Wir haben heute dank Satelliten und moderner Messtechniken ein genaueres Bild der Welt denn je. Und doch ist unsere geografische Vorstellung davon – wenn wir die Augen schliessen und uns die Weltkarte vorstellen – eigentlich falsch. Durch die Projektion der Kugeloberfläche auf eine flache Karte sind nämlich Flächen umso mehr verzerrt, je weiter sie vom Äquator entfernt liegen.

«Grönland hat zum Beispiel nur ein Drittel der Grösse von Australien, scheint aber auf Weltkarten durch die Verzerrung grösser», erklärte Julia Mia Stirnemann von der Hochschule der Künste Bern (HKB). Die Grafikerin hat im Zuge ihrer Dissertation mit dem Projekt «Mapping Worldmaps» den gewohnten Blick auf die Welt hinterfragt.

Mit Konventionen brechen
Weltkarten befolgen meist strikte Regeln, mit dem Äquator als horizontale Bildmitte, meist mit Europa im Zentrum. «Mit entsprechender Software können wir Karten mit einem beliebigen Zentrum generieren», so Stirnemann im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda. Die Projektion des Globus auf die flache Darstellung unterliegt dabei derselben mathematischen Herleitung wie gängige Weltkarten.

Die resultierenden Karten sehen aber teils völlig anders aus als gewohnt, je nachdem, was ins Zentrum rückt. «Vorher war es nicht üblich, die Welt anders darzustellen als mit dem Äquator als Mittellinie.» Zwar wird die Darstellung mitunter so verschoben, dass der amerikanische Kontinent im Zentrum liegt, aber diese Verschiebung erfolge meist nur entlang des Äquators.

In einem Vorprojekt «Ansichtssache(n)» hatten Stirnemann und Kollegen bereits die öffentlich zugängliche Web-Applikation «Worldmapgenerator» entwickelt, mit der Nutzer die Welt in drei verschiedenen Modi – Da Vinci, Journalist oder Tourist – darstellen und betrachten können.

Das vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Projekt «Mapping Worldmaps» baut darauf auf, stellt historische Vergleiche an und entwickelt die bestehende Software weiter. Dabei arbeitet Stirnemann mit Forschenden des Instituts für Kunstgeschichte der Uni Bern und vom Institut für Geografie der Uni Zürich zusammen.

Orientiert zum Orient
Im Zuge des Projekts untersucht die Grafikerin, wie die Darstellung der Welt die Weltanschauung widerspiegelt und auch prägt. So waren beispielsweise Weltkarten im Mittelalter nicht nach Norden ausgerichtet, sondern nach Osten – nach Jerusalem. Darauf begründet sich auch das Wort «orientieren», das ursprünglich hiess, eine Karte nach Osten –zum Orient – auszurichten.

Aber nicht nur die Himmelsrichtungen haben sich im Laufe der Zeit in der Kartendarstellung geändert: «Im Mittelalter spielte die georeferenzierte Genauigkeit keine so grosse Rolle. Dafür waren darin Zeitskalen und Mythen enthalten. Man las Karten damals völlig anders als heute», so Stirnemann.

Die heutigen Karten erfüllen hingegen den naturwissenschaftlichen Anspruch, geometrisch richtig konstruiert zu sein. Dabei vergesse man jedoch leicht, dass sie wegen der Flächenverzerrung eben doch kein akkurates Abbild der Realität seien. «Wir betrachten heute die mittelalterliche Kartografie als eher unwissenschaftlich, haben aber selbst eine etwas naive Sichtweise auf unsere heutigen Weltkarten.»

Im Zuge ihrer Arbeit habe sie selbst festgestellt, wie tief die Konditionierung auf eine bestimmte Darstellung der Welt sitzt. «Durch die alternativen Weltkarten können wir die Perspektive verschieben und zeigen, dass die Welt eigentlich auch ganz anders aussieht.»