Er ist eine seltsame Mischung. Die Zehen mit den scharfen Krallen weisen ihn eindeutig als Greifvogel aus, sein Kopf jedoch ähnelt dem einer Taube. Neugierig und wenig scheu betrachtet der Vogel mit den leuchtend gelben Augen die Welt. Nicht nur sein Aussehen unterscheidet den Wespenbussard (Pernis apivorus) von anderen europäischen Greifen. Auch sein Name macht dem Zugvogel alle Ehre. Trotz seiner stattlichen Grösse von bis zu 60 Zentimetern, ernährt er sich von staatenbildenden Insekten. Der Nesträuber plündert Wespen-, Hummel- und Hornissennester, um an die begehrten Larven und Puppen zu kommen. Bietet sich die Gelegenheit, schnappt er sich auch erwachsene Tiere und entfernt vorgängig den mit dem Stachel versehenen Hinterleib. In der Not erbeutet er Kleinsäuger, Jungvögel sowie Reptilien und Amphibien.

Der Nahrungsspezialist ist mit anatomischen Besonderheiten an seine stichfreudigen Opfer angepasst. Der für Greifvögel typische Überaugenknochen, der die Augen vor wehrhaften Beutetieren schützt, fehlt dem Wespenbussard. Dafür bewahren ihn steife, kurze Federn am Kopf vor Insektenstichen, ebenso eine extra versteifte Nickhaut über den Augen. Seine hühnerartigen Beine sind zudem dick beschuppt. Um zu verhindern, dass beim Graben nach Beute ein Insekt in die Atemwege gelangt, sind seine Nasenlöcher schlitzförmig und nicht wie bei den anderen Greifvögeln rundlich geformt.

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Der Wespenbussard ist nicht scheu, geht Trubel aber lieber aus dem Weg. Zurückgezogen lebt er während der Sommermonate in den Schweizer Wäldern und präsentiert sich, im Gegensatz zu Mäusebussard oder Rotmilan, kaum. Ganz nach dem Motto: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, ist er nicht sehr mitteilsam und gibt nur selten Laute von sich. Brüten tut der Zugvogel ab Mai in den gemässigten Zonen Europas, vom Mittelmeer bis an den Polarkreis. Seinen Horst baut er selbst, faulere Individuen nehmen aber auch alte Nester von Krähen und Mäusebussarden an. Zwischen einem und drei Eier werden abwechslungsweise durch beide Elterntiere bebrütet. Nach dem Schlupf legen die Alttiere das Nest regelmässig mit frischen Zweigen aus, da der Nachwuchs sein Geschäft direkt darin verrichtet. Nach etwa 42 Tagen werden die Jungtiere flügge, sind aber erst nach 75 bis 100 Tagen unabhängig von ihren Eltern.

Ab Ende August muss der Wespenbussard bereits wieder aufbrechen. Im Winter findet er bei uns keine Nahrung und verbringt die kalte Jahreszeit stattdessen in den Regenwäldern des tropischen Afrikas. Wer die Chance erhaschen möchte, diese kuriosen Vögel zu beobachten, kann sich im Herbst zu verschiedenen Orten in der Schweiz aufmachen. Auf dem Col de Bretolet (VS), am Gurnigel und Gurten (BE), im Leimental (SO/BL), am Klingnauer Stausee (AG) und im Wauwilermoos (LU) kann man mit viel Glück und gutem Timing grössere Verbände auf ihrem Herbstzug beobachten.

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