Interview mit Buchautor Heinrich Haller
«Rabenvögel wurden jahrhundertelang stigmatisiert.»
Kolkraben, Wölfe und Menschen lebten ursprünglich in einer engen Gemeinschaft. Ein Interview mit Heinrich Haller, der die Schwarzfräcke während vielen Jahren beobachtet hat und ihr Leben in einmaligen Bildern in einem Buch dokumentiert.
Herr Haller, in welcher Zeitspanne sind die Bilder in Ihrem Buch entstanden?
Sie stammen aus den Jahren 2012 bis 2022. Kolkraben haben mich ein Leben lang bei verschiedenen wild-biologischen Projekten begleitet, sie waren stets präsent und haben nicht selten von den Beuteüberresten der von mir untersuchten Karnivoren profitiert.
Sie publizieren das faszinierende Bild eines Kolkraben, der mit einem Ei eines Bartgeiers im Schnabel von dessen Horst wegfliegt. Wie gelang Ihnen diese Fotografie?
Das war Zufall. Allerdings vermutete ich, dass das Bartgeierweibchen allein brütete, da es Teil eines Trios war und sich das einzige Männchen mit dem anderen Weibchen näher einliess. Um das solitäre Brüten zu belegen, bin ich eines Tages in gebührendem Abstand mit der Kamera und dem grossen Teleobjektiv angesessen. Dass in einer der längeren Brutpausen aber Kolkraben ein Ei stehlen würden, das hätte ich nicht erwartet.
Erlebten Sie, dass Menschen im Alpenraum Böses oder Unheil mit Raben in Verbindung brachten?
So direkt habe ich dies nie festgestellt. Jedoch, dass Rabenvögel, zumal die schwarzen, geringgeschätzt werden. Da gibt es viele Vorurteile. Als Allesfresser, die mannigfaltige Gelegenheiten für den Nahrungs-erwerb nutzen, oft Aas und Abfälle konsumieren, sind sie jahrhundertelang stigmatisiert worden. Die vielen Ressentiments haben vor allem mit dem schwarzen Gefieder und der Nähe zum Tod zu tun.
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In der Schweiz wird der Kolkrabe noch immer legal bejagt. Aus welchem Grund schiesst ein Jäger Kolkraben? Und schmälert die Jagd den Bestand?
In Einzelfällen möchte man sich eine spezielle Trophäe holen und lässt die Beute präparieren. In der Mehrheit der Fälle erfolgen wohl Abschüsse aus der Überzeugung heraus, für die Natur, konkret das Niederwild, etwas Gutes zu tun. Allerdings gibt es kaum Informationen über die ökologischen Wirkungen von Kolkraben. Dabei müssten auch ihre Leistungen, zum Beispiel als Aasverwerter, berücksichtig werden. Die Abschüsse haben grossräumig keinen Einfluss auf den Bestand. In einzelnen Kantonen scheint das Prinzip der Nachhaltigkeit beim Jagdbetrieb verletzt zu werden.
Was halten Sie von Intelligenzforschungen?
Die Kognitionsbiologie ist ein sehr spannendes Untersuchungsfeld, vor allem, weil wir dadurch mehr über uns selbst und unsere Position in unserer Um- und Mitwelt erfahren. Durch die Kognitionsforschung an den cleveren Rabenvögeln, die oft auch als «gefiederte Menschenaffen» bezeichnet werden, ist das Verständnis, wie sich Intelligenz entwickeln kann, in den letzten Jahren erheblich gesteigert worden. Dabei geht es um unser Weltbild, unsere Einstellung der Natur und den Mitlebewesen gegenüber. Dies ist die Grundlage für das Meistern unserer aktuell vielfältigen Probleme.
Warum machen Menschen auch heute noch Elstern oder Rabenkrähen für das Verschwinden von Sing-vögeln verantwortlich, obwohl das nachweislich nicht stimmt?
Rabenvögel sind zumeist Opportunisten. Wo es etwas zu holen gibt, nutzen sie die Gelegenheit. Manchmal betrifft dies auch die Brut anderer Vögel. Insgesamt gesehen ist dies kein Problem, zu lange schon leben diese Arten nebeneinander. Die vereinzelten Beobachtungen von Nestplünderungen haben zu Vorurteilen geführt. Im Gegensatz dazu ist die Entwicklung der modernen Land(wirt)schaft ein schleichender Prozess, für die Erhaltung der Artenvielfalt und Biodiversität aber mit gravierenden Auswirkungen.
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Heinrich Haller: «Der Kolkrabe», 216 Seiten, gebunden, mit zahlreichen farbigen Fotos, Haupt-Verlag, Bern
Der Biologe Heinrich Haller (1954) wohnt in Zernez GR. Er war von 1996 bis 2019 Direktor des Schweizerischen Nationalparks und amtete als Professor für Gebirgsökologie an der Universität Göttingen in Deutschland. Alle Aufnahmen im Buch hat der Autor selbst gemacht. Die grossformatigen Bilder zeigen Kolkraben in vielen typischen Positionen und in ihrem Lebensraum. Sie fesseln und wecken Emotionen für diesen Charaktervogel.
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