Haseebullah Heydari kniet auf einer Brache neben der Autobahn und reisst ein weiss blühendes Gewächs mitsamt der Wurzel aus. An der brütenden Sonne sind es über 35 Grad, aber das macht dem jungen Mann aus Afghanistan nichts aus. «Dort, wo ich herkomme, ist es im Sommer noch viel heisser», schmunzelt Heydari, «allerdings würden wir bei dieser Hitze definitiv im Schatten bleiben.» Der Grund, warum der junge Flüchtling das heute nicht tut, ist eine Aktion der Gemeinde Steffisburg (BE), in der er in der Schweiz untergekommen ist. Sie geht regelmässig gegen invasive Neophyten vor, die die heimische Natur bedrohen. Dabei wird die Gemeinde von zahlreichen Freiwilligen unterstützt, so auch von Asylsuchenden.

Heute soll es dem Einjährigen Berufkraut und dem Jakobskreuzkraut an den Kragen gehen. «Leider müssen die Problempflanzen mühsam von Hand ausgerissen werden», so Barbara Bosco. Sie engagiert sich ebenfalls als Freiwillige und ist froh, dass neben Haseebullah Heydari auch sechs weitere Flüchtlinge aus der Kollektivunterkunft der Gemeinde mithelfen. «Freiwillige zu finden ist schwer», bedauert Bosco. Nebst den fünf Afghanen, einem Kurden aus der Türkei und einer Tibeterin haben sich auch fünf Schweizerinnen auf der Brache eingefunden und ziehen nun Pflanze um Pflanze aus dem trockenen Boden. «Das Berufkraut blüht bereits, daher ist es höchste Zeit. Wenn es zum Absamen kommt, haben wir nächstes Jahr die ganze Fläche voll», so Barbara Bosco.

Obwohl das Einjährige Berufkraut durchaus hübsch aussieht, verdrängt die aus Nordamerika stammende Pflanze die einheimische Flora. Da es von Nutztieren nicht gerne gefressen wird, ist es auch Landwirten zunehmend ein Dorn im Auge. Haseebullah Heydari kommt gut voran. Bereits nach einer halben Stunde hat er einen ganzen Müllsack mit dem Einjährigen Berufkraut gefüllt. Dieses darf nicht über den Kompost entsorgt werden, sondern wird zusammen mit dem Hauskehricht durch Verbrennung unschädlich gemacht. «Die Schweizer Natur ist sehr schön, darum helfe ich heute gerne mit», so Heydari.

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Einsatz für die Schweizer Natur

Der junge Afghane ist vor sechs Monaten alleine mit einem Boot über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Eine gefährliche Reise, die nicht wenige mit dem Leben bezahlen. Geflohen ist er vor den Taliban, die 2021 erneut die Macht in Afghanistan übernahmen. Seine Familie musste er vorerst zurücklassen. «Ich mache mir grosse Sorgen um sie, denn das Leben in Afghanistan ist sehr hart. Fast jeder hat Hunger, und besonders um meine Schwester habe ich oft Angst.» Umso mehr hofft er, dass seine Eltern und Geschwister auch bald in die Schweiz kommen dürfen.

Bis dahin lernt Heydari fleissig Deutsch. «Die Aktion heute hilft mir auch, mit Schweizern in Kontakt zu kommen und die Sprache zu üben», erzählt der 23-Jährige. Beim gelb blühenden Jakobskreuzkraut ist sich der Afghane unsicher. «Warum schlecht?», fragt er. Barbara Bosco erklärt ihm unter Zuhilfenahme von Gesten, dass das Kraut für Pferde und andere Nutztiere giftig sei. Heydari nickt und reisst das robuste Kraut aus dem Boden. Daneben blühen Exemplare des nützlichen Johanniskrauts. «Das ist gut für den Kopf», erklärt Bosco und tippt sich an die Stirn. Johanniskraut wird bei depressiven Verstimmungen eingesetzt und ist nicht nur darum auf Brachen eine erwünschte Nutzpflanze.

Zwischen dem Kurden und den jungen Afghanen findet mittlerweile ein reger Austausch statt. «Unser Wort für ‹Danke› ist fast gleich», stellen die jungen Männer fest. Mit ein paar Brocken Deutsch sowie Händen und Füssen gelingt es ihnen, sich nicht nur untereinander zu verständigen, sondern auch mit den Schweizerinnen, die heute ebenfalls freiwillig mithelfen, invasive Neophyten und andere Problempflanzen zu bekämpfen.

Nach rund zwei Stunden ist die fussballfeldgrosse Fläche frei von Einjährigem Berufkraut und Jakobskreuzkraut. Der Erfolg wird mit Handschlag und Glace gefeiert. Letzteres haben sich alle Beteiligten nach der mühsamen Arbeit redlich verdient. Die Leiter der Aktion ziehen eine positive Bilanz: «Es war ein schönes Miteinander. Die Kommunikation hat schon ganz gut funktioniert – manchmal auch ohne Worte. Wir werden auf jeden Fall weitere solche Einsätze planen.»