Dr. Jaramillo, man hört es immer wieder: Den Bienen geht es schlecht. Aber wie schlimm steht es tatsächlich um die Populationen der Honigbienen?  

Um das Problem zu verstehen, ist es wichtig, zwischen Honigbienen und Wildbienen zu unterscheiden. Honigbienen sind gezüchtete Tiere, ähnlich wie Kühe und Hühner. Sie sind von den Imkern abhängig, und die Art und Weise, wie ihre Bienenstöcke bewirtschaftet werden, spielt eine wichtige Rolle für die allgemeine Gesundheit des Bienenvolks. Die Sorge über den Rückgang der Honigbienen ist gross, aber aus ökologischer Sicht ist er nicht so gravierend wie bei den Wildbienen, die keine Imker haben, die ihnen helfen.  

Es gibt über 20’000 verschiedene Bienenarten, die meisten davon sind Wildbienen. Von diesen Arten sind etwa 2 Prozent an der Bestäubung von 80 Prozent der Nutzpflanzen weltweit beteiligt. Etwa 95 Prozent von ihnen sind Solitärbienen, also es gibt keine Imker, die sich um sie kümmern, und 80 Prozent von ihnen bauen ihre Nester in der Erde. Dies macht sie sehr anfällig für Umweltzerstörung und Landnutzungsänderungen.  

Dass es den Bestäubern schlecht geht, weiss man schon seit 15 Jahren. Weshalb hat sich seither nichts getan?  

Seit den ersten Untersuchungen, die vor fünfzehn Jahren einen Rückgang der Honigbienenpopulationen aufzeigten, sind die Menschen auf der ganzen Welt besser darüber informiert, dass Bestäuber für die Gesundheit der Ökosysteme und die Ernährungssicherheit von grundlegender Bedeutung sind. Der Gesundheitszustand der kommerziell genutzten Honigbienen allein vermittelt jedoch kein klares Bild davon, wie es Wildbienen und anderen Bestäubern, insbesondere Insekten, geht.  

Die schwerwiegendsten Bedrohungen für Wildbestäuber sind mit der intensiven Monokulturproduktion und dem unsachgemässsen Einsatz von Pestiziden verbunden. Dadurch wird ihr Zugang zu Nahrung und Nistplätzen eingeschränkt, sie sind schädlichen Chemikalien ausgesetzt und ihr Immunsystem wird geschwächt.  

Zur Person
Dr. Juliana Jaramillo ist die globale Themenführerin für regenerative Landwirtschaft bei der Rainforest Alliance. Mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in den Bereichen nachhaltige Landwirtschaft, Erhaltung der biologischen Vielfalt und beaufsichtigt Jaramillo die globale Strategie der Organisation zur Förderung regenerativer landwirtschaftlicher Praktiken und Richtlinien in ihren Zertifizierungs- und Landschaftsprogrammen. 

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Ein immenses Problem sei die Landwirtschaft. Inwiefern spielt die Art der Landwirtschaft eine Rolle? Welche Tätigkeiten schaden den Bienen besonders?  

Es gibt drei Haupttypen von Landwirtschaft: konventionelle, nachhaltige und regenerative. Die Art der Landwirtschaft ist wichtig für Bienen und andere Arten der biologischen Vielfalt sowie für den Klimawandel und die Widerstandsfähigkeit von landwirtschaftlichen Betrieben und Gemeinden.  

Die konventionelle Landwirtschaft ist nicht nur eine Ursache für den Verlust der biologischen Vielfalt, einschliessslich der Bienen und anderer Bestäuber, sondern auch für die Verschlechterung der Bodenqualität und den Klimawandel. Eine Änderung der Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben, bietet die Möglichkeit, alle Arten von biologischer Vielfalt zu schützen und gleichzeitig den Klimawandel abzumildern und sich an ihn anzupassen sowie die Bedürfnisse unserer wachsenden Bevölkerung zu erfüllen.  

Eine nachhaltige Landwirtschaft trägt dazu bei, die durch die konventionelle Landwirtschaft verursachten Schäden an den Ökosystemen zu verringern; sie zielt darauf ab, schädliche Praktiken - wie den Einsatz chemischer Pestizide - durch natürliche Alternativen zu ersetzen oder komplett zu ersetzen.  

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Und was genau ist regenerative Landwirtschaft? 

Regenerative Landwirtschaft ist der nächste Schritt nach der nachhaltigen Landwirtschaft. Sie verfolgt bei der Nahrungsmittelproduktion einen Ansatz der Erhaltung und Wiederherstellung: Sie konzentriert sich auf das Potenzial der Landwirtschaft, eine Vielzahl von Ökosystemleistungen zu erbringen, wie zum Beispiel die Bindung von Kohlenstoff, den Schutz von Wassereinzugsgebieten und die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die alle zur Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme und des Klimas beitragen.  

Gibt es bereits viele LandwirtInnen weltweit, welche auf diese Art der Landwirtschaft setzen?  

Der Übergang zu einer regenerativen Landwirtschaft ist weltweit im Gange, aber es ist wichtig zu erkennen, dass die Landwirte mit kurzfristigen Kosten für die Umstellung auf nachhaltigere landwirtschaftliche Praktiken konfrontiert sind, bevor sich die langfristigen Vorteile voll entfalten können.  

Landwirte brauchen oft Unterstützung, um in die Widerstandsfähigkeit ihrer Betriebe zu investieren und diese zu stärken. Neben finanziellen Mitteln und Schulungen wird auch Zeit benötigt, insbesondere für die Einführung nachhaltigerer integrierter Schädlingsbekämpfungsmethoden (IPM), die die inhärenten Stärken von Agrarökosystemen nutzbar machen.  

Können Sie uns konkrete Massnahmen nennen, die LandwirtInnen und Landwirte umsetzen können, wenn sie den Bienen helfen wollen?  

Bienen und Bestäuberinsekten haben drei grundlegende Bedürfnisse:  Erstens geeignete Nahrungsquellen in angemessener Flugentfernung. Zweitens Nistplätze und Nistmaterial. Diese sind ebenfalls artspezifisch. Und drittens Orte für die Überwinterung. 

Die wichtigsten Masssnahmen, die für Bestäuber auf landwirtschaftlichen Flächen erforderlich sind, sind die Schaffung von Lebensräumen und die Verringerung des Einsatzes von schädlichen Pestiziden. Lebensräume können wiederhergestellt oder geschaffen werden: artenreiches Grünland, Feldränder, Puffer- und Blühstreifen, Landschaftselemente, brachliegende Felder, auf denen Wildblumen wachsen, Heide und Gebüsch sowie Waldflächen.  

Zu den wichtigsten bestäuberfreundlichen Masssnahmen gehören:
- Sicherstellung einer Vielfalt und Fülle blühender Pflanzen und Bewässerung während heissser und trockener Perioden.  
- Schaffung zusätzlicher Bestäuberressourcen.  
- Das Belassen einiger kahler Stellen oder von Steinen, Sträuchern, Bäumen und Totholz ist ebenfalls wichtig, um Nistplätze zu schaffen.  
- Einführung von Systemen zur Verringerung des Einsatzes von Pestiziden und Düngemitteln, z. B. integrierte Schädlingsbekämpfung (IPM).  
- Planung und Positionierung von Lebensräumen für Wildbestäuber auf Landschaftsebene, um den Nutzen zu maximieren. 

Wie steht es um Privatpersonen: Wie können diese helfen?  

Zum Beispiel kann jeder Einzelne in seinem Garten, auf seinem Balkon oder in seinem Blumenkasten einheimische Blumen pflanzen und den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden vermeiden.  

Privatpersonen können auch als Verbraucher eine Rolle spielen: Sie müssen sich über die Produkte, die sie kaufen, informieren und sich für Produkte entscheiden, bei denen die Nachhaltigkeit im Vordergrund steht, wie zum Beispiel Produkte mit dem Rainforest Alliance- oder Bio-Siegel.