Lange hat die vom Christentum geprägte Kultur den Menschen als «Krone der Schöpfung» betrachtet. Aber, basiert diese Annahme oder Auslegung wirklich auf biblischen Tatsachen? Und, wenn der Mensch die Krone der Schöpfung sein soll, sollte er sich dann nicht vorbildlich Tieren und der Natur gegenüber benehmen, statt sie auszurotten und zu verschmutzen?

Tiere sind Mitgeschöpfe

Der Autor Bernd Kappes spürt in seinem Buch «Mitgeschöpfe – Vom Umgang mit Tieren aus christlicher Sicht» diesen Themen nach. Der Theologe, Pfarrer und Politikwissenschaftler ist stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Hofgeismar und Mitglied im Kuratorium des Instituts für Theologische Zoologie in Münster.

Dass Tiere Mitgeschöpfe sind, damit können sich viele identifizieren. Doch was der Mensch darf, darüber scheiden sich die Geister. Ist es in Ordnung, Fleisch zu essen, wenn die Tiere vorher ein würdiges Leben hatten? Darf man Tiere überhaupt halten? Die Ansichten verschiedener Exponentinnen und Exponenten differieren.

Irrationaler Umgang mit Tieren

Der menschliche Umgang mit Tieren ist höchst irrational. Während für einige Tiere wie den Hund als treuen Begleiter oder die Vögel in der Voliere alles getan wird, damit sie ein gutes Leben haben, scheint es völlig normal, dass ein Schwein in einem Stall mit Spaltenboden und ohne Beschäftigung sein Dasein bis zur Schlachtung fristen muss oder Hühner in einer Halle ohne Auslauf in Riesengruppen als Masttiere aufgezogen werden.

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Keine scharfe Trennlinie

Die grosse Affenforscherin und Umweltaktivistin Jane Goodall hat das Vorwort im Buch «Mitgeschöpfe» verfasst. Sie schreibt über ihre Annäherung an eine Schimpansengruppe Tansanias: Es habe sie zutiefst fasziniert, den Werkzeuggebrauch der Affen zu beobachten, aber sie sei auch schockiert gewesen, als sie herausfand, dass Schimpansen zu Gewalt und Brutalität fähig sind. Sie schliesst daraus: «Dennoch müssen wir es uns zu Herzen gehen lassen, dass sie trotz der dunklen Seite, die sie so wie wir haben, ebenso Liebe, Mitgefühl und wirklichen Altruismus zeigen.» Wenn sie auf die 50 Jahre ihrer Forschungen zurückschaue, sei es für sie eindeutig, dass Menschen nicht die einzigen Wesen mit Persönlichkeit, Verstand und Gefühlen sind und dass es keine scharfe Trennlinie gebe zwischen uns und dem Rest des Tierreichs.

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Doktrin vom Grossbetrieb

Wir haben uns in der technisierten Welt von der Natur entfernt und eine Trennung vorgenommen zwischen den Tieren und uns. Indigene Völker aber sprechen von Tieren als ihren Brüdern und Schwestern, so wie Franz von Assisi es tat. Der Autor Bernd Kappes schreibt: «Die politisch gewollte Dynamik des Wachsens oder Weichens hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass viele kleinere Tierhaltungen aufgegeben werden mussten.» Früher wurden auf Kleinbetrieben Nutztiere länger gehalten, bevor sie geschlachtet wurden, hatten Namen, gehörten zur Familie. Die Tendenz zum Grossbetrieb, die gerade auch in der Schweizer Politik eine Doktrin zu sein scheint, hat solche Sichtweisen verdrängt. Das Tier wurde zur Nummer, und sobald sich der Mensch so vom Lebewesen entkoppeln kann, fällt es ihm auch leichter, es als Nutzwert zu betrachten.

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Eine Spielart des Lebens

Solche Tendenzen sind nicht mit der Bibel vereinbar. Kappes schreibt, dass aus der Bibel klar hervorgehe, dass auch den Tieren die Verheissungen des Friedens und die befreiende Botschaft des Evangeliums gelte. Der Schöpfer allen Lebens nehme Anteil am Ergehen seiner Geschöpfe. Kappes schreibt, dass aus zahlreichen Texten der Bibel ein Auftrag des Menschen abzuleiten sei, sorgsam mit der Schöpfung umzugehen. Er betont auch, dass aus rein evolutionärer Perspektive der Mensch eine Spezies unter anderen sei, eine Spielart des Lebens unter anderen. Wie die anderen Tiere habe sich auch der Mensch im Laufe der Evolution zu dem entwickelt, was er heute ist. Auch Papst Franziskus kritisiere in seiner Enzyklika «Laudato si» den despotischen Anthropozentrismus unserer Kultur. Für Franziskus ist klar: Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir.

Gott als Schöpfer allen Lebens

Es sei absurd zu meinen, dass Gott nur eine Geschichte mit den Menschen habe, so wie das in vielen theologischen Texten betont werde, als ob es kein Universum, keine Natur und keine Tiere gäbe, die ebenfalls zu Gottes Geschichte gehören. Kappes schliesst: Als ob sich Gott nur für die Menschen interessieren würde!

Friedensreich mit Tieren

In der Geschichte des Christentums haben nur einzelne das biblische Motiv der Mitgeschöpflichkeit theologisch und spirituell ernst genommen. Zu ihnen gehört Franz von Assisi und der Arzt, Theologe, Organist und Philosoph Albert Schweitzer, der den Begriff «Ehrfurcht vor dem Leben» prägte. Eigentlich eigenartig, dass Tiere in der christlichen Theologie so stiefmütterlich behandelt werden und bis heute in der Kirche selten Thema sind. Tiere bevölkern nämlich zahlreich die Bibel. Zu den zentralen Texten der Bibel und zu den biblischen Grundlagen der Theologischen Zoologie gehört die Vision eines messianischen Friedensreichs im biblischen Buch Jesaja. Spätestens beim Lesen dieses Textes wird bewusst, dass der Mensch auch in der Bibel als Teil der ganzen Schöpfung behandelt wird.

Vielzahl von Weltbildern

Biblische Texte sind in einem Zeitraum von etwa 1000 Jahren entstanden. Schon darum ist die Bibel mehrstimmig, denn sie bietet Platz für eine Vielzahl von Weltbildern aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten. Darum gibt es die eine biblische Sicht der Dinge nicht und immer stellt sich auch die Frage, von welchem Standpunkt aus die Bibel gelesen wird.

Lebensfreundlicher Umgang mit Tieren

Bernd Kappes bezieht in seinem Werk zahlreiche Sichtweisen zum Thema mit ein, und zwar aus historischer und heutiger Sicht. Die Auseinandersetzung mit dem Thema geht alle etwas an, und es ist Tatsache, dass die Kirchen einen Unterschied für einen lebensfreundlicheren Umgang mit den Tieren machen können. Darum leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung und Diskussion.

Buchtipp
Bernd Kappes: «Mitgeschöpfe – Vom Umgang mit Tieren aus christlicher Sicht»

Mit einem Beitrag von Jane Goodall
gebunden, 261 Seiten, Patmos-Verlag.

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