Per App
Mit dem Handy einfach seltene Vögel melden
Das Internet-Zeitalter macht es möglich, Informationen rasch und effizient auszutauschen. Viele Vogelbegeisterte machen sich dies zunutze und verwenden Websites und Apps, um die neusten Sichtungen seltener Arten zu dokumentieren und ihrerseits in Erfahrung zu bringen.
Wer an Geier denkt, sieht wahrscheinlich sofort einen Kadaver inmitten der Afrikanischen Savanne vor sich, um den sich ein paar krummhälsige, schwarze Vögel scharen. Dass diese auch bei uns in den Alpen vorkommen, weiss man unter anderem dank ornitho.ch, der Website der Vogelwarte Sempach, auf der Sichtungen gemeldet werden können. Sowohl Gänsegeier (Gyps fulvus) als auch die selteneren Mönchsgeier (Aegypius monachus) werden gesichtet sowie ab und zu ein in der Schweiz wieder erfolgreich angesiedelter Bartgeier (Gypaetus barbatus). Nicht nur Wanderer staunen über die imposanten Tiere, auch Vogelbegeisterte machen sich regelmässig auf den Weg, um die Bartgeier zu Gesicht zu bekommen.
Birdwatching – das Beobachten von Vögeln in der Natur – ist nicht zuletzt während der Coronapandemie zu einer beliebten Freizeitaktivität geworden. Besonders ehrgeizige Teilnehmer nennt man auch «Ticker», vom Englischen «to tick», was so viel wie «Abhaken» bedeutet. Ihr Ziel: so viele Vogelarten wie möglich mindestens einmal im Leben zu sehen – und somit abzuhaken. Wer es auf 300 Arten schafft, wird in den «Club 300» aufgenommen. Auf dessen Website (chclub300.ch) tauschen sich die Mitglieder stetig über die neusten seltenen Sichtungen in der Schweiz aus.
Verhaltenskodex bei Vogelsichtungen
Bis vor rund zehn Jahren war der Gänsegeier hierzulande noch einer dieser seltenen Gäste. Seit einem erfolgreichen Wiederansiedlungsprojekt in Frankreich findet er seinen Weg heute immer mal wieder über die Grenze. Zu einer Brut im Schweizer Gebiet hat es bisher jedoch noch nicht gereicht. Umso mehr freuen sich Vogelfreunde über ganze Gruppen von Vögeln, die sich an Orten wie am Schafberg ob Boltigen BE, Gadastatt ob Splügen GR oder beim Lago di Lucendro bei Airolo TI aufhalten. Wie genau Standorte von Beobachtungen angegeben werden, ist auch unter Ornithologinnen und Ornithologen umstritten. Teil des Verhaltenscodex unter Birdwatchern ist es daher, Sichtungen seltener Arten nur bekannt zugeben, wenn der Vogel von Interessierten beobachtet werden kann, ohne ihn zu stören oder andere Arten zu beeinträchtigen.
Bei Geiern ist das in der Regel kein Problem, da die grossen Vögel oft gut von Berghängen aus zu sehen sind, ohne dass die gängigen Wege verlassen werden müssen. Bei anderen Arten wie der stark gefährdeten Blaumerle (Monticola solitarius), die selten im Wallis und dem Tessin anzutreffen ist, besteht die Gefahr, dass die «Jagd» auf eine Sichtung ausarten kann. So berichten Vogelfreunde, dass offenbar weniger am Erhalt der Natur als vielmehr dem Abhaken Interessierte mit dem Auto Absperrungen ignorieren und über geschützte Brachflächen fahren, um ein Foto von dem amselgrossen blauen Vogelmachen zu können. Ein solches Verhalten ist unter Vogelenthusiasten verpönt und wird vor Ort meistens sofort angesprochen und die Verantwortlichen werden zur Rede gestellt. Meistens werden die lokalen Schutzbestimmungen jedoch respektiert, erst recht von den wirklich am Erhalt der Natur und der Vogelwelt-Interessierten.
Ein bei diesen Naturfreunden besonders beliebtes Gebiet ist das Fanel bei Ins BE. Es gehört zu den wichtigsten Naturschutzgebieten der Schweiz und erstreckt sich von der Broyemündung bis zum Ausfluss des Zihlkanals. In der seichten Bucht des Neuenburgersees befinden sich zwei kleine Inseln sowie Brutplattformen für Flussseeschwalben (Sterna hirundo). Die Lagune ist ein beliebter Rastplatz für Wat- und Zugvögel und von der Besucherplattform aus gut einsehbar. Am Wochenende ist die Chance gross, hier Vogelbeobachtende mit stattlichen Spektiven anzutreffen. Letztere sind ein fast unersetzliches Hilfsmittel, um die oft in einiger Entfernung sitzenden Vögel zu identifizieren. Watet dort hinten ein Grün- oder ein Rotschenkel(Tringa nebularia, T. totanus) durch den Schlick? Und was für eine Möwenart ist der weisse Fleck am Horizont? Eine Art Jagdinstinkt scheint bei vielen Birdwatchern erwacht zu sein, und nicht jeder ist offen dafür, seine Entdeckung mit anderen Interessierten zu teilen. Andere wiederum kommen aus dem Schwärmen kaum heraus. Er hätte eine der zierlichen Bartmeisen (Panurus biarmicus) im Schilf entdeckt, erzählt einer der Anwesenden stolz.
[IMG 2]
Im Hintergrund flötet ein Pirol (Oriolus oriolus), ein knallgelber Vogel, der trotz seiner auffälligen Farbe nur schwer im hellgrünen Blattwerk des kleinen angrenzenden Wäldchens auszumachen ist. Auch Nachtigallen (Luscinia megarhynchos) kann man hier ab und zu hören, wenn auch aufgrund des unscheinbar braunen Gefieders kaum sehen. Primär am Gesang identifizieren kann man die unzähligen Vögel in den Schilfgürteln rund um die Lagune. Sie werden abgekürzt liebevoll kollektiv «KBVs» genannt, kleine braune Vögel, da sie optisch so schwer auseinanderzuhalten sind. Rohrschwirl (Locustella luscinioides), Drosselrohrsänger (Acrocephalus arundinaceus) und Teichrohrsänger (Acrocephalus scirpaceus) sind relativ häufig zu hören, während der Feldschwirl(Locustella naevia), der Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoenobaenus) und der Sumpfrohrsänger (Acrocephalus palustris) seltener vorkommen. Laut Bestandesaufnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz (Ala) ist die Mittelmeermöwe (Larus michahellis) die am häufigsten beobachtete Brutvogelart im Fanel, gefolgt vom Kormoran(Phalacrocorax carbo), der sich in kleinen Gruppen auf einer der vorgelagerten Inseln sonnt. Besonders bekannt ist das Gebiet für seine zahlreichen im Winter durchziehenden Limikolen, den Regenpfeiferartigen, zu denen auch der zuvor erwähnte Grün- und Rotschenkel gehört.
Beobachtungsdaten via Handy melden
Viele Ornithologen zücken heutzutage bei Vogelsichtungen ihr Handy und geben ihre Beobachtungsdaten direkt in der zu ornitho.ch gehörenden App «NaturaList» ein. Die so gesammelten Daten sind eine wichtige Grundlage, um den Zustand der heimischen Vogelwelt einzuschätzen. Hinter einigen besonderen Arten erscheint ein gelbes Dreieck mit rotem Ausrufezeichen. Diese Meldungen gehen direkt an die Schweizerische Avifaunistische Kommission (SAK), die ungewöhnliche ornithologische Beobachtungen mithilfe eines speziell dafür angefertigten Formulars dokumentiert. Dies ist auch für die Skua (Stercorarius skua), die grösste Raubmöwenart, der Fall.
Sie ist eigentlich nur an Meeresküsten heimisch und wagt sich selten ins Binnenland. Normalerweise gibt es von diesem Vogel pro Jahr kaum mehr als ein bis zwei Sichtungen in der Schweiz, und so schnell eine entsprechende Meldung bei ornitho.ch auftaucht, so schnell versuchen auch andere Birdwatcher einen Blick auf sie zu erhaschen. Dieses Jahr sind es laut Club 300 dadurch schon 20 Sichtungen der Raubmöwe ge-worden, Tendenz steigend. Wer die Skua abhaken konnte, auf den warten andere ungewöhnliche Meldungen wie die eines Zistensängers (Cisticola juncidis) am Pfäffikersee ZH oder einer Gruppe Fahlsegler (Apus pallidus) in Genf. Dass man das jeweilige Tier auch zu Gesicht bekommt, ist natürlich nie garantiert. Aber durch die «Jagd» nach seltenen Vögeln lernt man auch Teile der Schweiz kennen, die man sonst vielleicht gar nie besuchen würde.
Mehr spannende Artikel rund um Tiere und die Natur?Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 20/2022 vom 6. Oktober 2022. Mit einem Schnupperabo erhalten Sie 6 gedruckte Ausgaben für nur 25 Franken in Ihren Briefkasten geliefert und können gleichzeitig digital auf das ganze E-Paper Archiv seit 2012 zugreifen. In unserer Abo-Übersicht finden Sie alle Abo-Möglichkeiten in der Übersicht.
Jetzt Schnupperabo abschliessen
Zur Abo-Übersicht
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren