Bea Johnson hatte genug. Genug vom Abfall. Genug vom Plastik. Genug von den Verpackungen, die nach Einkäufen jeweils ihre Mistkübel füllten. 2008 fällte die Amerikanerin einen Entscheid. Mit ihrer Familie verfolgt sie seither ein möglichst abfallfreies Leben. «Zero Waste» nennt Johnson ihren Lifestyle, für den sie Menschen auf der ganzen Welt sensibilisiert, mit zahlreichen Publikationen und Referaten – für die sie aber auch schon mal im Flugzeug um die Welt jettet und für einen CO2-Ausstoss sorgt.

Dennoch: «Für mich ist Johnson ein inspirierendes Vorbild», sagt Natalie Bino, Präsidentin von Zero Waste Switzerland. Sie kennt Johnson persönlich und hat beobachtet, dass sie seit Jahren nur ein Einmachglas Abfall pro Jahr produziert. Das funktioniere aber nur, weil Johnson sehr konsequent sei, ja sogar das Tischset zurückgebe, bevor sie in einem Restaurant esse.

Der 2015 gegründete Verein Zero Waste Switzerland ist bestrebt, Johnsons Lebensstil auch hierzulande zu etablieren und vorzuleben. Die Mitglieder halten wie sie Vorträge und Workshops zum Thema und bieten Beratungen für Firmen sowie Private an. Zudem führt der Verein ein Online-Verzeichnis mit Geschäften, welche unverpackte Produkte anbieten und die Zero-Waste-Bewegung unterstützen. 

Null Abfall? Eine Fiktion
Doch auch wenn der Name auf etwas anderes schliessen lässt: Ganz ohne Abfall geht es nicht. Das muss auch Bino eingestehen: So konsequent wie ihr Vorbild Johnson würden nur wenige Menschen leben.

Damit stellt sich die Frage, ob die Bezeichnung «Zero Waste» irreführend ist. «Man muss realistisch sein. Es geht uns nicht darum, überhaupt keinen Abfall zu produzieren», sagt Bino «Wir haben viel erreicht, indem wir die Leute nur schon für das Thema sensibilisieren und der eine oder andere beim Kauf von Produkten darauf achtet, wie sie verpackt sind». Steige dadurch die Nachfrage nach entsprechenden Angeboten, sende das am Ende ein Signal an die Lieferanten aus. Das wiederum könne zu einer Erweiterung des Angebots an unverpackten – oder zumindest intelligenter verpackten – Produkten führen, folgert Bino.

Mit diesen Mechanismen des Marktes setzt sich auch Tara Welschinger täglich auseinander. In ihrem Zero-Waste-Ladencafé Foifi in Zürich bietet sie Waren möglichst unverpackt an. Mit Erfolg: Die Geschäfte laufen zumindest so gut, dass sich die Filiale seit mehr als zwei Jahren an bester Lage an der Schiffbaustrasse in Zürich behaupten kann.

Unverpackt ganz ohne Verpackung – eine Wunschvorstellung
Doch auch sie stösst an Grenzen. Nicht überall sei es möglich, ganz ohne Verpackung auszukommen, sagt Welschinger: «Es gibt Gesetze und Hygiene-Vorschriften. Gerade bei medizinischen Produkten und Fleisch sind sie besonders streng. Wobei es bei Fleisch theoretisch möglich wäre, weitgehend ohne Plastik oder Papier auszukommen». Meistens scheitere es indes an der Infrastruktur, die zuerst aufgebaut werden müsse. In diesem Fall ist das der rasche und hygienische Transport zwischen Metzgerei und Laden. Dass die Kundschaft mit eigenen, hygienisch einwandfreien Behältnissen vorbeikommen müsste, um die Fleischstücke nach Hause zu transportieren, sei selbstredend.

Wieviel Abfall jeder Einzelne produziert und in Kauf nimmt, hängt laut Welschinger nicht zuletzt vom Aufwand ab, den er betreiben will, um ihn zu vermeiden. Dieselben Gedanken wälzte sie, als sie 2017 ihr Geschäft eröffnete. Das sei nicht zuletzt aus einem Eigeninteresse heraus geschehen, hält sie fest. Eine Reise durch Südostasien habe ihr die Augen geöffnet: «Überall lag Abfall herum, das beschäftigte mich. Ich fragte mich, ob es möglich ist, eine Leben mit wenig – oder gar keinem – Abfall zu führen. Eines, in dem ich weniger Rohstoffe verbrauche».

Eine Frage des Aufwands  
Die Umsetzung erwies sich allerdings schwieriger als gedacht. Das wurde Welschinger nach ihrer Rückkehr in die Schweiz bewusst: «Viele Produkte waren unverpackt schlichtweg nicht nicht erhältlich. Und wenn doch, musste ich teils weite Wege zurücklegen, um sie zu besorgen.» Irgendwann wurde der Aufwand zu gross. «Daher beschloss ich, das Foifi aufzubauen, als Ort, an dem möglichst viele dieser Güter auf engem Raum angeboten werden.»

Doch wie bei den meisten der über 3000 Läden und Orte, die auf der Webseite von Zero Waste Switzerland aufgeführt sind und an denen – wenigstens teilweise – unverpackte Waren angeboten werden, stellt sich auch im Falle des Zero-Waste-Ladencafés Foifi eine zentrale Frage: Wie gelangen die Waren in die Geschäfte? In Lifestyle-Blogs wie «conception.com» wird darüber sinniert, dass ein Transport ganz ohne Verpackung zwischen Hersteller und Handel in der Regel nicht möglich sei. Daher sei der Zusatz «unverpackt» Augenwischerei.

Welschinger ist sich dieser Zwickmühle bewusst, sagt aber, sie sei bestrebt, nur Waren einzukaufen, die in möglichst grossen Behältnissen angeliefert werden. Dadurch werde Verpackungsmaterial gespart. Zudem bevorzuge sie Produkte, deren Behältnisse sich recyclen lassen. Darüber suchen sie und ihr Team regelmässig die Gespräche mit den Kunden, mit Ziel, sie für das Thema zu sensibilisieren – ganz nach dem Credo des Vereins Zero Waste Switzerland, in dessen Vorstand Welschinger sitzt.

Und was ist mit der CO2-Bilanz?
Doch auch hier bleiben Fragen offen. Etwa, weshalb im Foifi-Sortiment unter anderem Kardamom aus Sri Lanka oder gemahlener Knoblauch aus Ägypten zu finden ist. Immerhin verursacht nur schon der Transport per Flugzeug einen Ausstoss von CO2 – ebenfalls ein Abfallpropdukt. «Die Nachfrage ist nun einmal vorhanden, und gewisse Produkte gibt es in Europa schlichtweg nicht», sagt Welschinger und verweist auch auf Kaffee- und Kakao-Bohnen oder Jasminreis in ihrem Sortiment, die auch von weit her kommen.

Das Dilemma, in der sie sich befindet, ist ihr bewusst: Natürlich könnte sie diese Waren aus dem Angebot nehmen. Doch allein mit «Slowfood»-Produkten aus der unmittelbaren Nachbarschaft würde sich ein Geschäft wie ihres nicht kostendeckend betreiben lassen, sagt sie, momentan zumindest nicht. «Dazu muss sich zuerst das Bewusstsein der Kunden für die Thematik entwickeln sowie die Bereitschaft, umweltbewusster einzukaufen.» Allerdings überprüfe sie ihr Angebot laufend und sortiere Waren aus, sobald sie ein besseres – umweltfreundlicheres – Konkurrenzprodukt entdecke, das mit weniger oder gar keiner Verpackung auskomme.

Eine fast unmögliche Herausforderung
Ähnliche Gedanken macht sich Eva Kelemen, die 2016 in Zürich-Wollishofen ihren dritten Veganladen eröffnet hat. Wie knifflig es ist, Veganismus mit dem Zero-Waste-Lifestyle in Einklang zu bringen, ist ihr bestens bekannt. Denn viele vegane Produkte wie Sojamilch oder Gewürze müssen teils von weit her importiert werden, was unverpackt meistens nicht möglich ist. Kelemen sieht es pragmatisch: «Jeder muss sich für sich die Frage stellen, was ihm wichtig ist. Mit seinem Kaufverhalten und seiner Art, zu leben, möglichst wenig Abfall und CO2-Ausstoss zu verursachen? Oder Tierleid zu verhindern, indem man auf tierische Produkte verzichtet?», sagt sie.

Bei Kelemen waren die Prioritäten einst klar: Sie lagen ursprünglich auf dem veganen Lebensstil. Erst, als sie ihre ersten Läden eröffnet hatte, begann sie sich für Zero Waste zu interessieren. Seither versucht sie, die Beiden unter einen Hut zu bringen, was nicht einfach ist. Denn ganz ohne Abfall geht es nicht. Doch auch sie ist laufend daran, Produkte ihres Sortiments durch umweltfreundlichere zu ersetzen.

Für Kelemen ist klar: «Am Ende ist das Portemonnaie die Waffe, mit der jeder Einzelne die Wirtschaft steuert und ihr zeigt, ob und wie gefragt etwa vegane und zugleich unverpackte Produkte sind». Und so bleibt der erste Schritt auf dem Weg zu Zero Waste auch für sie, mit den Kunden zu sprechen und sie auf das Thema einzufuchsen. Mit dem Ziel, sie aus der Komfortzone zu locken. Denn bedauerlich ist es laut Kelemen, wie gleichgültig es vielen Konsumenten ist, was und wie sie einkaufen. So lange die Mehrheit möglichst bequem durchs Leben geht, werde sich auch am Verpackungswahn nichts ändern. Davon ist sie überzeugt. Und davon, dass nur wenige bereit sein werden, so bestimmt und konsequent zu sein, wie Zero-Waste-Begründerin Bea Johnson – zumindest vorerst.