Der Eurasische Luchs ist ein mystisches Tier. Scheu und zurückgezogen streift die Katze durch die Wälder Europas und das Glück, sie zu Gesicht zu bekommen, bleibt den meisten Menschen verwehrt. Im 19. Jahrhundert standen die Luchse durch die Verfolgung durch den Menschen und die Rodungen der Wälder in Europa kurz vor dem Aussterben. In der Schweiz wurden deshalb in den Siebzigerjahren gefangene Luchse aus den Karpaten angesiedelt. Heute haben wir zwei grosse Populationen im Jura und im Alpenraum, die insgesamt etwa 300 Tiere umfassen. Ganz so rosig sieht die Zukunft der Katze in der Schweiz dennoch nicht aus, denn durch das Mittelland voneinander getrennt, fehlt zwischen den beiden isoliertlebenden Populationen der genetische Austausch. Dies resultiert in Inzucht, was eine negative Auswirkung auf die Fitness der Tiere hat und langfristig gesehen zu einem erneuten Aussterben führen kann.

Auch andere europäische Länder haben mit diesem Problem zu kämpfen, denn die einzelnen Populationen, die durch Wiederansiedlungsprojekte zustande kamen, leben oft räumlich getrennt voneinander. So wie in Slowenien, einem Land nur halb so gross wie die Schweiz. Von den Dinarischen Alpen durchzogen, kommen hier alle drei grossen Beutegreifer gemeinsam vor. Während es dem Bären und dem Wolf gut geht, leidet die Luchspopulation jedoch an Inzucht. Für das Problem der genetischen Verarmung arbeitet Slowenien an einer Lösung.

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Die Geschichte des Luchses in Slowenien

«Der Luchs ist wie ein Geist. Man fühlt ihn mehr, als dass man ihn sieht», erzählt Tomaž Skrbinšek, Experte für Grossraubtiere und Professor an der slowenischen Universität Ljubljana. Die Geschichte des Luchses in Slowenien ähnelt derer in der Schweiz. «Der letztebekannte Luchs wurde in Slowenien 1908 getötet», berichtet Skrbinšek. «Die Tiere wurden damals als Schädlinge gesehen, ganz so wie heutzutage Ratten.» Die Motivation zum Töten war gross, denn für jedes getötete Tier bekam man Geld. «Aber nicht nur die Jagd trug zum Aussterben bei», erklärt der Professor. «Auch, dass es im 19. Jahrhundert kaum mehr Wald in Slowenien gab und dadurch Beutetiere wie Rehe und Wildschweine an den Rand des Aussterbens gedrängt wurden.» Im Jahr 1973 wurden erstmals sechs Tiere aus der Slowakei durch Jäger und Förster in Slowenien ausgewildert. Die Idee dazu kam von Jagdgästen aus der Schweiz.

Ein EU-Projekt zur Rettung

Die Tiere begannen sich zu vermehren und breiteten sich bis nach Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Italien und Österreich aus. Allerdings war diese Population, genau wie die Tiere in der Schweiz, von anderen isoliert. Ein paar Jahrzehnte nach der Wiederansiedlung kam das Problem der Inzucht auf, der Luchsbestand begann massiv zu schrumpfen. Um die noch wenigen vorhandenen Tiere steht es nicht gut.

Um die genetische Deterioration zu verhindern und die verbleibenden Luchse der südöstlichen Dinarischen Alpen zu retten, wurde 2017 das Projekt «LIFE Lynx» ins Leben gerufen. Das Projekt ist eine Kollaboration von insgesamt fünf europäischen Ländern. Slowenien, Kroatien und Italien, in denen die betroffene Luchspopulation lebt, arbeiten mit Rumänien und der Slowakei zusammen. In beiden Ländern lebt in den dortigen Karpaten ein grosser und gesunder Bestand an Luchsen, von denen einzelne Individuen gefangen und in Slowenien, Kroatien und Italien wieder ausgewildert werden.

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Der grösste Geldgeber des Projektes ist das EU-LIFE-Programm zur Unterstützung von Vorhaben im Umwelt- und Naturschutz. Seit Beginn des Projektes wurden insgesamt18 Luchse von Rumänien und der Slowakei aus den Karpaten nach Slowenien und Kroatien gebracht. Professor Tomaž Skrbinšek erzählt, wie erfolgreich das Wiederansiedlungsprojekt bisher verlaufen ist: «Zwölf Tiere konnten sich bereits in die Population einfügen.» Damit es jedoch langfristig nicht erneut zu einer genetischen Verarmung kommt, ist ein weiteres Ziel des LIFE-Lynx-Projektes das Schaffen von Trittsteinen. Dazu sollen weitere Luchspopulationen imAlpenraum angesiedelt werden, um schliesslich einen genetischen Austausch zwischen den Tieren der Dinarischen Alpen mit denen der anderen Populationen des Alpenraumes sicherzustellen. «Letztendlich können Luchse langfristig nicht isoliert überleben», sagt der slowenische Grossraubtierexperte. «Sie brauchen unbedingt einen Genfluss.»

Der Luchs und der Tourismus

Um die wiederangesiedelten Tiere in Slowenien zu überwachen, sind alle Individuen mit Telemetrie-Halsbändern ausgestattet und werden gelegentlich zur Kontrolle eingefangen. Auch Kamerafallen und genetische Proben helfen dabei, die heimlich lebenden Tiere zu beobachten. Dank dem LIFE-Lynx-Projekt leben derzeit wieder etwa 40 Tiere in Slowenien.

Eine grosse Herausforderung, die die Mitarbeiterinnen des LIFE-Lynx-Projektes haben, ist laut Projektbeteiligter Bernarda Bele von der Universität Ljubljana jedoch nicht das Ansiedeln der Luchse, sondern die Akzeptanz in der Bevölkerung. Der Stadt-Land-Graben herrscht in Slowenien genauso wie in der Schweiz. «Allerdings sind Nutztierschäden durch den Luchs äusserst selten», erklärt Bele. «Sollte es jedoch zu Vorfällen kommen, steht das Projektteam den Landwirten zur Verfügung und hilft, geeignete Schutzmassnahmen wie Elektrozäune und den Einsatz von Herdenschutzhunden umzusetzen.» Auch in Slowenien werden Schäden an Nutztieren durch den Staat kompensiert.

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Um die Akzeptanz des Luchses bei der Landbevölkerung zu erhöhen, wurden von Beginn an Interessensgruppen, insbesondere lokale Gemeinschaften und Jäger, in das Projekt miteinbezogen. Spannend ist, dass vorwiegend Jagende aktiv am Projekt mitarbeiten und stark involviert sind. Laut Bernarda Bele ist es ebenso ein Ziel des Projektes, der slowenischen Bevölkerung die Vorteile, die der Luchs und das Leben mit Grossraubtieren mit sich bringen, aufzuzeigen. Insbesondere touristische Aktivitäten, die sich um die in Slowenien heimischen drei grossen Beutegreifer drehen, helfen finanziell den lokalen Gemeinden. Ein Besuch in Slowenien offenbart, dass das Miteinander von Menschen und Grossraubtieren in einem kleinen Land funktionieren kann und wie förderlich Luchs, Bär und Wolf für den Tourismus sein können. So hat das LIFE-Lynx-Projekt Aktivitäten wie die Lynx Trail Bikepacking Route oder Themenwanderwege zum Luchs geschaffen. Reisende, die sich für die Grossraubtiere interessieren, werden von dem Naturparadies Slowenien begeistert sein. Und mit etwas Glück läuft einem dort vielleicht kein Luchs, aber ein Braunbär vor die Linse.

 

Touristische Aktivitäten rund um Luchs, Wolf und Bär in Slowenien

Bear Watching

Bären beobachten ist ein touristisches Highlight in Slowenien. Zwar gibt es Abende, an denen die Sichtung ausbleibt, da Tiere unberechenbar sind. Aber mit einem erfahrenen Guide durch den Lebensraum des Raubtieres zu laufen und dessen Spuren zu finden, ist ein einmaliges Erlebnis. Besonders empfehlenswert ist das Bear Watching des Public Institute for Culture and Tourism Kočevje. Hier begibt man sich einen Tag lang auf Spurensuche im wilden und magischen Wald Kočevsko. Verpflegt wird man durch feine lokale Produkte. Der Tag endet mit einem Bear Watching von einer bequemen Holzhütte mit grossen Glasfenstern aus.

kocevsko.com

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Lynx Trail Bikepacking Route

In Zusammenarbeit mit dem LIFE-Lynx-Projekt entstand dieser 221 Kilometer lange Mountainbike-Trail, auf dem man viel über die Natur und den Luchs erfahren wird. Die Fahrt führt durch die wunderschöne slowenische und kroatische Landschaft in vier Etappen vom DINA Pivka Center of Large Carnivores bis zur Adriaküste. Wer es lieber interaktiv mag, kann sich für 30 Euro ein Starterpaket im DINA Pivka Center kaufen. Dieses hilft, unterwegs Missionen zu erfüllen, um den Luchs vor dem Aussterben zu retten.

gravgrav.cc

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Forest Detox and Art in Nature

Die Wissenschaftlerin, Fotografin und Natur-Guide Petra Draškovič Pelc entführt in die magische Natur. Neben individuellen Touren durch den wunderschönen Wald Kočevsko, die sich ganz an den Bedürfnissen der Kunden orientieren, bietet Petra auch Auszeiten und Waldbaden in der slowenischen Natur an. Wer sich kreativ betätigen möchte, findet bei ihr auch die Möglichkeit, in die Natur einzutauchen und dies malerisch in Bildern festzuhalten. Nach einem Tag mit Petra fühlt man sich im Einklang mit der Natur und jede Spur von Stress ist verschwunden.

petradraskovic.com

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BE AROUND ME

Die slowenische Jägerin Tjaša und die beiden Jäger Jernej und Ervin führen Interessierte in den Javorniki-Wald. Dort begeben sich die Besucher auf Spurensuche, lernen die Tiere des Waldes kennen und erfahren, warum es wichtig ist, deren Lebensraum zu erhalten. Mit einem gewaltigen Wissen über Natur und Tiere gestalten die drei Wald- und Naturbegeisterten Familienspaziergänge, Wanderungen oder Bärenbeobachtungen spannend und interaktiv. Lokale und teilweise von den Jägern selbst hergestellte Spezialitäten und Getränke können unterwegs genossen werden.

bearoundme.com

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Slowenien in Kürze

  • Die gastfreundlichen Slowenen freuen sich, wenn Touristen ein paar Worte Slowenisch sprechen können. Allerdings beherrschen fast alle Einheimischen Englisch und die ältere Generation spricht oftmals auch die deutsche Sprache.
  • Die Währung ist der Euro. Slowenien ist generell günstiger als die Schweiz.
  • Das Land ist halb so gross wie die Schweiz und beherbergt nur zwei Millionen Einwohner.
  • Slowenien ist einer der EU-Staaten mit der grössten Biodiversität und unternimmt viel im Natur- und Umweltschutz. 35,52 Prozent der Staatsfläche stehen unter Schutz.
  • Slowenien ist vielfältig. Für Naturliebhaber finden sich weite Wälder, Berge und Seen, aber auch kulturell Interessierte kommen nicht zu kurz. Die 46 Kilometer lange Küste, die slowenische Adria, lädt zum Baden ein. Im Winter lässt es sich in den Bergen hervorragend Ski fahren.
  • Das Wildcampen ist verboten und wird mit Geldbussen geahndet. Im Wald zu zelten ist wegen der Bären sowieso keine sonderlich gute Idee. Einheimische raten dringend davon ab.
  • Im globalen Friedensindex 2023 ist Slowenien auf Platz 8 der sichersten Länder weltweit.
  • Slowenien hat dank seiner Geografie grosse klimatische Unterschiede. An der Küste herrscht ein mediterranes, im Hinterland ein kontinentales Klima. Slowenien ist ein grünes Land und das nicht ohne Grund. Regentage gehören auch dazu. Im Juli und im August gibt es die meisten Sonnenstunden.

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