Mittlerweile ist es möglich, punktuell ins Erbgut einzugreifen. Die Risiken dieser Verfahren sind allerdings schwer einzuschätzen. Umso wichtiger sei deshalb das Prinzip der Vorsorge, findet die zuständige Ethikkommission. Auf mögliche Schäden sollte man reagieren, auch wenn man nicht weiss, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreffen. Dieser sogenannte Vorsorgegedanke sei ethisch begründet und sollte deshalb rechtlich konsequent gestärkt und umgesetzt werden.

Zu diesem Schluss kommt die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) in einem Bericht, den sie am Montag in Bern vorstellte. Die ausserparlamentarische Kommission hat den Auftrag, Bundesrat und Behörden in ethischen Fragen zu beraten und die Entwicklung der modernen Biotechnologie zu begleiten.

Die Mitglieder der EKAH sind sich einig, dass Vorsorgesituationen eine Beweislastumkehr rechtfertigen: Jene, deren Handeln einen schwerwiegenden Schaden befürchten lässt, müssen plausibel darlegen, dass ein solcher Schaden extrem unwahrscheinlich oder wissenschaftlich absurd ist, heisst es im Bericht.

Kontroverse Debatten  
Dieser Gedanke der Vorsorge sollte gerade den Schweizern nahe liegen, glaubt Markus Arnold, Mitglied der EKAH und Ethikdozent an der Universität Luzern: «Wir versichern uns gegen alles mögliche. Wir nehmen sogar einen Schirm mit, wenn Regen eher unwahrscheinlich ist», sagte er am Montag in Bern vor den Medien.

Trotzdem kommt das Vorsorgeprinzip immer wieder unter Beschuss: Kritiker finde, es schränke Forschung und Entwicklung unzulässig ein. In einem Bericht ging die EKAH deshalb der Frage der ethischen Bedeutung der Vorsorge und der ethischen Begründbarkeit der Vorsorgepflichten nach. Hintergrund des Berichts ist ausserdem die rasche Entwicklung des sogenannten «Genome Editings»: Verfahren, die punktuelle Eingriffe ins Erbgut ermöglichen.

Diese Entwicklung löst neue öffentliche Debatten darüber aus, wie solche biotechnologischen Verfahren zu regulieren sind. Die Kommission befasste sich daher auch mit den allgemeinen ethischen Anforderungen an die Regulierung solcher Verfahren und ihrer möglichen Anwendungen in der Umwelt.

Risiko nicht eingehen  
Mit «Genome Editing» versuchen Forschende etwa, Mücken genetisch so zu verändern, dass sie kein Malaria mehr übertragen. Diese Mücken sollten dann in die Wildnis ausgesetzt werden. «Auf solchen Verfahren liegen riesige Hoffnungen, es könnten viele Leben gerettet werden», sagte Jean-Marc Neuhaus, EKAH-Mitglied und Biochemie-Professor an der Universität Neuenburg.

Allerdings sei schwer abzuschätzen, welche Auswirkungen solche genmanipulierte Tiere auf Artgenossen hätten. Oder auch auf Tiere, die diese Mücken fressen, wie Neuhaus erklärte. Das Vorsorgeprinzip besagt in diesem Fall, die genmanipulierten Mücken nicht auszusetzen, auch wenn der Nutzen möglicherweise gross wäre.

Bewusstsein schärfen  
Aus dem Vorsorgegedanken lasse sich auch eine umfassende Ermittlungspflicht ableiten, um die Ungewissheit zu reduzieren, schreibt die EKAH in ihrem Bericht weiter. Dies mit dem Ziel, im Umgang mit neuen Verfahren eine angemessene Risikobeurteilung zu ermöglichen.

Die EKAH erachtet es als wichtig, zum einen die Vertrauenswürdigkeit von Risikobeurteilungen durch Wissenschaft und Behörden zu verbessern. Zum anderen soll das politische Bewusstsein im Umgang mit neuen Technologien und damit verbundenen Risiken geschärft werden.

Entscheidungen über den Umgang mit Technologien seien mit Unsicherheiten und allenfalls weitreichenden Folgen verbunden. Die Entscheidungen basierten auf Risikobeurteilungen, die Wertentscheidungen implizierten. Die Verantwortung für diese Wertentscheidungen liegen in demokratischen Gesellschaften bei den Bürgerinnen und Bürgern, nicht bei den Fachwissenschaftlern, wie es weiter heisst.