis 30 Pflanzenarten. Dafür braucht es eine Neuansaat oder eine Aufwertung in einen bestehenden Rasen.

Welche Fehler werden in den Gärten oft begangen?

Ein Fehler ist, den ganzen Garten immer auf die gleiche Weise zu pflegen. Das heisst, alles am gleichen Tag abschneiden, so haben die Insekten keine Rückzugsmöglichkeit. Den kompletten Garten zu düngen oder überall Pflanzenschutzmittel zu verwenden, wäre ein weiterer Fehler. Artenarme Pflanzengesellschaften, wie zum Beispiel ein normaler Hausrasen ohne eingeplante Altgrasstreifen sind ebenfalls nicht ideal. 

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Ist es besser, etwas zu versuchen, als gar nichts für die Biodiversität zu machen?

Man darf keine Angst haben, einen Fehler zu machen. Schon kleine Schritte können etwas bewirken. Es empfiehlt sich, nicht alles gleichzeitig zu mähen und tolerant zu bleiben gegenüber Veränderungen und Unkräutern. Solange Pflanzen, welche wachsen, einheimisch sind und sich am Standort wohl fühlen, sollte man ihnen den Platz lassen und sie nicht bekämpfen.

Wer profitiert alles von einem biodiversen Garten?

Das beginnt ganz unten bei der Pflanzengesellschaft. Ein Rasen bestehend aus drei, vier Gräsern ist als Monokultur sehr anfällig für bestimmte Pilzkrankheiten wie zum Beispiel Schneeschimmel. Je mehr verschiedene Arten zusammen sind, desto weniger Krankheiten haben die einzelnen Pflanzen. Deshalb profitieren die Pflanzen schon selbst, weil sie weniger krank werden und stabiler sind. Als nächstes profitieren die Insekten von dem Nektar als Nahrung und die Pflanzen dienen als Unterschlupf. Wenn entsprechenden Insekten angelockt werden (Nützlinge), können diese helfen, indem sie Schädlinge (wie Blattläuse) auf dem Gemüse bekämpfen. So profitiert am Ende auch der Mensch. Für Vögel bedeuten mehr Insekten auch mehr Nahrung. 

TierWelt-Preis für Biodiversität
«Goldener Schmetterling» – 3000 Franken für Ihr Engagement für die Biodiversität
Dienstag, 4. April 2023