Die beiden Institutionen überwachten fünf kleinere Bäche mit landwirtschaftlich genutztem Einzugsgebiet von Frühjahr bis Herbst 2017. In zwei Artikeln in der Fachzeitschrift «Aqua&Gas» berichten die Fachleute nun von den Ergebnissen: Pro Standort fanden sich zwischen 71 und 89 Wirkstoffe, insgesamt 145, wie die Eawag am Dienstag mitteilte.    

Bei allen fünf Bächen wurden Umweltqualitätskriterien überschritten. Diese werden für jeden Stoff aus Tests abgeleitet. Über mehrere Monate hinweg – zwischen dreieinhalb und sechseinhalb Monaten, also teils während der gesamten Vegetationsperiode – lagen die Werte einzelner Stoffe demnach so hoch, das mit einer schleichenden Schädigung der Tiere und Pflanzen zu rechnen sei, hiess es weiter.    

Zwischen zwei und knapp elf Wochen war das Risiko so hoch, dass mit einer akuten Beeinträchtigung der Lebensgemeinschaften gerechnet werden müsse, schrieb die Eawag. Dies aufgrund einzelner Stoffe, aber auch der ganzen Mischung aus verschiedenen Unkraut-, Pilz- und Insektenvernichtungsmitteln. Beispielsweise lag das berechnete Risiko im Eschelisbach im Thurgau bis 36 Mal und im Weierbach im Kanton Basel-Land bis fünfzigmal über der Schwelle, ab welcher Fortpflanzung, Entwicklung und Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Mikroben beeinträchtigt sind.  

Beide Bäche wurden bereits in einer früheren Studie von 2015 untersucht. Der Vergleich zeigte, dass sich die Stoffzusammensetzung teils deutlich unterschied: Beispielsweise gab es im Weierbach insgesamt 21 Substanzen, die für Wasserlebewesen problematisch sind. Davon lagen aber nur vier in beiden Jahren in problematisch hohen Konzentrationen vor.  

Mögliche Gründe seien das Wetter und die Lage der landwirtschaftlich genutzten Flächen zum Gewässer, halten die Fachleute fest. Insgesamt ging die Belastung im Weierbach im Vergleich zu 2015 zurück, im Eschelisbach lag sie leicht höher.

Repräsentativ für viele Schweizer Bäche  
Dass Schweizer Gewässer stark mit Pestiziden belastet sind, ist bereits aus früheren Untersuchungen bekannt. Allerdings stellte sich dabei die Frage, welchen Anteil Wirkstoffe aus nicht-landwirtschaftlichen Quellen ausmachen, und ob die Messungen repräsentativ für die Schweiz seien. Bei den Messungen von 2017 stellten die Fachleute daher sicher, dass praktisch keine Siedlungsabwässer mitgemessen wurden und dass die Messstandorte nicht aussergewöhnlich waren.    

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Grafik: Eawag

«Bei vier von fünf Bächen würde selbst eine zehnfach extensivere Landwirtschaft im Einzugsgebiet wohl noch zu Überschreitungen der Qualitätskriterien führen», sagte Christian Stamm von der Eawag gemäss der Mitteilung, «in diese Kategorie fallen rund 13'000 Kilometer Schweizer Bachläufe.»      

Aus den Messungen leiten die Expertinnen und Experten unter anderem ab, dass die pauschalen Grenzwerte der Gewässerschutzverordnung teils wenig Aussagekraft haben. So liegt diese für organische Pestizide bei 0,1 Mikrogramm pro Liter. Negative Auswirkungen sind aber beispielsweise bei Glyphosat erst ab 120 Mikrogramm pro Liter zu befürchten, bei anderen Stoffen bereits bei Werten unter dem offiziellen Grenzwert.

Gewässerschutz konsequent umsetzen  
Um die Gewässerbelastung zu reduzieren sei ein ganzes Bündel an Massnahmen notwendig: «Dazu zählen der Ersatz von besonders kritischen Stoffen, eine generelle Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und das Minimieren von Verlusten aus den Anbauflächen», so Stamm. All dies seien Punkte, die im Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel vorgesehen sind und nun möglichst rasch umgesetzt werden müssten.    

Die Untersuchung fand im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) im Rahmen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA) statt und wurde von fünf Kantonen und der Plattform Wasserqualität des Verbands Schweizer Abwasser und Gewässerschutzfachleute unterstützt.

Fischereiverband schockiert
Der Schweizerische Fischereiverband SFV zeigt sich schockiert von den Ergebnissen. Er bezeichnet sie  als «schlimmer als befürchtet» und sieht den Verdacht vieler Angler wissenschaftlich erhärtet: Die Fische seien doppelt belastet durch die grosse Menge Pflanzenschutzmittel in Fliessgewässern. Einerseits dezimierten diese Wirkstoffe die Nährtiere für die Fische, andererseits vergifteten sie den Lebensraum der Fische.  

«Die viel zu starke Belastung des Wassers durch Pestizide ist eine Gefahr für Mensch und Tier. Das wollen und können wir nicht akzeptieren», liess sich Fischerei-Präsident Roberto Zanetti in einer Mitteilung des SFV zitieren. Angesichts des dramatischen Fischrückgangs fordert der SFV verstärktes Handeln der Politik. Den «Aktionsplan Pflanzenschutz» des Bundes bezeichnet der Verband als «gut gemeint, aber wenig wirkungsvoll».    

Es brauche umgehend vertiefte Untersuchungen zur direkten und indirekten Schädigung von Fischen durch Pflanzenschutzmittel-Gemische. Mischungseffekte sollten beim Zulassungsprozess einbezogen und nicht nur Grenzwerte, sondern auch Summengrenzwerte für Pestizide in Gewässern festgelegt werden.    

Auch die Umweltverbände BirdLife, Greenpeace, WWF und Pro Natura richten in einer gemeinsamen Stellungnahme einen Appell an die Politik: Es brauche einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft, weg von Pestiziden und hin zu agrarökologischen Methoden.