Das Bild erinnert an eine Szene aus einem Science-Fiction-Film: ein Raum, durchflutet von rosa Licht. An den Wänden stapeln sich auf mehreren Etagen Beete. Dazwischen dreht ein kastenähnlicher Roboter seine Runden. Menschen sind nicht zu sehen. Sie haben keinen Zutritt zur Lokalität. 

Mit gutem Grund, wie Marcel Florian sagt. Der CEO der Firma Growcer AG, welche die erste «Robotic Vertical Farm» betreibt, kennt das Projekt wie kein anderer: «Da wir beim Anbau von Gemüse auf Pestizide verzichten, müssen die Produktionsräume klinisch rein sein.»

Arbeiten wie Säen, Giessen und Ernten liegen aus diesem Grunde in den Händen von Robotern. Das Projekt ist ambitioniert: In der Robotic Vertical Farm sollen künftig regionale Lebensmittel wetterunabhängig angebaut werden. Ein ähnliches Projekt hat die «Tierwelt» letztes Jahr vorgestellt: Auch im Versuchssollen Hagerbach bei Flums SG forscht man in abgeschlossenen Räumen zum Thema Lebensmittelherstellung.

Unterschiede zum Underground Farming Projekt
Florian kennt dieses Vorhaben und hat das dortige Underground Farming Projekt auch schon besichtigt. Aus seiner Sicht unterschieden sich die beiden Konzepte in diversen Punkten. Vor allem im Bereich der Logistik: «Was den Transport betrifft, ist unser Ziel, die Wege kurz zu halten. Das spart Treibstoff und hilft, den CO2-Ausstoss gering zu halten», erklärt der 27-Jährige. 

Hagerbach hingegen liege weit entfernt von den nächsten grossen Städten und Distributions-Zentern. «Zudem befindet sich deren Produktionshalle in einem Stollen unter der Erde, was die Klimatisierung und Logistik komplex und teuer macht.» Vertical Farming hingegen kann überall überirdisch betrieben werden, wo leerstehende Gebäude oder Hallen zur Verfügung stehen. 

Auf der Suche nach geeigneten Gebäuden
Das dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass die Migros Basel als Partnerin in das Projekt eingestiegen ist, wie sie am 15. Januar bekannt gegeben hat. Es ist durchaus denkbar, dass sie in Zukunft wenig benutzte Gebäude aus ihrem Besitz in Produktionshallen für Vertical Farming verwandelt. 

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Übergeordnetes Ziel: Importe aushebeln   
Doch nicht nur die Logistik-Frage hat die Zusammenarbeit attraktiv gemacht. Für CEO Florian ist auch das langfristige Ziel zentral, Importe von Lebensmitteln zu substituieren, wie er sagt. Dadurch schwindet die Abhängigkeit vom Ausland. Vorwärts- und rückwärtsgewandte Diversifikation nennt sich dieses Prinzip im Marketing-Jargon: Ein Betrieb, in diesem Fall die Migros, setzt sich zum Ziel, rückwirkend von der Produktion bis vorwärts zum Vertrieb alle Stufen der Wertschöpfungskette selber in die Hand zu nehmen und sich damit unabhängig zu machen. 

Erdbeeren im Winter? Wintergemüse im Sommer? In Zukunft kein Problem, nach der Logik des Vertical-Farming-Projekts. Der Einfluss der Jahreszeiten wird bei dieser Produktionsform ausgeschlossen. 

So weit, so gut. Doch es bleiben Fragen offen. Zum Beispiel zur Energiebilanz: Die Bilder von Robotern, welche das Saatgut hegen und pflegen, sowie des künstlichen Lichts, lassen auf einen erhöhten Stromverbrauch schliessen. Eine Thematik, die Florian und sein Team täglich beschäftigt. Ohne Energiezufuhr gehe es natürlich nicht, sagt er. Das Perpetuum mobile sei noch nicht erfunden. «Doch der Stromverbrauch für die Automatisierung ist minimal. Die Elektromotoren, welche die Roboter antreiben, kommen mit unglaublich wenig Energie aus und sind dennoch leistungsfähig». 

Stromsparendes Lichtmanagement
Sparpotenzial gibt es auch beim Licht: Die Pflanzen erhalten nur gerade dasjenige Spektrum, das sie in der jeweiligen Wachstumsphase brauchen. Dadurch wird ebenfalls Energie eingespart. Dies haben die Anbauprojekte in Basel und dasjenige im Stollen in Hagerbach wieder gemeinsam. Der Strom fürs Vertical Farming kommt dabei ausschliesslich aus erneuerbaren Energiequellen. Beim Ökostrom will man auch bei weiteren Anlagen auf Solarkraft setzen und – sofern möglich – Solarzellen an Dächern und Fassaden der Produktionshallen anbringen. 

Zudem bedient sich das Vertical-Farming-Projekt eines weiteren Kniffs, indem es den Tag-Nacht-Rhythmus umkehrt. Florian: «Wir beleuchten nachts, wenn in der Schweiz ein Stromüberschuss anfällt». 

Gering ist nach seinen Aussagen auch der Wasserverbrauch: Gegenüber der konventionellen Landwirtschaft beträgt die Einsparung hier bis zu 90 Prozent. Es gibt kaum Verdunstung, weil der Kreislauf komplett geschlossen ist. Zudem halten Geräte die Luftfeuchtigkeit konstant, wobei ein Teil der Wassers von den Entfeuchtern wieder in den Kreislauf eingespiesen wird. Eine aktuelle Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW attestiert dem «Robotic Vertical Farming Project» unter Berücksichtigung all dieser Faktoren eine positive CO2-Bilanz. 

Und wie sieht es bei den Arbeitsstellen aus? In einem System, in welchem vom Säen, Pflanzen, Düngen bis zum Ernten alles von Roboterhand ausgeführt wird, ist für den Menschen kaum Platz. Ein bewusster Schachzug, wie Florian erklärt: «Wir weisen Aufgaben, die sonst von Arbeitern bei unwürdigen Bedingungen und zu Tiefstlöhnen ausgeführt werden, den Maschinen zu.»

Für Menschen zu gefährlich
Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass die Tätigkeiten in der Produktionshalle für Menschen zu gefährlich wären. Denn anders als beim Underground Green Farming im Versuchsstollen Hagerbach wird in der alten Halle auf dem Basler Wolf-Areal gleich auf mehreren Etagen angebaut. Während die Automaten an Stangen mühelos von einer Ebene zur nächsten hinauf- und hinabsausen, wäre ein Mensch auf hohe Leitern angewiesen – ein Sicherheitsrisiko. 

Ganz ohne Spezialisten geht es dann aber doch nicht: Sie müssen die Roboter von Zeit zu Zeit warten. Und die Zusammenarbeit mit Landwirten aus der Region ist Florian ebenfalls wichtig. Denn das Kultivieren von Pflanzen verlangt nach menschlichem Know-How, auch wenn dieses am Ende von Maschinen umgesetzt wird. 

Der CEO ist zuversichtlich: Alles laufe nach Plan, sagt er. Im Frühling ist die Anlage in Basel fertig. Im Sommer sollen erste Produkte im MParc Dreispitz erhältlich sein, mit Argusaugen beobachtet von den anderen Migros-Filialen. Später sollen weitere weitere von ihnen – zusammen mit neuen Produktions-Standorten – Produkte aus Robotic-Vertical-Farming-Anbau folgen. 

Bereits erhält Growcer Anfragen aus dem Ausland, etwa aus Dubai, wo die Firma bereits ähnliche Projekte verfolgt. Geht es nach CEO Florian, sollen in den nächsten Jahren zudem immer mehr Import-Landwirtschaftsprodukte durch solche aus der eigenen Produktion ersetzt werden. Für die einheimische Landwirtschaft hingegen sei das Projekt dabei keine Konkurrenz: «Wir werden keine Produkte wie Kartoffeln oder Rüebli anbauen, die es bei uns ohnehin gibt», sagt er und verweist auf die Zusammenarbeit mit Fenaco: Die einflussreiche Schweizer Agrargenossenschaft stehe dem Projekt positiv gegenüber. Eine wichtige Voraussetzung fürs Gelingen.  

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