Lukas Kammermann kauert am Kompost. In der einen Hand hält er eine kleine Schaufel, in der anderen einen weissen Kartonteller. Er nimmt eine Schaufel voll frischer, dunkler Erde und verteilt sie vorsichtig auf dem Teller. «Nichts», sagt er nach einem kurzen Blick darauf. «Doch! Da, ein Wurm. Der kommt nun in die Becherlupe. Dort können wir ihn genauer anschauen und danach mit unserem Bodenschieber vermessen und bestimmen.»

Kammermann ist Mitarbeiter der Fachstelle Umweltbildung am Naturmuseum Naturama in Aarau. Was er hier vorführt, ist das neueste Bildungsangebot aus diesem Hause. Unter dem Namen «Expedio» entstehen am Naturama im Internet abrufbare Lehrmittel, mit denen Lehrerinnen und Lehrer ihren Schülern verschiedene Themen aus der Tier- und Pflanzenwelt näherbringen können. Zum Beispiel eben den Boden und seine Bewohner. Andere Lerninhalte befassen sich mit Amphibien, Schnecken, Spinnen oder auch mit dem Lebensraum Flussauen.

Ein Gefühl für die Vielfalt bekommen «Am Anfang steht stets eine spielerische Einführung ins Thema», erklärt Kammermann. Beim Boden ist dies ein Memory zum Stichwort «Löcher». Da gibt es das Loch in der Betonmauer, die Höhle des Murmeltiers oder die Löcher im Käse. Danach wird es ernster: Die Kinder lernen zum Beispiel, dass der Boden aus verschiedenen Schichten besteht: Die Humusschicht ist das Stockwerk direkt unter unseren Füssen. Danach kommen der Oberboden, in dem die Erde noch recht locker liegt und der Unterboden mit seinen vielen Steinen und dem schon dicht zusammengepressten Erdreich. Zuunterst schliesslich folgt der Untergrund, eine Steinschicht, aus der im Lauf der Jahrtausende neuer Boden entstehen kann.

Der dritte Schritt ist ein Forschungsauftrag. «Unser Ziel ist es, die Kinder in die Natur hinauszubringen», sagt Kammermann. So versuchen die Schüler in einer Lektion, selbst ein Bodenprofil freizulegen – in einer anderen machen sie sich eben auf die Suche nach Bodenbewohnern. «Es geht uns nicht darum, jede Springschwanz-Art genau zu bestimmen», betont Kammermann. «Die Kinder sollen ein Gefühl bekommen für die Vielfalt, die in diesem verborgenen Lebensraum steckt.»

Ohne ein bisschen Bestimmungsarbeit geht es aber nicht. Dabei kommt die Becherlupe zum Einsatz – und der Bodenschieber, eine Art Bastelbogen, den die Bildungsfachleute zu diesem Zweck entwickelt haben. Mit dem darauf eingezeichneten Massstab wird das gefundene Tierchen ausgemessen, in der Becherlupe werden seine Beinchen gezählt. Auf dem Bodenschieber kann man nun ablesen, was man vor sich hat. Der Wurm, den Kammermann gefunden hat, hat natürlich keine Beine und ist ungefähr vier Zentimeter lang. Beinlose Bodenbewohner sind laut dem Schieber der Regenwurm, der Fadenwurm, Schliessmundschnecken und Fliegenlarven. Der Fadenwurm allerdings ist weniger als drei Millimeter lang – also muss der Wurm vor uns ein Regenwurm sein. In der Schweiz kommen rund 40 Regenwurmarten vor, der bekannteste ist der Gemeine Regenwurm oder Tauwurm. In Mist- oder Komposthaufen häufig anzutreffen ist der kleinere, rötliche Kompostwurm.

Beinchen und Tierchen zählen
Sechsbeinige Bodenlebewesen, so ist dem Schieber zu entnehmen, sind stets Insekten, zum Beispiel Ohrwürmer, Ameisen oder einige Käferarten. Von den Achtbeinern gibt es zum Beispiel Weberknechte, Milben oder kleine Skorpione, die alle zu den Spinnentieren gehören. Gar 14 Beine hat die Kellerassel. Dieses kleine, mit den Krebsen verwandte Tierchen ist praktisch unter jedem Stück Holz zu finden, das für einige Zeit am Boden gelegen hat. Alles schliesslich, was über 14 Beinchen hat, gehört zur Klasse der Tausendfüsser, wobei die Zahl der Beine dieser Tiere zwischen 16 und etwa 750 liegt – einen wirklichen Tausendfüsser gibt es also gar nicht.

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Lukas Kammermann bei der Arbeit.
  Bild: Simon Koechlin

Zur Bodensafari gehört auch, die gefundenen Tierchen zu zählen, eines davon abzuzeichnen – und sie möglichst bald wieder freizulassen. Selbstverständlich können Lehrerinnen und Lehrer auch ihre eigenen Ideen einbauen: Die Tierchen mit Knetmasse nachbilden, die Funde aus verschiedenen Bodenproben miteinander vergleichen, übers Jahr einem Kompost beim Verrotten zuschauen – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. 

Auch ein Besuch im Museum selbst lohnt sich – das Naturama bietet einiges zum Thema Boden. Ein Bodenprofil zum Beispiel lässt sich hier eins zu eins bestaunen, mitsamt den Wurzeln, die sich durch die obersten Schichten ziehen. «Die Schülerinnen und Schüler erinnern sich hier, was ihnen in die Quere gekommen ist, als sie selber gegraben haben», sagt Museumspädagogin Kathrin Krug. 

Sie zeigt den kleinen Bodenforschern auch, welch immense Arbeit die Tierchen zu verrichten imstande sind. Ein paar Schritte hinter dem Bodenprofil steht eine fast zwei Meter hohe Säule, die bis oben mit Laub gefüllt ist. «So sähe es auf dem Boden nach einem Jahr aus, wenn die Bodenlebewesen das Laub nicht abbauen würden.»

Grossformatige Modelle der wichtigsten paar dieser Destruenten neben der Laubsäule zeigen auf, was unser Auge normalerweise nicht wahrnehmen kann: die Äuglein des Springschwanzes zum Beispiel oder die Behaarung einer Milbe. Hier ist auch erklärt, welches Tierchen für welchen Schritt der Zersetzung eines Blattes zuständig ist: Schliessmundschnecken fressen die ersten Löcher aus dem Laub. Danach folgen Springschwänze, Milben, Asseln und zum Schluss – wenn praktisch nur noch die Blattrippen vorhanden sind – eine ganze Armee von Regenwürmern.

Erdkröte und Weinbergschnecke
In einer weiteren Museumsvitrine machen die Kinder Bekanntschaft mit Bodenbewohnern, die sie anfangs vielleicht gar nicht als solche bezeichnen würden. Tief im Unterboden hat sich eine Erdkröte verkrochen – sie ist im Winter auf einen Ort angewiesen, an dem es nicht gefrieren kann. Auch die Weinbergschnecke verbringt die kalte Jahreszeit eingegraben in der Erde. Und was ist mit dem Igel? Ist auch er ein Bodentier, wenn er sich unter einer dicken Laubschicht zu seinem Winterschlaf zurückzieht? «Hier beginnen die Kinder jeweils spannende Fragen zu diskutieren», sagt Kathrin Krug.

Derweil hat Lukas Kammermann draussen auf seiner Bodensafari Verstärkung bekommen. Der zehnjährige Manuel hilft ihm, eine Filmsequenz für das neue Lehrmittel zu drehen. Vor der Kamera beginnt der Bub zu schaufeln und zu buddeln. Nach wenigen Augenblicken wird er fündig. Zuerst ein Regenwurm, dann diverse Schneckenhäuschen, «irgendeine Milbe» und schliesslich ein Hundertfüsser sind seine Ausbeute. Voller Begeisterung misst er die Tierchen und bestimmt sie mithilfe des Bodenschiebers.

Und nicht nur für Lukas Kammermann, der hinter der Kamera steht, wird klar: Wenn alle Kinder mit solchem Eifer ans Werk gehen, dann hat die Bodenexpedition der Bildungstüftler vom Naturama ihr Ziel erreicht.

Weitere Infos finden Sie auf www.naturama.ch und www.expedio.ch.