Auf dem Hof von Hans Fuhrer in Aeschi ob Spiez BE haben nicht nur die Mutterkühe ihren Stall, sondern auch die Würmer. Knapp sechs Millionen der rund neun Zentimeter langen und rötlich glänzenden Mistwürmer wohnen unter einem Folientunnel in grossen Holzkisten. Diese stehen auf Stelzen und haben einen durchlässigen Boden. Die Abhebung von der Erde ist wichtig, um die Luftzufuhr zu gewährleisten, damit das Kompostmaterial nicht erstickt. In der insgesamt 134 Quadratmeter grossen, modular aufgebauten Anlage gehen die Würmer ihrer Aufgabe nach – sie fressen Kuhmist und scheiden ihn als Humus wieder aus. Die so von den Mistwürmern produzierte organisch-mineralische Erde eignet sich vorzüglich als Biodünger.

Vom Kuhmist zum Humus

Am Anfang der Wurm-Mist-Anlage stand eigentlich die Idee, Würmer als Futtertiere für die Störzucht des Tropenhauses Frutigen zu züchten. Der durch die Kompostwürmer ausgeschiedene Humus war erst ein reines Nebenprodukt. Eines, das dem Tüftler jedoch als nachhaltige Geschäftsidee erschien, und so wurde 2009 der erste Prototyp des Wurmstalls erstellt. «Gutes Futter, bestehend aus vorgerottetem Kuhmist, Wärme und Feuchtigkeit, diese drei Komponenten müssen vorhanden sein, dann klappt die Mistkompostierung mit Würmern gut», weiss Hans Fuhrer aus Erfahrung. Nicht nur Kuhmist, sondern auch der Mist von Pferden, Schafen, Ziegen oder Kaninchen kann von den Würmern verarbeitet werden. Hühnermist muss hingegen zusätzlich mit anderem Mist vermischt werden, sonst entsteht eine zu pappige Masse. Die Streu spielt keine Rolle, nur bei besonders groben Stücken, wie sie etwa im Bio-Waldboden-Einstreu vorkommen können, brauche es einfach mehrere Durchgänge, bis sie vollständig zersetzt sind. «Der Wurm nimmt alles organische Material zum Fressen an», erklärt der Biolandwirt.

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Etwas Geduld muss man allerdings mitbringen, um sogenannte Wurmerde zu erhalten. Rund eineinhalb Jahre habe es gedauert, von der Wurmansiedlung bis zur ersten Humusernte. Der Arbeits- und Zeitaufwand bei der Bewirtschaftung der Anlage hält sich jedoch in Grenzen. Zweimal wöchentlich muss etwas vom vorkompostierten Mist zugefüttert werden, bei grosser Hitze ist Wässerung notwendig und den fertigen Humus gilt es unten an den Kisten abzuernten. Denn die Würmer fressen jeweils in den obersten 20 Zentimetern des Mists, das darunter liegende Material ist bereits gefressen und in Humus umgewandelt. Diesen verkauft Hans Fuhrer als Wurmerde an Hobbygärtnerinnen, Gartenbauunternehmen und Gemüsebauern. Wer den nachhaltig gewonnenen Humus, der viele Mikroorganismen enthält und besonders wasserspeichernd ist, ausprobiert hat, sei begeistert und nutze ihn immer wieder. Um das Produkt bekannt zu machen, brauche er jedoch einen langen Atem, so Hans Fuhrer. Für den umtriebigen Landwirt jedoch kein Grund, aufzugeben. «Ich glaube fest an unser Produkt, denn es entspricht vollkommen dem Zeitgeist. Die Absatzkurve zeigt zwar nicht steil nach oben, ist aber stetig wachsend.»

Hans Fuhrer ist von der Mistverwertung durch Würmer überzeugt und hilft deshalb auch Interessierten bei der Neueinrichtung solcher Wurmställe. Er vermittelt sein Wissen, das er sich über die vergangenen zwölf Jahren angeeignet hat, nicht unentgeltlich. Betriebe, die einen Wurmstall nach seinem Vorbild anlegen möchten, müssen ihm eine Lizenz abkaufen. Ein Landwirtschaftsbetrieb mit Pferdehaltung im Aargau gehört neben dem Grossverteiler Coop zu den ersten, die nun nach Fuhrers System Mistkompostierung mit Würmern betreiben. Samuel und Petra Horlacher führen den Höllstenhof bei Möhlin AG. Neben dem Ackerbau ist die Pferdehaltung der grösste Betriebszweig. Ihr Aktivstall bietet Platz für 40 Pferde. Samuel Horlacher ist es ein Anliegen, die Kreisläufe auf seinem Hof möglichst geschlossen zu halten, und ausserdem war er schon seit längerer Zeit fasziniert vom Durchflusssystem der Wurm-Mist-Kompostierung, wie sie im amerikanischen Raum oft angewendet wird. Nachdem sich der Landwirt in die Thematik eingelesen hatte, beschloss er 2021, in Zusammenarbeit mit Hans Fuhrer eine rund 30 Quadratmeter grosse Wurmkompostanlage einzurichten. Diese steht nun in seiner Scheune, ein Teil des Pferdemistes wird bereits den Würmern verfüttert. «Da unsere zeitlichen Ressourcen begrenzt sind, war es ideal, auf die Erfahrungen von Hans Fuhrer zurückgreifen zu können und nicht selber lange pröbeln zu müssen», erklärt Samuel Horlacher. Den Humus verwendet er als Hofdünger und im eigenen Garten, eine kommerzielle Verwertung ist momentan nicht angedacht.

«Ich glaube fest an unser Produkt, denn es entspricht dem Zeitgeist.»

Hans Fuhrer, Entwickler Wurmstall, Aeschi

MistwurmDer Mistwurm wird auch Kompostwurm genannt. Und seine wissenschaftliche Bezeichnung lautet Eisenia fetida. Er gehört zur Art der Regenwürmer und ist in Wiesenböden anzutreffen. Hauptsächlich hält er sich jedoch unter verrottenden Pflanzen, Komposthaufen oder Miststöcken auf. Mistwürmer werden ausgewachsen sechs bis zwölf Zentimeter lang und haben einen Durchmesser von etwa fünf Millimetern. Diese Würmer zeichnen sich durch ihre grosse Beweglichkeit aus.Daneben, dass ihre Ausscheidungen als Biodünger verwendet werden können, gibt es auch Wurmzuchten, welche die Tiere als Angelköder oder Fischfutter verkaufen.

Dass Kompostwürmer nicht nur auf dem Misthaufen oder im Gartenkompost nützlich sein können, davon waren die drei Mitinitianten von WormUp überzeugt. 2015 gründeten sie in Zürich das Startup, welches zum Ziel hat, ein praktisches und zugleich stylisches Wurmkompostierungssystem für Privathaushalte zur Verfügung zu stellen. So möchten sie dazu beitragen, dass möglichst kein organisches Material mehr im Kehrricht landet. «Bei uns gab es eine etwa einjährige Entwicklungsphase, in der wir verschiedene Materialien und Formen entworfen, getestet und verworfen haben, bis der weltweit erste Indoor- und Balkonwurmkomposter aus gebranntem Ton marktreif war», sagt Sarah Steiner. Sie ist Mitbegründerin der WormUp GmbH, welche seit der Lancierung des ersten Wurmkomposters diverse weitere Produkte zum Thema Wurmkompostierung auf den Markt gebracht hat, etwa eine Tonröhre zum Eingraben im Garten- oder Hochbeet. «Das Tolle an der Wurmkompostierung ist, dass es nicht stinkt und keine Arbeiten durch mühsames Umschichten entstehen», so Sarah Steiner. Die kleingeschnippelten organischen Abfälle werden von oben hineingegeben. Während der Kompost-Humushaufen kontinuierlich wächst, wandern die Würmer nach oben, immer Richtung frisches Futter. In der Schicht unter den frischen Abfällen arbeiten die Kompostwürmer am intensivsten. Hier befindet sich der mittelreife Kompost. Die Würmer verdauen bis zu sechsmal die noch nicht ganz abgebauten organischen Abfälle, bis alles zu feinkrümeligem Wurmhumus wird. Dieser kann alle drei Monate abgeerntet werden.

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Ein Komposter für zuhause

«Der WormUp-Komposter kann gut in der Wohnung oder im Keller platziert werden, mehr als eine halbe Stunde pro Woche muss man nicht für dessen Unterhalt investieren und er ist geruchlos», zählt Sarah Steiner die Vorteile auf. Falls unangenehme Gerüche entweichen, sei dies ein Zeichen, dass etwas im Kompostkreislauf nicht stimme. Eine einseitige Fütterung mit zu sauren Abfällen oder die Beigabe von Essensresten tierischer Herkunft, gekochten Speisen oder zu viel Brot könne das System aus der Balance bringen. Schwierigkeiten entstehen auch, wenn die Würmer zu heiss oder zu trocken haben und zu viel Futter bekommen. Dies kann im schlechtesten Fall sogar zum Wurmsterben führen. Um das zu vermeiden, ist es dem Team von WormUp wichtig, viel Wissen zur Kompostierung und den natürlichen Kreisläufen zu vermitteln. Auf der Website des Unternehmens gibt es eine Bibliothek mit Massnahmen zum Wurmglück oder dazu, wie man kleine Fliegen wieder los wird.

«Der WormUp-Komposter kann gut in der Wohnung platziert werden.»

Sarah Steiner Mitbegründerin WormUp GmbH

Die Kompostierung im eigenen Daheim, direkt am Ort, wo die Abfälle entstehen, weist gegenüber der Grüngutsammlung viele Vorteile auf, ist Sarah Steiner überzeugt. Da die grüne Abfalltonne meist aus Kunststoff besteht, ist oft nicht ausreichend Sauerstoff vorhanden für die einsetzenden Umwandlungsprozesse. Die Konsequenz: Die Grünabfuhr stinkt schnell. Auch entsteht klimaschädliches Methangas. Hinzu kommt, dass organische Abfälle im frischen Zustand zum grössten Teil aus Wasser bestehen, welches mit transportiert werden muss. Alles negative Folgen für die Umwelt. Wer einen eigenen Wurmkomposter besitzt, muss auch weniger Erde für seine Balkon- oder Zimmerpflanzen kaufen. Durch Zugabe von Wurmhumus lässt sich die Vorjahreserde vitalisieren, die Pflanzen wachsen gut und sind resistenter gegen Schädlinge. Entscheidend findet die Wurmstrategin, dass die Würmer in den eigenen vier Wänden den Bezug zur Natur verstärken und dass beim Einkaufen auf Verpackungen und Produkte geachtet wird, die sich vollständig recyceln lassen. Zudem hätten Kinder Spass an den neuen Haustieren.

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Könnte der Wurmkomposter, in welchem die Würmer für unsere Zwecke instrumentalisiert werden, Tierleid verursachen? Für jemanden, der Tiere als Nutztiere ablehnt, ist diese Art zu kompostieren nicht optimal, ist sich Sarah Steiner bewusst. «Für uns ist das Wohl der Tiere wichtig. Bei zu heissen oder kalten Temperaturen versenden wir keine Tiere, auch halten wir den Weg zum neuen Besitzer möglichst kurz, in dem wir via A-Post verschicken.» Im Komposter finden die Kompostwürmer relativ natürliche Bedingungen vor. Die Würmer vermehren sich selbstständig und es entsteht ein in sich geschlossene System. Somit spricht nichts dagegen, auf die Dienste von Kompostwürmern zu zählen und damit einen Beitrag zur Schliessung von Stoffkreisläufen zu leisten.

wurmstall.ch
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