Der Himmel über dem Untertoggenburg ist verhangen an diesem Novembervormittag. Der Blick über die schmale Ebene reicht matt bis zum Tannenwald gegenüber, dazwischen drückt der Bubentalerbach einen Tümpel ins Feld. Stefan Oberholzer überblickt das Tal etwas erhöht, inmitten seiner Tannenbäume. Nicht im Wald, sondern auf einer Plantage. Der gelernte Zimmermann und Landwirt ist nämlich Weihnachtsbaumproduzent. Mehr noch: Er ist der Präsident der IG Suisse-Christbaum, des Vereins derjenigen Bauern, die im Advent ihr grosses Geschäft machen. 

«Ich mache nicht mehr viel anderes», sagt Oberholzer. «Etwas Gemüse und Fleischrinder habe ich daneben noch, ansonsten bin ich bei den Bäumen.» Sieben Hektar Tannen hat er rund um seinen Hof in Flawil SG. Genauer: Rottannen, Weisstannen, Nordmanntannen, Colorado-Tannen, Korktannen und andere Nadelhölzer, die er pünktlich zur Weihnachtszeit in Schweizer Stuben unterbringen möchte. Klar, hat er jetzt Hochsaison. Etliche Familien aus der Umgebung sind schon auf seinem Hof vorbeigekommen und haben sich ihren Wunschbaum ausgesucht.

Oberholzer lässt sie jeweils allein auf die Baumplantage, dort dürfen sie sich in Ruhe umschauen in dem Gewirr von kleinen und grossen, lang- und kurz-, stumpf- und spitznadeligen Bäumen. Alles scheint durcheinandergepflanzt zu sein, doch das hat System, wie der Baumzüchter erklärt: «Wir machen möglichst Mischkulturen, damit keine Schädlinge dahinterkommen.» Um zu zeigen, was er damit meint, zerreibt Oberholzer die langen Nadeln einer Colorado-Tanne zwischen seinen Fingern und riecht daran. «Den Geruch haben die Läuse nicht gern.» Deshalb steht in regelmässigen Abständen eine solche Tanne im Feld. 

Ein Business für Geduldige
Die Colorado-Tanne ist in Schweizer Weihnachtsstuben eine Exotin, etwas für Liebhaber wie Oberholzer sagt. Wer sie aber besonders gern hat, sind die Rehe, die immer wieder heimlich durch den Zaun schlüpfen und Schäden an der Plantage anrichten. «Ich weiss nicht, ob er sich damit einparfümieren will, aber der Rehbock hat sich im Frühling nur die ausgesucht, um daran zu schaben.» Abgeschabte Baumstämme sind nicht das einzige Problem, das die Rehe machen: Der Tannenproduzent zeigt auf einen Baumstamm mit Bissspuren. «Wenn sie den Spitz der jungen Bäume nehmen, verliere ich ein Jahr, bis ich wieder gleich weit bin.» Einmal knabbern kostet ein Jahr Aufwand; das Tannenbaum-Business ist nichts für Ungeduldige.

Tipps zur Baumpflege


• Lagern Sie den Baum bis Weihnachten draussen an einem kühl-feuchten Ort und stellen Sie ihn in einen Kübel voll Wasser.

• Lassen Sie den Baum bis zum Aufstellen im Netz. Kurze Zeit nach dem Entfernen des Netzes gehen die Äste wieder in ihre natürliche Stellung zurück.

• Benutzen Sie einen Christbaumständer mit Wasserbehälter, bei dem der Baum nicht angespitzt werden muss. So kann er das Wasser besser aufnehmen.

• Besprühen Sie den Baum täglich mit Wasser, dann bleibt er länger frisch. Mit destilliertem Wasser vermeiden Sie Kalkflecken auf dem Christbaumschmuck.

• Den abgeräumten Baum können Sie der Grünabfuhr mitgeben, als Abdeckmaterial im Garten verwenden oder verbrennen.

Quelle: Landwirtschaftlicher Informationsdienst LID

Rund zehn Jahre dauert es, bis der durchschnittliche Weihnachtsbaum auf stattliche zwei Meter heranwächst. Auch deshalb stehen hier im Feld Setzlinge neben ausgewachsenen Erntekandidaten. «Wenn ich alle auf einmal abhaue, habe ich nachher jahrelang nichts.» So schaut Oberholzer zu, dass er jedes Jahr in der Adventszeit in etwa gleich viele Bäume fällt und verkauft. Dazu markiert er schon im Voraus die fällreifen Tannen mit gelb  schraffierten, rot gepunkteten oder uni violetten Bändern: «Die vollen Farben sind für die schönsten Bäume.» Die Markierungen sind wichtig, denn: «Sobald hier einmal Schnee liegt, sehen alle gleich aus.» 

Schweizer Weihnachtsbäume sind im Trend. «Wir haben eine sehr treue Kundschaft», sagt Oberholzer. Doch vom Direktverkauf ab Hof kann kein Christbaumproduzent leben. So viele Bäume wird einer allein gar nicht los. Einen grossen Teil der Bäume vertreibt er über Grossverteiler. Doch die kämpfen um die Marge: Noch vor wenigen Jahren stammte die überwältigende Mehrheit der Christbäume aus dem Ausland. «Die Konkurrenz bietet im Import Bäume zu Preisen an, mit denen wir nicht konkurrenzieren können», sagt Stefan Oberholzer. Dass heute fast jeder zweite Christbaum aus der Schweiz kommt, ist nicht zuletzt ihm und der IG Suisse-Christbaum zu verdanken, die dafür kämpft, genug Geld für Schweizer Bäume zu bekommen. Teilweise klappe das, andernorts noch nicht. 

Als Positivbeispiel will der Vereinspräsident den Grossverteiler Coop hervorheben, den Hauptabnehmer des Schweizer Christbaumverbands: «Die bezahlen den Produzenten faire Preise, aber sie verlangen ein paar Massnahmen.» Im Fall des Flawiler Christbaumbauern heisst das unter anderem, dass Herbizide nur im Notfall eingesetzt werden. Oberholzer zeigt auf die Grasfläche zwischen den jungen Tannen. «Ich muss halt jedes Jahr mit dem Mulcher zwischen den Bäumen hindurchfahren, um das Gras zu mähen.» Anderen Bauern sei das zu mühsam, die würden einfach Gift sprühen, «dann wächst hier nichts mehr».

Artenvielfalt blüht ohne Gift auf 
Wenige Herbizide – grosse Artenvielfalt. So einfach ist die Rechnung, und sie geht auf, wie Oberholzer beweist. Er hat seine Christbaumplantage durch ein Ökobüro untersuchen lassen, die Resultate lassen sich sehen: Schmetterlinge, Libellen, Heuschrecken, zig Pflanzenarten und diverse Vögel – darunter Grün-, Schwarz- und Buntspecht – fanden die Biodiversitäts-Experten bei ihrem Monitoring. Im Bericht schreiben sie: «Wo innerhalb der Christbaumkulturen die Vegetation bestehen bleibt, finden Insekten ein reichhaltiges Angebot an Blüten. Sie bilden wiederum die Nahrungsgrundlage für weitere Tierarten.» 

Zusätzlich hat Oberholzer Steinhaufen für Reptilien gebaut. Auch die sind vom Grossverteiler angeordnet, der Christbaumbauer hat sie aber schon vorher angelegt: «Wenn wir da im Frühling eine Pause machen und die Eidechsen und Blindschleichen beim Sonnenbaden sehen, ist das etwas Schönes.» 

Es gibt also durchaus nicht nur im Winter Arbeit auf dem Tannenbaumfeld. Im Januar räumt Stefan Oberholzer jeweils auf. Um das zu demonstrieren, tritt er mit seinem schweren Stiefel gegen einen gelb genadelten Tannenbaum und drückt seinen Stamm zur Seite. «Der ist vom Hallimasch befallen, einem Pilz», sagt er und drückt fester zu, bis der Baum knirscht und knarzt. «Wenn der so ‹chrooset›, ist er tot.» Stümpfe, Restholz und die toten und unbrauchbaren Bäume entfernt Oberholzer Anfang Jahr, bevor er im Frühling neue setzt. Rasterlinienartig, immer dort, wo einer fehlt, kommt ein neuer hin. Kaum zwanzig Zentimeter hoch sind die Setzlinge dann. Und schon vier Jahre alt. Knapp zehn Jahre dauert es dann wieder, bis auch sie an der Reihe sind und in einer Schweizer Weihnachtsstube landen.

Und wie sieht diese Stube bei Oberholzers aus? Dekorieren würde jeweils seine Freundin, sagt der oberste Weihnachtsbaumzüchter. Und der Baum bei ihm zu Hause, «der ist meistens von der Natur geküsst». Einer, der sich nicht verkaufen lasse. «Das ist schliesslich ein Naturprodukt. Das darf nicht perfekt sein.»

Wie gut kennen Sie sich mit Weihnachtsbäumen aus? Kennen Sie die verschiedenen Tannen? Testen Sie ihr Wissen in unserem Quiz.