Lowingo ist etwas nervös, darum hat er eine Haube auf. Sie hilft ihm zu entspannen. Der junge Wanderfalkenterzel sitzt auf einer Stange und wartet auf seinen Einsatz. «Terzel, das sind die im Vergleich zu den Weibchen wesentlich kleineren Falkenmännchen», erklärt Norbert Wyssen. Er ist einer der wenigen Falkner der Schweiz, der Nachwuchs ausbildet.

Sein Hauptgebiet ist jedoch die ganzjährige Jagd auf Tauben und Krähen zur Vergrämung der Tiere aus Gebieten, wo sie nicht erwünscht sind. «Für manche Industriebetriebe und Bauernhöfe werden Tauben zum Problem, wenn sie sich unkontrolliert vermehren und sich auf dem Areal allzu wohl fühlen. Dann kann man uns engagieren», berichtet Wyssen.

Zu seinem «Sommerteam», welches zurzeit nicht in der Mauser und damit einsatzunfähig ist, gehören nebst Lowingo die Wanderfalkendame Arya, ein Lannerfalkenweibchen namens Bianca, und der Wüstenbussard Sämi. In den grossen Volieren in Othmarsingen im Kanton Aargau sitzen derweilen weitere Falken, darunter auch ein Turmfalke, den Wyssen zur Pflege aufgenommen hat.

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Denn nebst der Jagdfalknerei betreibt der ehemalige Polizist auch eine kleine Pflegestation für Greifvögel, die verletzt aufgefunden wurden und eine Chance für die spätere Wiederauswilderung haben. Diese werden nicht abgetragen und somit auch nicht an den Menschen gewöhnt.

Mit natürlichen Feinden gegen Überpopulation

«Abtragen» ist ein weiterer Begriff aus der Falknerei, abgeleitet vom vielen Herumtragen der Vögel auf der Faust des Falkners. «Der Vogel muss mir vollkommen vertrauen, dazu gehört das Wissen, dass er auf meiner Hand sicher ist und ihm nichts passiert, auch wenn drum herum Trubel ist», erklärt Norbert Wyssen. All seine Vögel hat er daher eine lange Zeit erstmal auf der Faust herumgetragen, erst mit der Haube, danach ohne, erst im Haus, später in der Nachbarschaft und draussen in der Natur. Daher würde auch der Begriff «einen Vogel haben» kommen, erklärt der Fachmann. Schon früher hätten die Leute erstaunt geguckt, wenn Falkner mit ihren Greifvögeln auf der Hand durch die Gegend spazierten. Und so hatten Zeitgenossen, die sich nicht der Norm entsprechend verhielten, «einen Vogel».

Seine Nachbarn hätten sich mittlerweile an den Mann gewöhnt, der mit den Falken spazieren geht, erzählt Norbert Wyssen. Ab und zu werde er noch auf die Haube angesprochen. «Viele denken dann, dass das arme Tier ja gar nichts sehen könne, dabei hilft es dem Falken, sich gegen die vielen Reize etwas abzuschotten», erklärt Wyssen.

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Oft würden seine Tiere die Kopfbedeckungen freiwillig anziehen, weil sie sie kennen und wissen, dass sie damit zur Ruhe kommen. Die Hauben sind aus besonders weichem Leder gefertigt und passen genau auf den Kopf des Falken, ohne dass Druckstellen entstehen. Auch das Geschüh, die Lederriemen am Fuss der Tiere, ist passgenau. Es besteht aus Känguruhleder, da dieses besonders leicht und reissfest ist. Mithilfe der Riemen sichert ein Falkner das Tier, das auf seiner Hand sitzt, bis er es losfliegen lässt.

Norbert Wyssen setzt sein Vierergespann aus Wüstenbussard, Wander- und Lannerfalken in den Kofferraum seines Autos und macht sich auf den Weg zu einem Bauernhof, der seine Hilfe braucht. «Dem Landwirt droht der Entzug der Bewilligung zur Milchkuhhaltung, weil die Tauben überall hin koten und mit anderen Mitteln nicht zu vertreiben sind», berichtet Wyssen.

Oft fehlt es an natürlichen Feinden, sodass sich die verwilderten Haustauben ungebremst vermehren können. Das schadet nicht nur den Landwirten, sondern auch den Tauben selbst, da sich so leichter Krankheiten unter dem Schwarm ausbreiten können. Durch den Einsatz von Greifvögeln werden die Tauben von dem Gelände verscheucht. «Allerdings reicht es nicht, wenn ich meine Falken einmal fliegen lasse. Wir müssen regelmässig wiederkommen und Präsenz zeigen, bis sich die Tauben einen neuen Brutplatz suchen», so der Falkner.

Wie wird man Falkner?
- Abgeschlossene Jägerprüfung
- Sachkundenachweis der Falknervereinigungzum Halten von Greifvögeln
- Falknerprüfung

Schon von Weitem kann man den Taubenschwarm sehen, der flatternd über dem Dach des Bauernhofes seine Kreise dreht. Die über hundert Tiere finden auf landwirtschaftlichen Betrieben paradiesische Bedingungen: jede Menge Futter, Nistmöglichkeiten und keine Fressfeinde.

Durch bauliche Massnahmen lässt sich nur ein Teil des Problems beheben. Meist ist es die schiere Verzweiflung, die Landwirte zum Telefon greifen und Norbert Wyssens Nummer wählen lässt. Nach einer Beratung sucht der Falkner dann den Örtlichkeiten angepasste Vögel aus, die bei der Vergrämung zum Einsatz kommen. «Falken sind schnelle Flieger, sie setze ich für hohe Flüge ein. Der Bussard ist für die Tiefe zuständig», erklärt Wyssen.

Schnelle Flieger mit Technologie im Gepäck

Wanderfalkenweibchen Arya geht als Erste an den Start. Norbert Wyssen hängt ihr einen kleinen GPS-Sender an den Rücken, mit dessen Hilfe er den Falken mit seinem Handy folgen kann. «Früher hat man den Tieren kleine Glöckchen ans Geschüh gehängt, damit man hören konnte, wo sie sind», sagt Wyssen. Mithilfe der modernen Technologie sei es einfacher geworden, den Standort der Tiere zu bestimmen. Meist sei dies jedoch nicht nötig, da seine Falken selten weit von ihm weg fliegen.

«Falken fliegen nie zum Vergnügen», erklärt der Experte. «Ein Wanderfalke fliegt maximal 10 bis 15 Minuten, danach muss er sich ausruhen. Er fliegt nur, um Beute zu jagen. Entsprechend muss ich dafür sorgen, dass meine Vögel topfit sind, jedoch noch kein Frühstück hatten.» Arya entdeckt die Tauben sofort, und macht sich auf den Weg zum Schwarm, der auf dem Dach sitzt. Auch die Tauben sind aufmerksam und fliegen hoch, sobald der Falke in die Nähe kommt. Der Schwarm zieht unterbrochen vom Falken einige Kreise, danach kehrt Arya zu Wyssen zurück. Er wartet bereits mit einem toten Küken als Belohnung auf die Falkendame.

Normalerweise würde Wyssen warten, bis der Falke eine Taube geschlagen hat. «Dabei wählt der Greifvogel ein krankes oder verletztes Tier aus, das ohnehin nicht mehr lange gelebt hätte», erklärt der Falkner. Gegen gesunde und fitte Tiere haben die Greifvögel oft keine Chance. Auch jagen Wanderfalken ausschliesslich Vögel im freien Luftraum. Wanderfalken erreichen im Sturzflug eine Geschwindigkeit von bis zu 380 Kilometern pro Stunde und sind somit die schnellsten Tiere der Welt. Sitzen die Tauben auf dem Dach, so sind sie für die Greifvögel unerreichbar.

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Terzel Lowingo ist erfolgreicher als seine Artgenossin und erwischt eine der Tauben im Flug. Er tötet sie geschickt mit einem Genickbiss und bleibt bei der Beute sitzen. Mithilfe des GPS-Senders ist Norbert Wyssen sofort zur Stelle und tauscht die Beute gegen ein Stück Hühnchen. Greif-vögel würden ihre Beute nie zum Falkner bringen, erklärt er, daher müsse er seinen Tieren immer folgen und dann auch sicherstellen, dass der geschlagene Beutevogel tot ist und nicht leidet.

Die Tauben auf dem Dach sind jetzt merklich alarmiert. Sie wissen nun, dass ein Greifvogel in der Nähe ist, der es auf sie abgesehen hat. In ein paar Tagen wird Norbert Wyssen mit seinen Falken wiederkommen und erneut Jagd auf die Vögel machen. Zuvor lässt er jedoch noch seinen Wüstenbussard Sämi fliegen. Als Tiefflieger soll er direkt Jagd auf die auf dem Dach sitzenden Tauben machen. Er interessiert sich jedoch wenig für die Tiere und fliegt lieber scheinbar ziellos über die Felder rund um den Hof. Wyssen muss ihn mithilfe eines Federspiels zurückholen.

Das Federspiel besteht aus einem Büschel Krähenfedern am Ende einer Schnur mit einem kleinen Lederkissen, das der Falkner durch die Luft wirbeln lassen kann. Der Bussard weiss, dass sich auf dem Federspiel eine Belohnung befindet, und greift sich die Beuteattrappe. Trotzdem ist Wyssen sehr zuversichtlich. «Die Tauben haben die Greifvögel auf jeden Fall wahrgenommen und einige werden sich vielleicht bis zum nächsten Mal schon einen neuen Platz gesucht haben.»

Mehr Spatz als Adler?
Als Greifvögel wurden bis vor Kurzem alle fleischfressenden, tagaktiven Vögel bezeichnet. Der Falke sollte somit intuitiv dazu gehören und wird auch im Artikel unter dem Begriff geführt. Durch molekulargenetische Untersuchungen wurde jedoch kürzlich entdeckt, dass Falken nicht näher mit den traditionellen Greifvögeln wie Adlern, Habichten und Bussarden verwandt sind, sondern eher mit den Papageien und Sperlingsvögeln wie den Spatzen. Die starke äussere Ähnlichkeit ist offenbar durch konvergente Evolution entstanden. Dabei entwickelten sich Merkmale mehrere Male unabhängig voneinander, ohne dass eine nähere Verwandtschaft besteht. Bei Greif-vögeln und Falken betrifft dies die Form des Schnabels und der Krallen, die Art der Jagd und andere Aspekte der Lebensweise.

Einen Falkenhorst oder eine Greifvogelattrappe auf dem Gelände aufzustellen, würde übrigens nichts bringen. Einerseits jagen Falken in einiger Entfernung vom Nest, also nicht direkt um den Horst herum, andererseits wissen auch die Tauben, dass Greifvögel ihnen nur von oben gefährlich werden können.

Eine Attrappe wird also nicht als Gefahr wahrgenommen und entsprechend ignoriert. «Ähnlich sinnlos wäre es, wenn ich einfach mit dem Vogel auf der Hand über den Hof spazieren würde», so Wyssen. Seine Vögel müssen fliegen und jagen, sonst hat der Vergrämungsversuch auch längerfristig keinen Effekt.

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Von Jägern und Gejagten

Norbert Wyssens Falken stammen alle von Züchtern. Davon gibt es in der Schweiz kaum welche, weswegen die meisten Falken und anderen Greifvögel aus dem nahen Ausland importiert werden. Es würden keine wilden Vögel einfangen, erst recht nicht, seit die Populationen zurückgegangen seien. «Durch den Einsatz von Pestiziden ist der Bestand wildlebender Wanderfalken in den Sechzigerjahren dramatisch eingebrochen», berichtet Wyssen. Die grossflächige Anwendung von Dichlor-Diphenyl-Trichlorethan (DDT) in der Landwirtschaft wirkte sich negativ auf die Bestände der Greifvögel aus.

Ein Bestandteil des Pestizids liess die Eierschalen dünner und zerbrechlicher werden, sodass der Schlüpferfolg dramatisch zurückging. 1971 wurde ausserhalb des Alpenraums in der Schweiz lediglich noch ein Brutpaar gezählt. Ende der Siebzigerjahre wurde DDT dann in Europa verboten und die Brutplätze von Wanderfalken unter Schutz gestellt in der Hoffnung, dass die Population sich erholt.

Ob dies der Fall ist, verfolgt Dr. Marc Kéry. Der Biologe ist im nördlichen Jura unterwegs, um potenzielle Brutplätze zu kontrollieren. «Bereits als junger Bub habe ich die Felswände in der Gegend mit dem Velo abgeklappert und nach Wanderfalken Ausschau gehalten», erzählt der Basler.

Für seine Dokumentation über Brutbiologie und Verhalten an einem Wanderfalkenhorst im Jura erhielt er damals einen Preis der Stiftung Schweizer Jugend forscht. Heute betreut der Mitarbeiter der Vogelwarte Sempach 50 Brutplätze in der Region. Ausgerüstet mit Fernglas und Spektiv sucht er exponierte Felswände nach Zeichen der Wanderfalken ab. Vom Kot ausgebleichte Stellen unter Fels-löchern sind dabei deutliche Hinweise, dass diese wahrscheinlich zum Brüten genutzt werden. «Zum Glück sind Wanderfalken sehr wählerisch und bleiben meistens ihren Brutplätzen treu», sagt Kéry. So weiss er genau, wo er nach den Tieren suchen muss.

Besonders hoch gelegene, exponierte Felswände werden von den Falken bevorzugt. Aber nicht nur sie, sondern auch der Uhu nistet gerne dort. «Seit sich sein Bestand in der Schweiz wieder erholt, nimmt die Zahl der Wanderfalken wieder ab», erklärt Kéry. Das liegt daran, dass die Küken und teilweise auch die Adulten des Wanderfalken auf dem Speiseplan der grossen Eule stehen. Wo also der Uhu brütet, findet man meist keine Falken mehr. Für Kéry sind es jedoch eher die menschlichen Faktoren, die besorgniserregend sind: «Zwischen 2009 und 2015 haben wir im Nordjura 30 der 70 ansässigen Brutpaare verloren und davon gehen einige auf das Konto des Menschen.»

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Kletterer, Paraglider und Wanderer kommen unbewusst den Horsten näher und sorgen für Störung der empfindlichen Vögel. Wanderfalken geben ihre Brutplätze dann auf und finden in der Umgebung keine geeigneten Alternativen. Auch käme es immer noch zu illegalen Abschüssen und vor allem auch zu Vergiftungen. «Studien aus Südafrika zeigen, dass der Tod von einigen wenigen adulten Wanderfalken über das Überleben oder lokale Aussterben einer kleinen Population entscheiden kann», berichtet Kéry. Für den nördlichen Jura würden acht tote ausgewachsene Falken pro Jahr zusätzlich zur normalen Mortalität wahrscheinlich das Ende der Population bedeuten.

Zum Glück finden abwandernde Falken aus dem nahen Ausland ihren Weg zu uns in die Schweiz und sorgen dafür, dass frei gewordene Reviere wieder besetzt werden. Die traditionellen Brutplätze werden übernommen und in seltenen Fällen auch neue etabliert. Dabei sind die Falken manchmal auf die Vorarbeit anderer Vogelarten angewiesen. «Wanderfalken bauen ihre Nester nicht selber, sondern übernehmen oft verlassene Horste von Kolkraben und anderen grossen Vögeln», erklärt Marc Kéry.

Meist würden Wanderfalken aber auch einfach in einer Felsnische brüten. Mitte März legt das Weibchen darin ihre Eier ab und bebrütet sie Tag und Nacht. In der Zeit wird sie vom Terzel, dem Männchen, mit Futter versorgt. Damit das Weibchen in Ruhe fressen kann, übernimmt das Männchen in der Zeit das Brüten. Das Weibchen fliegt dann mit ihrer Beute zu einem nahegelegenen Fressplatz, um dort ihren Hunger zu stillen. Nachts bleibt das Weibchen auf den Eiern sitzen, während das Männchen in der Nähe schläft.

Nach dem Schlüpfen der Küken Mitte April versorgt der Terzel die ganze Familie. Dabei muss er einiges leisten, denn ein ausgewachsener Wanderfalke frisst im Schnitt 150 Gramm Fleisch pro Tag, etwa 50 Prozent des Gewichts einer mittelgrossen Taube. Erbeutet das Männchen lediglich Finken, Stare oder Drosseln, so erfordert das einen entsprechend grösseren Jagdaufwand. Auch nachdem die Jungen flügge geworden sind, werden sie von den Eltern noch ein bis zwei Monate weiter versorgt. Die Jungfalken bleiben dann in der Nähe des Horsts, üben das Fliegen und Jagen, und bekommen von ihren Eltern Beute geliefert.

Falken sehen
Turmfalken kann man in der Schweiz mit etwas Glück fast überall in freier Wildbahn sehen. Die kleinen Greifvögel fliegen dabei oft über Felder, auf denen sie Mäuse finden, und sind unter anderem am typischen «Rütteln» zu erkennen. Dabei steht der Vogel durch kurze, ruckartige Flügelschläge an einer Stelle in der Luft, nur um kurz danach im Sturzflug auf seine Beute hinunterzutauchen. In Gefangenschaft kann man Turmfalken im Greifvogelpark Buchs (SG) und im Tierpark Bözingerberg bei Biel sehen.

Wanderfalken halten der kleine Tierpark in Niederbipp, die Falconeria Locarno und der Greifvogelpark Buchs. In Letzterem kann man auch die dritte heimische Falkenart, den Baumfalken, bewundern. Sowohl der Greifvogelpark Buchs als auch die Falconeria Locarno zeigen zudem einige exotische Falkenarten wie Lanner-, Saker-, Ger- und Wüstenfalken. Beide Falknereien bieten regelmässig Flugshows an, bei denen Greifvögel und Eulen in Aktion hautnah erlebt werden können.
greifvogelpark.ch
falconeria.ch

«Wenn das Wanderfalkenpärchen Pech hat, so fällt die Brut jedoch dem Marder zum Opfer», berichtet der Biologe. Baum- und Steinmarder sind mit dem Uhu die grössten Fressfeinde des Wanderfalken. Als geschickte Kletterer finden sie ihren Weg oft auch in steil gelegene Felslöcher. Umso wichtiger ist laut Kéry der Schutz von besonders optimal gelegenen Brutplätzen. Bei diesen sorgt der Biologe dann auch schon mal persönlich dafür, dass das Regenwasser besser ablaufen kann, oder er sorgt mithilfe von grossen Steinen, die er mit Armierungseisen im Felsen befestigt, für eine optimalere Ausstattung des Wanderfalkenheims.

«Wichtig ist wie schon gesagt auch die Vermeidung von Störungen durch den Menschen», betont Kéry. Eine Sperrung der Felsen für Kletterer und Wanderer zwischen Februar und Ende Juni würde den Tieren genügend Zeit geben, um ihre Brut aufzuziehen. Solche Sperrungen werden lokal in Zusammenarbeit mit einer Kletterorganisation auch sehr flexibel gehandhabt, je nachdem, welcher Horst in einer Kletterwand im Jahr besetzt ist.

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Falkner und Biologen ziehen am selben Strang

Junge Wanderfalken aufziehen, das hätten in den Siebzigerjahren auch Falkner schnell lernen müssen, erzählt Norbert Wyssen. Laut ihm haben Falkner durch die Zucht der damals vom Aussterben bedrohten Greifvögel wesentlich zum Comeback der Tiere beigetragen. «Auch wenn es kontrovers klingt, so haben viele Falkner zum Artenschutz beigetragen, indem sie von Hand aufgezogene Tieren für Wiederansiedlungsprojekten zur Verfügung gestellt haben», erzählt Wyssen.

Vor rund 50 Jahren hatten die letzten Falkner in der Schweiz vereinzelt eine Bewilligung zum umstrittenen «Aushorsten» erhalten, also der Entnahme von Eiern wildlebender Falken aus dem Horst, um sie in der Falknerei auszubrüten. Seit dem starken Populationsrückgang dürfen jedoch nur noch nachgezüchtete Greifvögel gehandelt werden. Die Tiere müssen beringt sein und dürfen nur mit einem entsprechenden Nachweis über die Herkunft gehalten werden.

Auch Marc Kéry ist zuversichtlich, dass der Wanderfalke mit den heutigen Schutzmassnahmen auch in Zukunft fester Bestandteil der Schweizer Fauna sein wird. Der Biologe späht in das Loch in der steilen Felswand. «Ich sehe die potenziellen Brutplätze, aber kein Weibchen», murmelt Kéry, während er sein Spektiv scharf stellt. In den dunklen Felslöchern einen Wanderfalken zu erkennen, ist nicht immer leicht. «Lediglich wenn der Vogel den Kopf kurz hebt, könnte man die kontrastreiche Zeichnung erkennen.»

In ein paar Tagen sollten die Jungen geschlüpft sein, dann wird Kéry wiederkommen. Denn dann sind die Eltern voll damit beschäftigt, ihren Nachwuchs zufüttern, und sind somit nicht für den Experten nicht mehr zu übersehen. «Dann ist rund um den Horst mehr los, und ich kann mit etwas Glück die anfliegenden Eltern beobachten.» So seltene Tiere zu Gesicht zu bekommen und zu sehen, wie die nächste Generation entsteht, erfülle ihn immer noch mit Freude, erzählt der Biologe. Er ist zuversichtlich, dass der Wanderfalke mit den heutigen Schutzmassnahmen auch in Zukunft fester Bestandteil der Schweizer Fauna sein wird.