Häuser, die mindestens so viel Energie erzeugen, wie sie selber verbrauchen, gibt es in der Schweiz bereits einige. Die meisten dieser Null- oder Plusenergiehäuser werden mit Wärmepumpen beheizt und stellen den Strom dafür mit eigenen Solarzellen her. Doch damit dieses System funktioniert, sind sie auf das Stromnetz angewiesen. Denn die Herausforderung bei der Fotovoltaik ist, dass der Löwenanteil der Energie zwischen Frühling und Herbst anfällt – ausgerechnet dann, wenn kaum geheizt werden muss. Deshalb speisen diese Häuser ihren Strom im Sommer ins öffentliche Netz ein und beziehen ihn im Winter wieder. Würde im grossen Stil so gebaut, könnte dieses System nur dank Speicherseen funktionieren.

Diesem Prinzip will ein Projekt der «Umwelt Arena Schweiz» im aargauischen Spreitenbach etwas entgegensetzen. In Brütten bei Winterthur betreibt sie das weltweit erste energieautarke Mehrfamilienhaus. Das Gebäude besitzt keinen Anschluss ans Stromnetz und hat – zusammen mit seinen Bewohnern – mittlerweile den zweiten Winter überstanden. Renato Nüesch von der Umweltarena ist vollends zufrieden. «Unser Projekt hat die Nagelprobe mit Bravour bestanden», sagt der Energiefachmann. Und dies, obwohl die beiden letzten Winter ziemlich kalt und sonnenarm waren. Auch auf einer Höhe von gut 600 Metern über Meer vermochte die Sonne an manchen Herbsttagen nicht durch die Nebeldecke hindurchzudringen.

Sonne und Erdwärme sind nämlich die einzigen Energiequellen des Hauses mit neun Familienwohnungen. Es ist rundum mit Solarzellen bestückt: auf dem Dach mit dem üblichen monokristallinen Typus, an der Fassade mit matten Dünnschichtsolarzellen, die für Laien kaum erkennbar sind. So entsteht zu jeder Tageszeit mindestens eine kleine Menge Strom. Zu Spitzenzeiten laden sich die Batterien auf, die Elektrizität für die Abendstunden zur Verfügung stellen.

Sobald diese voll sind, werden die riesigen Wasserspeicher aufgeheizt, die insgesamt eine Viertelmillion Liter fassen und im Winter die Bodenheizung versorgen. Weiter verfügt das Gebäude über eine eigene Elektrolyse-Anlage, die mit überschüssigem Sommerstrom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. Der Wasserstoff wird in einem Tank gespeichert, der unter dem Rasen vergraben ist und als Reserve dient. Eine Brennstoffzelle stellt aus dem Wasserstoff später wieder Strom und Wärme her. Im vergangenen Winter musste sie an 30 Tagen in Betrieb genommen werden.

Im Sommer wird mit überschüssiger Wärme zudem das Erdreich wieder aufgeheizt. Denn mit den beiden Erdwärmesonden, die 340 Meter in die Tiefe reichen, würde der Untergrund über die Jahre leicht abkühlen. In Übergangszeiten, wenn es draussen noch wärmer ist als im Erdreich, greifen die Wärmepumpen aber auf die Umgebungsluft zurück. «Das ausgeklügelte, vollautomatisierte System wählt stets die am besten verfügbare Energiequelle aus», erklärt Renato Nüesch. In der Technikzentrale im Keller zeigen diverse Bildschirme die aktuelle Produktion und Verwendung der Energie an.

Nicht nur Ökofundis als Mieter
Ein wichtiges Prinzip des Hauses ist auch, dass keine Energie verloren geht. Neben einer optimalen Dämmung der Gebäudehülle wird etwa die Abwärme der Wechselrichter genutzt, die den Gleichstrom der Fotovoltaikanlage in haushaltstauglichen Wechselstrom umwandeln. Der Lift gewinnt beim Herunterfahren Strom zurück. Und auch das frische Duschwasser wird durch das bereits verbrauchte etwas vorgewärmt.

Zudem sind die Mietwohnungen mit den energieeffizientesten Geräten ausgestattet – etwa Kühlschränke der Klasse A+++. Sie verfügen aber allesamt über Waschmaschinen und Tumbler. Auch eine grosszügige Tiefgarage ist vorhanden, wo ein Elektroauto geladen wird, das allen Bewohnern zur Verfügung steht. Ein weiteres gemeinsames Auto wird mit Kompogas betrieben, das aus den hauseigenen Rüst- und Gartenabfällen in der Anlage in Winterthur hergestellt wird. «Wir bieten den heute üblichen Standard», erklärt Nüesch. Beim Vermieten habe man bewusst nicht ausschliesslich nach genügsamen Ökofundis gesucht, sondern nach durchschnittlichen Verbrauchern.

Ein minimales Bewusstsein für den Umgang mit Energie wird von den Bewohnern aber schon erwartet. Deshalb ist in sämtlichen Wohnungen ein Display angebracht, das den aktuellen Stromverbrauch anzeigt. Wird gerade gleichzeitig gekocht, gewaschen und gebügelt, springt die Kurve leicht mal in den roten Bereich. Pro Wohnung steht jährlich ein Kontingent von 2200 Kilowattstunden zur Verfügung. Dies entspricht etwa der Hälfte des durchschnittlichen Verbrauchs eines Schweizer Vierpersonenhaushalts. Dennoch haben es die Brüttener Bewohner bis anhin nie ausgeschöpft. Sie kommen ohne Verzicht mit rund 1500 Kilowattstunden pro Jahr aus.

Neues Projekt in Planung
Einer dieser Bewohner ist Lukas Baltensperger, der mit seiner Familie eine Parterrewohnung mit Gartensitzplatz belegt. «Das Wohnklima ist sehr angenehm», sagt er. Durch die gute Dämmung bleibe es im Sommer schön kühl. «Auch im Winter hatten wir stets genug Strom und mussten nie frieren.» Rahel und Lukas Baltensperger wohnten schon vorher in Brütten und hatten den Bau interessiert mitverfolgt. Insbesondere die Versenkung der riesigen Tanks für die Wärme- und Wasserstoffspeicherung fanden sie faszinierend. Ausschlaggebend für eine Bewerbung war schliesslich der Umweltgedanke. «Die nächste Generation soll nicht unsere Umweltsünden ausbaden müssen», sagt der Vater von zwei kleinen Buben. Der Mietzins von rund 2500 Franken inklusive Nebenkosten für eine 4½-Zimmer-Wohnung sei ortsüblich.

Der Bau habe lediglich etwa 15 Prozent mehr als ein gewöhnliches Minergiegebäude gleicher Grösse gekostet, sagt Energiefachmann Nüesch. Weil keine Kosten für Strom und Heizenergie anfallen, sollten die Investitionen innerhalb von 30 Jahren amortisiert werden können. Nicht Teil dieser Rechnung sind jedoch die Elektrolyse-Anlage, der Tank für den Wasserstoff und die Brennstoffzelle, die auf rund 700 000 Franken zu stehen kamen. Die Umweltarena kommt für diesen Betrag selber auf. Um eine entsprechende Anlage rentabel zu betreiben, müsste sie ein ganzes Quartier versorgen.

«Wir wollten zeigen, dass Häuser allein mit erneuerbaren Energien funktionieren können», sagt Renato Nüesch. Das Brüttener Modell sei eine von verschiedenen Möglichkeiten, das Stromnetz im Winter nicht zusätzlich zu belasten. Bereits ist die Umweltarena an der Planung eines vergleichbaren Projekts in Zürich-Leimbach.