Wo ist denn nun der Eingang? Hoch über die Mauern ragen Palmenkronen, verhaltener Vogelgesang, war da nicht auch ein leises Plätschern? Spannung und Ungeduld steigen. Der königliche Alcázar scheint zum Greifen nahe, doch die Mauern ziehen sich unerbittlich weiter.

«Alcázar!», sagt ein älterer Herr bedeutungsvoll und zeigt entlang der historischen Steinmauer. Vielleicht hinter der Biegung dort? Nein, enge Gässchen, wo nur Menschen hindurchpassen, kleine Restaurants, Läden mit Ständern voller Postkarten. Einfach weiter der Mauer entlang, sich nicht in der Altstadt von Sevilla verlieren.

Die Vorfreude auf das, was kommt, ist nicht unbegründet, schreibt doch der britische und international anerkannte Gartenschriftsteller Charles Quest-Ritson: «Die dem königlichen Palast von Sevilla angeschlossenen Gärten sind schlicht gesagt die schönsten in Spanien.» Dann endlich ein offener Platz, das Löwentor. Eine Kolonne von Menschen weist darauf hin, dass hier der Einlass in den Alcázar ist. 

Mikroklima in der Gluthitze
Die Erbauer wussten sich abzugrenzen gegen das gemeine Volk. Die Mauer mit den eingebauten Verteidigungstürmen spiegelt die politische Instabilität der muslimischen Epoche. 712 begannen Araber, Teile der Iberischen Halbinsel zu erobern. Zuerst war Cordoba die Hauptstadt von al-Andalus, wurde dann aber von Sevilla abgelöst. Der Alcázar wurde im 11. Jahrhundert von den muslimischen Invasoren erbaut. Die arabischen Elemente sind denn auch prägend im Palast-Garten und sind besonders reizvoll. Das fanden auch die christlichen Herrscher, die Andalusien ab dem 13. Jahrhundert zurückeroberten und den Alcázar übernahmen und weiter ausbauten. Heute gehört er dem spanischen Staat.

Mächtige Säle, von Säulen abgestützte Arkaden, gekachelte Wände, lange Flure – und dann plötzlich, im kühlen Innern, ein Lichtstrahl von der Seite, plätschern. Der Blick schweift in einen Innenhof. Akkurat, beidseits des länglichen Wasserbeckens, stehen halb hohe Zitrusbäumchen wie Wächter. An jeden Saal, an jedes Gemach scheint sich ein grüner Innenhof anzufügen, als Fortsetzung der märchenhaften Ausstattung des Palasts. 

Von Juni bis September ist es unerbittlich heiss in dieser Gegend. Wie sich die Wüste Nordafrikas in Südspanien fortzusetzen scheint, hat auch die maurische Kultur prägende Spuren hinterlassen. Begrünte Innenhöfe mit plätscherndem Wasser sorgen für ein Mikroklima in der Gluthitze des andalusischen Sommers.

Nutzen und Vergnügen
Längst hat man sich in den Palastzimmern verloren, folgt nur noch staunend den Fluren bis zum Ausgang in die Gärten. Ein Bassin voller rot leuchtender Goldfische im grünen Wasser ist im mittleren Bereich von Papyrus bewachsen. An der rötlichen Mauer im Hintergrund greifen Ranken der Kletterfeige, auf der Mauer stehen Töpfe mit Myrten, dahinter wecken Yukka-Kronen und Tamarisken erneut die Neugierde. Die Erkundung all der Gartenräume ist wie ein Film, der jede Minute Spannung bietet. Prachtvoll inszenieren  Pflanzen Skulpturen und Pavillons. Mal sind sie formal geschnitten, dann wieder verleihen sie der Szenerie etwas Natürliches, Paradiesisches wie die grossen Monstera-Blätter, die den Boden einer Zitrusplantage bedecken, so weit das Auge reicht, und eine Urwaldidylle imitieren. Aus den Mündern steinerner Figuren, die mit Frauenhaarfarn überwachsen sind, spritzt Wasser, nie fehlen die Goldfische in den Teichen, Brunnen und Bassins.

Die gesamte Gartengestaltung vereint den maurischen, italienischen und englischen Gartenstil und spiegelt den Wunsch nach Schatten und Duft. Palmen, Zypressen, Myrten, Orangen und Zitronenbäume schaffen Struktur, Rosen und Jasmin bilden Farbtupfer und Düfte. Geheimnisvoll bläulich leuchten die Blüten des Jacaranda-Baums in verschiedenen Ecken. Die ledrigen Blätter von Magnolien bieten Kontrast. Nestelt da nicht ein grüner, länglicher Vogel an einer Magnolienblüte? Tatsächlich, ein Kleiner Halsbandsittich tut sich daran gütlich. Diese Asiaten sind in vielen europäischen Städten heimisch geworden.

Ursprünglich wurden die Gärten des Alcázars durch ihre muslimischen Erbauer im Einklang mit den Vorstellungen des Korans erschaffen, der das Paradies als Garten beschreibt. Die Gärten wurden während der islamischen Herrschaftszeit genutzt, verwöhnten gleichzeitig aber auch die Sinne. Obstgärten und Viehhöfe versorgten die Bewohner mit frischen Lebensmitteln, hatten aber auch eine ästhetische Wirkung. Das ist noch heute ersichtlich mit den Orangenhainen, die zwar formal angelegt sind, aber von Wasserrinnen, Springbrunnen und Schwert-Farnen umringt werden. Springbrunnen bringen Frische, versorgen den Garten mit Wasser und sorgen mit dem steten Plätschern, das sich im Frühling mit Vogelgesang vermischt, für meditative Stimmung.

Grosse Inspirationsquelle
Wer sich treiben lässt, gelangt von einem Gartenraum in den anderen. Der Garten neben dem gotischen Palast ist der älteste. Er wurde aber immer wieder der jeweiligen Zeitepoche angepasst, sodass sich maurische mit italienischen Elementen vermischen. Skulpturen und Bilder aus der Mythologie verstärken den Eindruck der Zeitreise. Den Tanzgarten prägt ein Springbrunnen aus Bronze, der Teichgarten geht auf eine Zisterne zurück.

Im Damengarten schweift der Blick von einer steinernen Galerie durch Torbögen hindurch über formale Buchshecken und einst in raffinierter Anordnung gepflanzte Palmen mit vielen Meter langen, schmalen, grazilen Stämmen mit ausschweifenden Kronen, die wie ein Kopfputz eines Indianerhäuptlings wirken. Euphorbien-Gewächse sorgen mit ihrem verzweigten Wuchs für wohltuende Unterbrechungen des formalen Gartenstils. Es würde nicht erstaunen, wenn eine Prinzessin aus längst vergangener Zeit mit verträumtem Blick dort unten wandeln würde. 

Reisetipps
Anreise: Direktflug mit Edelweiss ab Zürich nach Sevilla oder mit verschiedenen Gesellschaften ab Basel oder Zürich nach Madrid
oder Malaga und weiter mit dem Zug oder Mietauto.

 

Jardins de los Reales Alcázares, Plaza del Triunfo, 41004 Sevilla. Täglich geöffnet von 9.30 bis 17 Uhr, ausser Montag, schliesst am Sonntag bereits um 13.30 Uhr.
Der Eintritt beträgt um die 12 Euro..

Im Garten der Alcoba steht ein Pavillon mit eindeutig arabischen Elementen. Jasmin rankt über die mit Kacheln verzierte Mauer, im Innern plätschert Wasser in einem Brunnen. Draussen im Garten reifen rote Granatäpfel. Der Garten des Marquis ist in der östlichen Hälfte angelegt, dort wo ursprünglich der Obstgarten gedieh. Brunnen sind von Töpfen mit Schmucklilien gesäumt. Alocasia-Pflanzen sorgen mit ihren mächtigen, rundlichen Blättern wie Elefantenohren für Kontrast zu den schmalen der Grünlilien. Kapitale Palmfarne entfalten ihre dunkelgrünen Kronen knapp über dem Boden. Sie unterbrechen das Formale der Palmenreihen und leiten den Blick auf rundliche Brunnen. 

Der Besuch des Alcazár ist eine Reise durch die europäische Gartengeschichte. Wer zu Hause einen langweiligen Garten mit Rasen, Lorbeerstrauch und Thuja-Busch hat, erhält reichlich Inspiration, ihn zu einem Paradies umzugestalten. Gerade die Innenhofgärten zeigen, wie auch ein kleiner Raum mit geschickter Auswahl und Anordnung von Pflanzen zu etwas Besonderem verwandelt werden kann. Die Suche nach dem Alcazár lohnt sich!

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