Im Jahr 2021 schlug eine moderne Fünfkämpferin auf ihr Pferd ein, weil es den Sprung verweigerte. Letzten Sommer sahen wir, wie eine Dressur-Olympionikin ihr Pferd mit der Gerte zu höheren Tritten zwang. Die Empörung war riesig. Die Vorfälle haben eine öffentliche Debatte über den Pferdesport und die Pferdehaltung ausgelöst, mit der Folge, dass der Reitsport zunehmend in die Kritik gerät und sich auch Freizeitreiterinnen und -reiter rechtfertigen müssen.

Pferde sind Tiere, keine Menschen. Sie sind Fluchttiere, geschaffen für das Leben in Herden, für wilde Bocksprünge auf der Weide, nicht für Pirouetten in der Arena. Wir drehen unser Leben um sie, aber ihr Leben dreht sich sicher nicht um uns. Das Reitpferd, wie wir es heute kennen, ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist Ergebnis jahrhundertelanger Zucht. Faires Reiten beginnt nicht erst im Sattel. Es beginnt bereits im Stall bei artgerechter Haltung, guter Pflege und passender Ausrüstung. Passt der Sattel beispielsweise nicht, kann der Reiter noch so feine Hilfen geben, dem Pferd tut es schlicht und einfach weh. Faire Pferdehaltung und Reiterei ist komplex. Wer reitet, muss sich ständig hinterfragen: verstehe ich die Biomechanik meines Pferdes? Kenne ich seine Bedürfnisse, seine Sprache, seine Grenzen? Solche Reiterinnen und Reiter braucht der Pferdesport.

Ob Reiten grundsätzlich Tierquälerei ist, lässt sich auf keinen Fall pauschal beantworten. Aber eines ist sicher: ein Pferd, das korrekt bemuskelt ist, sich selbst tragen kann und den Kopf vor der Senkrechten hält, die Reiterin einen leichten Sitz sowie feine Hände hat, leidet nicht. Auf Turnieren – ob olympisch oder dörflich – und im Gelände zeigen sich teilweise andere Bilder. Und jeder, der schon einmal auf einem Pferd sass, weiss: Reiten ist schwierig und nicht mit «Zügelziehen und Hackenstossen» getan. Hinzu kommt, dass jedes Pferde-Reiter-Paar anders ist. So müssen sich Reiterinnen und Reiter auf jedes Pferd neu einstellen. Faire Pferdehaltung fängt aber noch viel früher an: Fohlen sollten laut Wissenschaft erst nach einem Jahr von der Mutter getrennt werden – in der Praxis passiert das oft schon nach sechs Monaten, wenn das Fohlen auf die Fohlenweide wechselt. Gruppenhaltung gilt als das Beste für Pferde – trotzdem stehen viele einzeln. Und 80 Prozent der Pferde in der Schweiz husten, meist wegen schlechter Raufutterqualität. Auch das ist Teil des Problems.

Die Pferdehaltung und der Reitsport stehen an einem Scheideweg. Manche Antworten liegen längst auf dem Tisch: Pferde sind keine Statussymbole, keine Sportgeräte, keine Medaillenlieferanten und keine Ersatzkinder. Sie sind Pferde. Und wer sich entscheidet, mit ihnen zu leben und zu arbeiten, trägt Verantwortung, unabhängig von Reitniveau oder Disziplin. Das allerhöchste Ziel eines jeden Pferdemenschen sollte ein Pferd als Partner auf Augenhöhe sein.

Zur AutorinGeraldine Wälchli ist Volontärin bei der TierWelt. Sie reitet seit Kindheit, probierte verschiedene Stile und Philosophien aus. Vom Ziel ist sie noch weit entfernt, denn womit alle Reitlehrerinnen recht hatten: Reiten hat man nie ausgelernt.