In der Natur herrscht ein ständiger Kampf ums Überleben. Nur die Widerstandsfähigsten setzen sich durch, sichern ihre eigene Existenz und tragen zur Erhaltung ihrer Art bei – so zumindest lautet die gängige Auffassung der Evolutionstheorie von Charles Darwin. Doch es gibt Ausnahmen. Einige Tiere scheinen gegen die Prinzipien der natürlichen Selektion zu handeln, indem sie ihr eigenes Leben riskieren oder sogar opfern, um anderen zu helfen. Dieser scheinbare Widerspruch stellt einen faszinierenden Aspekt des Tierverhaltens dar, den man als Altruismus bezeichnet.

Darwin erkannte bereits im 19. Jahrhundert, dass die Idee des Altruismus schwer in sein Konzept der natürlichen Selektion passt, welches auf dem Prinzip des «Survival of the Fittest» basiert – also dem Überleben der am besten an ihre Umwelt angepassten Individuen. Wie kann es also sein, dass Arbeiterbienen völlig selbstlos den Nachwuchs ihrer Königin pflegen und sogar ihr Leben opfern, um den Bienenstock zu schützen, obwohl sie selbst nie eigene Nachkommen haben werden? Jenes Verhalten stellte eines der grössten Rätsel für Darwin dar.

Zum Schutze der Gene

Es dauerte über hundert Jahre, bis eine Lösung geboten wurde. Der britische Biologe William Hamilton und dessen Theorie der Verwandtenselektion sollten Aufschluss geben. Sie besagt, dass Tiere altruistisches Verhalten zeigen, um die Gene ihrer Verwandten zu schützen und weiterzugeben. Auch wenn ein Individuum stirbt, kann es durch die Hilfe für nahe Verwandte sicherstellen, dass ein Teil seiner eigenen Gene überlebt. Dies erklärt zum Beispiel das Verhalten der Arbeiterbienen: Sie sind mit der Königin eng verwandt, da sie all ihre Gene von ihr und den Drohnen erhalten haben. Indem sie die Königin und ihre Nachkommen schützen, helfen sie indirekt, ihre eigenen Gene zu verbreiten.

Neben diesem familiären Altruismus existieren jedoch auch Beispiele, bei denen sich Tiere ohne direkte Verwandtschaft gegenseitig helfen. In vielen Lebensgemeinschaften finden sich Handlungen, bei denen Einzelne grosse Risiken eingehen oder auf eigene Vorteile verzichten, um das Wohl anderer zu sichern. Ob es nun darum geht, die Gemeinschaft vor Bedrohungen zu bewahren, gemeinsam für den Nachwuchs zu sorgen oder Ressourcen zu teilen, zeigen Tiere immer wieder, dass Kooperation über reine Konkurrenz hinausgeht. Selbst unter den härtesten Bedingungen, in denen das eigene Überleben gefährdet ist. Solche Verhaltensweisen deuten darauf hin, dass die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Fürsorge eine tiefere Rolle im Überleben und der Evolution spielen könnte als ursprünglich angenommen.

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Wale

Wenn ein Artgenosse strandet oder angegriffen wird, versuchen Wale, ihm zu helfen. Selbst ohne direkte Verwandtschaft scheinen soziale Bindung und Mitgefühl stark genug zu sein, um sich dabei in Gefahr zu bringen.

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Pinguine

Pinguine wagen kilometerweite Strecken über gefährliches Eis und raue Gewässer, um Nahrung für ihren Nachwuchs zu finden. Dabei riskieren sie ihr Leben, um das Wohl ihrer Küken zu sichern.

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Vampirfledermäuse

Vampirfledermäuse ernähren sich ausschliesslich von Blut und können ohne regelmässige Mahlzeiten innerhalb weniger Tage verhungern. Bleibt eine Fledermaus bei der Nahrungssuche erfolglos, spenden Artgenossen ihre Beute, indem sie das Blut hochwürgen und teilen.

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Honigbienen und Explosionsameisen

Sowohl für die Honigbiene als auch die Explosionsameise endet ein Stich oder das Sprengen des eigenen Körpers tödlich. Sie opfern ihr Leben, um ihre Gemeinschaft vor Bedrohungen zu schützen.