Wird landwirtschaftliche Produktion mit dem Anbau von Bäumen oder Sträuchern auf derselben Fläche kombiniert, spricht man von Agroforstsystemen. An sich gar keine neue Erfindung, denn traditionelle Kombinationen von Ackerbau oder Nutztierweiden mit Baumbestand existieren in der Schweiz bereits seit Jahrhunderten. Beispielsweise in den Hochstammobstgärten, den Wytweiden im Jura oder den Kastanienselven im Tessin und in Südbünden. Zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren hat der Baumbestand auf landwirtschaftlich genutzter Fläche jedoch drastisch abgenommen.Franco Ruault legt in seinem 2021 erschienenen Buch «Baummord» dar, wie in jener Zeit auf staatliche Anordnung in der Schweiz über elf Millionen Obstbäume gefällt wurden. Dass damit wertvolle Lebensräume für Tiere vernichtet wurden und alte Obstsorten sowie ökologisch wichtige Strukturen verloren gingen, wird immer bewusster. Traditionelle Agroforstsysteme machen nur knapp acht Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Schweiz aus.

Eine wachsende Nische

Vor rund 30 Jahren begannen Wissenschaftler der Universität Leeds (UK) damit, Ackerflächen und Bäume gezielt miteinander zu kombinieren, und entwickelten das erste moderne Agroforstsystem, wo die Pflanzung der Bäume sich der Produktionstechnik anpasst, damit sie die landwirtschaftliche Nutzung möglichst wenig beeinträchtigen. Bei den modernen Systemen unterscheidet man zwischen der Kombination von Ackerland mit Bäumen oder von Weideland, also Tierhaltung mit Bäumen. Die Vorteile der Integration von Bäumen und Sträuchern sind zahlreich. Durch eine Landwirtschaft auf mehreren Etagen werden Wasser, Licht sowie Nährstoffe effizienter genutzt. Es entsteht zusätzlicher Lebensraum für zahlreiche Pflanzen und Wildtiere, was die Biodiversität und Artenvielfalt erhöht. Die Unterwurzelung bietet Schutz vor Winderosion und Nährstoffverlust. Bäume spenden Schatten, bremsen den Wind und sorgen dafür, dass mehr Feuchtigkeit auf dem Acker oder der Weide bleibt. Da Bäume den Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden, wird Kohlendioxidreduziert und CO2 gespeichert. Landwirte können ihr Ertragsrisiko auf zwei oder mehr Kulturen verteilen. Als Nachteil muss der Aufwand beim Pflanzen der Bäume gesehen werden, und dass sie die maschinelle Nutzung der Anbaufläche erschweren können.

Lisa Nilles von der Interessengemeinschaft Agroforst – 2011 gegründet – bestätigt, dass in der Schweiz die modernen Agroforstsysteme noch immer eine Nischenerscheinung sind. Das Interesse daran, solche Systeme in landwirtschaftlichen Betrieben neu zu integrieren, sei allerdings stetig wachsend, weiss die Agronomin. Einerseits seitens der Landwirte, die pflanzen möchten, und andererseits seitens der kantonalen Behörden, die darin in Bezug auf die Klimastrategien eine gute Option sehen. Momentan bestehen schweizweit etwa 450 Hektaren an modernen Agroforstsystemen.

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Vielseitigkeit wiederentdecken

Rund zehn Aren dieser insgesamt 450 Hektaren an Agroforst bewirtschaftet die Familie Ramser im bernischen Oberbalm. Der 14 Hektaren grosse Landwirtschaftsbetrieb Horbermatt wird von Philipp und Melanie Ramser seit 2005 nach den Richtlinien von Bio Suisse geführt. 25 Mastrinder und drei Pferdeweiden auf dem hügeligen Land, zudem sind Kinder gern gesehene Gäste. Schulausflüge, Ferientage und Kindergeburtstage sichern einen Teil des Erwerbs. Da grossflächiger Ackerbau auf den steilen Parzellen kaum möglich ist und Vielfältigkeit, Nachhaltigkeit, Ökologie, Ressourcenschonung und Krisenresistenz für Philipp Ramser und seine Ehefrau wichtige Werte sind,begannen sie sich für das Konzept des modernen Agroforstes zu interessieren. Als die HAFL (die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften) im Gantrischgebiet Pilotbetriebe für das Projekt «Permakultur und Agroforst» suchte, war dies der Startschuss ins Abenteuer.

Nach einer Planungsphase mit der Erstellung eines exakten Bepflanzungsplans wurden auf der Parzelle Uecht jeweils entlang der Höhenkurven zwei Streifen bepflanzt, im Oktober 2020 mit Stauden und Beeren, im Herbst 2021 folgten auch noch die Baumreihen. Auf dem Wiesland dazwischen weiden nun die Rinder.«Gestartet sind wir nach Bauchgefühl und etwas blauäugig», gibt der Hofbesitzer zu. «Wichtig war uns eine möglichst grosse Vielfalt, denn dies soll einmal eine schöne Ecke werden, wo sich Menschen und Tiere wohlfühlen. Heute würden wir bei der Bepflanzung allerdings etwas weniger Experimente wagen und nicht mehr so viel Geld investieren.» Der Permakulturgedanke, nach dem die Natur alles selbst regelt, sei zumindest in der Startphase etwas illusorisch. Den Mäusen muss derzeit noch mit Fallen entgegengewirkt werden, denn diesen schmecken die Wurzeln der jungen Pflanzen ausgezeichnet, und die noch kleinen Bäume mussten als Fressschutz vor den Rehen umzäunt werden. Das Ökosystem braucht eine gewisse Anpassungszeit an die neuen Gegebenheiten; dies auszuhalten, sei gerade nach dem hohen zeitlichen und finanziellen Anfangsaufwand nicht einfach. «Die Natur hat uns aufgezeigt, dass es eine gute Portion Ausdauer und Idealismus benötigt, um neue Wege einzu-schlagen», sagt Philipp Ramser.

Digitaler Ausflug
Netzwerk Agroforst
Die IG Agroforst ist ein Zusammenschluss interessierter Personen aus Beratung, Praxis sowie Forschung. Ziel der Interessengemeinschaft Agroforst ist es, Wissen zu erarbeiten und den Austausch zwischen Landwirtinnen, Beratern und Expertinnen zu fördern, die nach Kombinationen zwischen verschiedenen Baumarten mit landwirtschaftlichen Unterkulturen suchen.
www.agroforst.ch

Agroscope: Agroforst als neue Landwirtschaftsform

Agroscope forscht zu modernen Agroforstsystemen und setzt dabei den Fokus auf den ökonomischen Nutzen, die Effekte auf den Klimaschutz, auf die Umwelt und Landschaft.
agroscope.admin.ch/agroforstwirtschaft

Eine erste Bestätigung ergab, dass die Parzelle Uecht im vergangenen Hitzesommer viel grüner als das umliegende Land blieb, und die Proben der HAFL zeigten auf, dass die Bodenaktivität sowie die Laufkäfervielfalt in den Pflanzenstreifen um ein Vielfaches zugenommen hatten. Die Projektbegleitung der HAFL besteht neben den Bodenproben und der Zählung und Bestimmung der anwesenden Nützlinge auch in der Messung der Wirtschaftlichkeit. «Wir erwarten von dieser Parzelle keine Toperträge, erklärt Philipp Ramser, deshalb möchten wir auch pragmatisch in der Bewirtschaftung sein.» Wertvoll sei zudem der Austausch mit anderen Betrieben, den das Projekt ermögliche. Zudem seien die Projektbegleiter tolle Ideengeber und eine tolle moralische Unterstützung. «Unser Ziel ist es, selber zu einem Aufklärungsort für das Agroforst- und Permakultursystem zu werden, etwa indem wir Führungen anbieten», so Melanie und Philipp Ramser. Der Gewinn des Innovationspreises Gantrisch in der KategorieÖkologie und die Unterstützung der Stiftung Visio-Permacultura zeige ihnen, dass sie auf dem richtigen Weg seien. Was nun noch fehlt, ist die Unternutzung. Dafür kann sich der Landwirt eher Gemüseanbau als Hühner vorstellen, da der Fuchs in der Hecke am Fusse der Parzelle zu Hause ist.

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Neuer Lebensraum und zusätzliche Sympathie

Der Landwirtschaftsbetrieb Adlerzart im aargauischen Oberrüti befindet sich in der Planungsphase für eine Agroforstanlage. Pirmin Adler besitzt 22 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. Darauf hält er eine Limousin-Mutterkuhherde und auch Weidepoulets in kleinen Gruppen. Auf zwei Hektaren betreibt er Ackerbau. «Ich starte mit dreieinhalb Hektaren Agroforstflächen, wobei diese laufend ausgebaut werden sollen», erläutert der Landwirt, der nach den Grundsätzen der regenerativen Landwirtschaft arbeitet. Adler will das Konzept des Agroforsts in seinen Betrieb integrieren, weil er darin zahlreiche Vorteile sieht. Doch vor den Herausforderungen, die die Baumbestände mit sich bringen, verschliesst er die Augen nicht. Und im Bereich des Tierwohls erkennt Adler Pluspunkte im deutlich vielfältigeren Nahrungsangebot für seine Tiere und im natürlichen Schatten, den die Bäume spenden. «Auch auf ökologischer Ebene sehe ich zahlreiche Vorteile, etwa eine grössere Biodiversität, belebtere Böden und eine höhere Klimastabilität», zählt Adler auf. Und auch ökonomisch erhofft er sich für die Direktvermarktung ein Differenzierungsmerkmal, das zusammen mit der besseren Qualität des Fleisches den Rückhalt für die Preisargumentation bildet. Die Bäume und Sträucher bedeuten aber gerade in der Startphase einen Mehraufwand an Arbeit und Finanzen. Dies ist sich der Aargauer bewusst. Noch im November 2022 beginnt er auf zwei Parzellen mit der Pflanzung von Baum- und Heckenreihen.

Weinreben mit Bäumen

Die Wiederintegration von Bäumen in die Schweizer Landwirtschaft in Form moderner oder traditioneller Agroforstsysteme ist auch ein Fokus des Fonds Landschaft Schweiz (FLS). Besonders spannend sind vom FLS unterstützte Projekte, die Bäume im Weinbaufördern. Die Weinrebe kommt ursprünglich aus dem Wald und ist eine lianenartige Kletterpflanze. Daher ist die Kombination mit Bäumen sehr artgerecht für Weinreben, dies entspricht ihrem ursprünglichen Habitat. In der Westschweiz haben einige Weinproduzenten in den letzten Jahren schon entschieden, in den Weinbergen Bäume oder Sträucher zu pflanzen. Die Erhöhung der Bodenaktivität, die Abgabe von Feuchtigkeit, der Schutz der Reben gegen Wind und Frost, sowie eine Aufwertung des Landschaftsbildes gaben bei diesen Vitiforestier-Projekten den Ausschlag.

Und in der Tessiner Berggemeinde Mergoscia im unteren Verzascatal gedeiht neuerdings eine uralte Form des Rebbaus wieder: «vite maritata», mit Bäumen verheiratete Reben. Neben jeder Rebe wird ein Obstbaum gepflanzt, um gemeinsam in die Höhe zuwachsen. So können die Reben an den Bäumen auf-gebunden werden und finden in diesen eine Stütze. Die Bäume bieten den Reben Schutz vor Krankheiten oder Hagelschlag. Und die begrenzte landwirtschaftliche Fläche des Bergdorfes kann so doppelt genutzt werden.

Bäumen in der Landwirtschaft wieder vermehrt Raum zu geben, bedingt zwar einen anfänglichen Aufwand und eine gute Portion Geduld. Ein Zurück zum altmodischen Landschaftsbild lohnt sich aber auf den verschiedensten Ebenen und in allen Regionen des Landes, wie Ackerbauern, Viehbauern und sogar Weinbäuerinnen beweisen.