Beim Pferdemetzger
Auch Pferde werden zur Schlachtbank geführt
Dem Konsum von Pferdefleisch haftet, zumindest in der Deutschschweiz, etwas Anstössiges an. Beim Gespräch mit dem Burgdorfer Rossmetzger Hans-Peter Horisberger wird deutlich, dass die Verwertung von verunfallten oder unverkäuflichen Equiden seine Berechtigung hat.
Hans-Peter Horisberger ist eine Institution in Burgdorf (BE). Wenn er in der Unterstadt draussen in einem Café sitzt, geht kaum ein Passant an ihm vorüber, ohne mit dem 73-Jährigen kurz ein Wort zu wechseln. Seit 53 Jahren hat Horisberger sein Geschäft in Burgdorf, 30 Jahre davon an der Mühlegasse 10. Über dem Eingang des historischen Altstadthauses prangen zwei weisse Pferdeköpfe, dazwischen steht in roten Lettern Hori’s Metzg geschrieben. Ross-Spiessli, Fohlenpfeffer und auch seine träfen Sprüche machten den hochgewachsenen, drahtigen «Hori» zum weitum bekannten Stadtoriginal. «An einem Samstag stehen die Leute oft bis in die Gasse hinaus Schlange, um sich ein Pferde-Entrecôte zu sichern», sagt der Pferdemetzger.
Er habe einen treuen Kundenstamm und dürfe nicht jammern. Aber der Appetit auf Pferdefleisch sei mit dem Generationenwechsel doch kleiner geworden. Für diese Art von Fleischprodukten brauche man keine Werbung zu machen, das wäre kontraproduktiv, weiss Hans-Peter Horisberger. Die ethischen Vorstellungen haben sich verändert. Während es für viele Konsumenten nach wie vor normal ist, ein Pouletschnitzel oder Kalbsgeschnetzeltes zu kaufen, kommt es für viele Schweizerinnen und Schweizer nicht infrage, Fleisch vom treuen und edlen Freizeitpartner zu verspeisen. «Pferde werden wir in 100 Jahren keine mehr metzgen», ist sich Horisberger sicher.
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Routiniert, aber niemals abgeklärt
In dritter Generation führt er dieses Metier aus. Nun denkt er langsam daran, sein Geschäft weiterzugeben. «Die Suche an einem Nachfolger ist aber nahezu aussichtslos», sagt Horisberger. Heute sei eine andere Generation aktiv, die nicht mehr sieben Tage die Woche dem Beruf widmen will. Hans-Peter Horisberger ist allerdings nach wie vor mit vollem Herzblut dabei. Jahrzehnte lang habe er jeden Notfall zu jeder Tages- und Nachtzeit angenommen und absolut jedes Pferd geschlachtet, egal, ob mager oder wohlgenährt. So hat er sich fast in der gesamten Schweiz einen Namen gemacht. Zu seiner Bekanntheit beigetragen hat sicherlich auch, dass der Burgdorfer aktiver Concours-Reiter war und sich ein grosses Netzwerk unter den Pferdeleuten aufzubauen vermochte. Sogar aus dem Wallis werden immer wieder Pferde angeliefert. Oft handelt es sich um verunfallte oder altersschwache Tiere. Wenn die Pferde den Anhänger verlassen haben, läuft immer alles ganz ruhig ab. Auch sein feinfühliger, routinierter, aber niemals abgeklärter Umgang mit den Tieren spricht für den Pferdemetzger am Tor zum Emmental. Mit ihm laufe jedes Pferd ohne Stress ins Schlachthaus, erzählt Hans-Peter Horisberger. «Aber Töten ist nie eine schöne Sache, ich muss mich jedes Mal wieder von Neuem in den Ranzen klemmen.» Solche gradlinigen Sprüche hat Hori zur Genüge auf Lager, zudem scheut er sich auch nicht, seine Produkte in der Auslage mit Zigeunergeschnetzeltes und Indianer-Fleisch anzuschreiben.
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Vom Armeleuteessen zum Labelfleisch
1140 Pferde sind 2022 in der Schweiz geschlachtet worden, davon 352 Fohlen, zitiert Horisberger die Statistik des Schweizer Bauernverbandes. Die Zahl der Schlachtungen geht seit Jahren markant zurück, 2013 wurden in der Schweiz noch weit mehr als doppelt so viele Pferde, 3195 an der Zahl, auf die Schlachtbank geführt. Verglichen mit anderen Nutztieren wie Rindern, Schweinen oder Geflügel sind dies marginale Zahlen. Unter den Fleischlieferanten nimmt das Pferd in der Schweiz und auch im übrigen Europa keine hohe Position ein. 2017 wurden hierzulande pro Kopf insgesamt 50 Kilogramm Fleisch verspeist, nur gerade 360 Gramm davon waren Pferdefleisch, hat der Verein Kulinarisches Erbe der Schweiz festgehalten. Und auch diese Zahl ist im Sinkflug begriffen, denn laut der Statistik von Proviande wurden 2023 noch 220 Gramm Pferdefleisch pro Kopf verspeist.
Grundsätzlich ist der Konsum von Pferdefleisch mit einem Tabu behaftet. Rezepte mit diesem Fleisch sucht man sowohl in älteren als auch in zeitgenössischen Kochbüchern vergebens. «Gerichte mit Fohlenfleisch sind noch mehr stigmatisiert, sie werden in kaum einem Restaurant aufgetischt», sagt Hans-Peter Horisberger. Auch wissenschaftlich wurde das Thema untersucht: Tanja Tüscher hat in ihrer Semesterarbeit, die sie im Studium der Pferdewissenschaften an der Berner Fachhochschule verfasste, evaluiert, dass in den Jahren 2014 bis 2017 im Mittel pro Jahr 1882 Freibergerfohlen geboren wurden. Wovon der beachtliche Anteil von 37,8 Prozent noch im Geburtsjahr geschlachtet wird, da sie den Selektionskriterien nicht entsprechen.
Damit mag die Nachfrage nach Pferdefleisch aber in keiner Weise gedeckt werden. Über 90 Prozent des in der Schweiz konsumierten Pferdefleisches wird importiert. Der Inlandanteil lag beim Pferdefleisch 2023 bei gerade einmal 7,2 Prozent. Im Jura wurde 2017 das Label «Viande chevaline suisse – l’Originale» gegründet, um die Wertschöpfung des Pferdefleisches zu verbessern und den Erhalt der Freibergerrasse zu stärken. Ein Unterfangen mit bisher wenig Erfolg und unrealistischen Vorstellungen, wie der Burgdorfer Pferdemetzger einschätzt. Er selbst habe genügend inländische Pferde, importiertes Fleisch müsse er deshalb nur sehr wenig anbieten.
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Ein Ziel des Labels ist es, den Fleischpreis zu erhöhen. Pferdefleisch galt früher als Fleisch der armen Leute und ist auch heute aufgrund der geringen Nachfrage etwa im Vergleich zu Rindfleisch immer noch günstig. Das ähnliche Erscheinungsbild der beiden Fleischsorten und deren unterschiedliche Preisgestaltung nutzten früher pfiffige Metzger, die Pferdefleisch als Rindfleisch deklarierten und so ihre Gewinnmarge verbesserten. Um solchen Machenschaften den Riegel zu schieben, wurden die Ross- oder Pferdemetzgereien 1957 in der Schweiz gesetzlich von den übrigen Metzgereien getrennt. Erst 1995 wurde diese Separierung aufgehoben. Seither nahm die Anzahl der klassischen Pferdemetzgereien drastisch ab. Während 1984 in der Romandie 98, in der Deutschschweiz 38 und im Tessin immerhin 9 Rossmetzgereien im Mitgliederverzeichnis der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Pferdemetzger verzeichnet waren, wurden 2018 nur noch insgesamt 50 Pferdemetzgereien landesweit gezählt. «Wir schätzen deren Anzahl heute auf allerhöchstens 20 Betriebe. Da wir keine Statistik führen, ist dies eine Schätzung, jedoch ganz ohne Gewähr», sagt Allan da Silva, der Bereichsleiter Kommunikation vom Schweizer Fleisch-Fachverband.
Auch Hans-Peter Horisberger verkauft neben Pferdemostbröckli und Rosshackfleisch etwas Schweine-, Rind-, Poulet- und Lammfleisch. Diese Fleischprodukte machen allerdings lediglich rund 10 Prozent seines Gesamtangebotes aus.
Wissenstransfer rund ums Pferd
Mit dem Aussterben dieser speziellen Metzgereien geht ein grosser Wissensschatz verloren. Denn Hans-Peter Horisberger empfängt auch Tierärztinnen oder Pferdefachleute in Ausbildung, damit diese bei ihm im Schlachthof Einblick in die Pferdeanatomie erhalten. «Erst kürzlich habe ich für die Armeeveterinäre einen Kurs für die korrekte Anwendung des Bolzenschusses organisiert», erzählt der Fachmann. Auch sonst arbeitet er eng mit diversen Pferdekliniken und dem Nationalen Pferdezentrum Bern zusammen, die ihm schwer verletzte und kranke Tiere zur Tötung und Verwertung bringen können. «Meine Arbeit wurde immer respektiert, selbst wenn ich mit dem Pferdeanhänger mit der Aufschrift Hori’s Pferdemetzgerei auf den Turnierplätzen auftauchte, wurde ich niemals negativ angegangen», sagt der Rossmetzger und Pferdeversteher nicht ohne Stolz.
Skandalumwittertes Pferdefleisch
Der Verzehr von Pferdefleisch wurde seit Jahrhunderten immer wieder zum Thema. Im Jahr 732 verbot Papst Gregor III., Pferdefleisch zu verspeisen. Ihm missfiel die rituelle Opferung dieser Tiere bei den heidnischen Völkern im Norden Europas, die er mit diesem Bann unterbinden wollte. Erst im 19. Jahrhundert wurde der Konsum von Pferdefleisch in christlich geprägten Gegenden wieder legitim. Besonders in Frankreich etablierten sich Pferdemetzgereien. In den USA und Grossbritannien ist es aber nach wie vor ein Tabu, Pferdefleisch zu essen.
So war die Empörung 2013 sehr gross, als ausgerechnet in Irland Lebensmittelkontrolleure herausfanden, dass Tiefkühlprodukten undeklariert Pferdefleisch statt Rindfleisch beigegeben wurde. Der Pferdefleisch-Lasagne-Skandal zog weite Kreise in ganz Europa.
Ende 2023 rief Proviande zu einem Importverbot von Pferdefleisch aus Südamerika auf. Der Import von Pferdefleisch aus Argentinien und Uruguay steht in der Kritik, einerseits wegen nicht artgerechten Haltungsbedingungen und andererseits wegen der fehlenden Rückverfolgbarkeit des importierten Fleisches.
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