Ausgerechnet ein Biber ist das Maskottchen des Baummuseums. «Fred le Castor» hat sogar einen eigenen kleinen Themenweg im Arboretum Aubonne, dem schweizweit einzigen botanischen Garten, der sich nicht um Blumen oder Kräuter kümmert, sondern ausschliesslich um Gehölzpflanzen, also um Bäume und Sträucher.

Biber Fred ist nicht der Erzfeind des Arboretums, sondern der Glücksbringer. Christophe Blanchard ist einer der Gärtner hier und zeigt in Richtung des kleinen Stausees mitten im Arboretum. Das Flüsschen Aubonne, das auch dem Dorf ein paar Kilometer südwärts seinen Namen leiht, wird hier vom Elektrizitätswerk gestaut; aber auch eine Biberfamilie hat sich hier einquartiert, wie sich anhand der Nagespuren an den gefällten Bäumen am Ufer unschwer erahnen lässt.

«Es mag überraschen, dass wir den Biber walten lassen», sagt Blanchard. «Aber ihm gehört der Wald halt genauso wie uns.» Schliesslich gebe es einfache Methoden, den Nager von denjenigen Bäumen fernzuhalten, die er in Ruhe lassen soll. In Plastiknetze eingepackte Baumstämmchen zeugen links und rechts davon. «Wir pflanzen extra Weiden für den Biber, die mag er am liebsten. Sie mögen die Nähe zum Wasser, wachsen schnell und sind zart.»

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Auf einer Fläche von rund 150 Hektaren, das ist knapp fünfmal der Zoo Zürich, wachsen im Arboretum alle möglichen Baumarten, die in unseren Breitengraden zu Hause sind. Palmen oder Zitronenbäume sucht man hier vergebens, wie Christophe Blanchard erzählt: «Am See unten mögen die zwar noch einigermassen überleben, aber hier sind wir auf knapp 600 Metern über Meer, da reicht das nicht mehr.»

Trotzdem finden sich im Arboretum ein paar Exoten. Die Mammutbäume aus Nordamerika etwa ragen von Weitem sichtbar hoch in die Luft. Fast zurechtgestutzt scheinen sie mit ihrer kegelförmigen Spitze. In Südamerika sind die Araukarien heimisch, die wegen ihrer stachelig geschuppten Äste bei uns auch «Affenschwanzbäume» genannt werden. Auf Französisch, so erklärt Gärtner Blanchard mit einem Schmunzeln, heissen sie hingegen «désespoir des singes», Verzweiflung der Affen, weil sie auch für Kletterkünstler zu stachelig zum Erklimmen sind.

Ausflugsziel im Niemandsland

Blanchard führt über eine gedeckte Holzbrücke über den Stausee, dann hinauf zu einer malerischen Weide, auf der die Schafe des benachbarten Bauers weiden. Eine Allee aus Apfel- und Birnbäumen spendet Tieren und Fussgängern Schatten. Von Weitem wirken sie alle ähnlich, in Wahrheit handelt es sich bei jedem der Bäume um ein Einzelstück. «Channe Vaudoise» ist in ein kleines Schild an einem Birnbaum graviert. «Roussette» steht am nächsten Baum, «Sous Vanel» am dritten.

Eines der Hauptziele des Arboretums ist der Erhalt alter Obstbaumsorten. «Es ist zwar unmöglich für uns, von jeder Schweizer Sorte ein Exemplar zu haben, dafür bräuchten wir mehr Platz», sagt Christophe Blanchard, «aber wir leisten unseren Beitrag dazu, dass diese Bäume nicht plötzlich einfach verschwinden.» Aus den Früchten, erzählt der Gärtner, entsteht im Herbst hauseigener Most, der in der Arboretum-Beiz ausgeschenkt wird. Sortenrein ist er nicht, sagt Blanchard. Im Gegenteil: «Wir mischen Äpfel und Birnen. Aber wir schauen schon, dass die ganz sauren nicht reinkommen.» Denn, und jetzt grinst er breit: «Ein paar dieser Apfelsorten gehören eher ins Putzmittel als ins Trinkglas.»

Arboretum du Vallon de l’Aubonne
Ein Besuch im Arboretum lohnt sich. Der Eintritt kostet für Erwachsene 10 Franken und ein Besuch dauert etwa einen halben bis einen ganzen Tag. Das Arboretum hat das ganze Jahr über jeden Tag geöffnet.
arboretum.ch

Nach der sonnenbeschienenen Schafweide führt der Rundweg – es ist einer von mehr als einem halben Dutzend Pfade, die man im Arboretum einschlagen kann – in den dunklen Wald. Einzelne Bäume sind hier kaum mehr angeschrieben, die Ordnung von eben weicht dem Chaos. Vor gut fünf Jahren haben Blanchard und sein Team aufgehört, hier aufzuräumen, und überlassen den Wald sich selbst. «Wenn ein Baum auf den Fussweg fällt, sägen wir ihn links und rechts ab und lassen den Rest liegen.» So soll irgendwann ein Urwald entstehen, auch wenn das ein paar Hundert Jahre dauert.

Doch auch jetzt schon zeigt sich ein etwas anderes Bild, als man sich in einem Wirtschaftswald gewohnt ist. «Îlot de sénescence», «Alters-Insel», nennt Blanchard dieses Waldstück, in dem Bäume auch bleiben dürfen, wenn sie alt, krank oder tot sind.Quasi ein Gnadenhof für Bäume. Bald soll er entsprechend beschildert werden, Erklärtafeln werden dann aufzeigen, wieso hier plötzlich Unordnung herrscht.

Das Arboretum wächst noch immer. Entstanden ist es 1968 durch die Initiative vieler freiwilliger Baumfreundinnen und -freunde, die sich selber mit einer Baumsammlung beschenken wollten. Der Zeitpunkt war der richtige dafür: Damals wurde die Autobahn zwischen Genf und Lausanne gebaut, der grosse Waldflächen weichen mussten. Der Kanton war deshalb bereit, in neue Waldflächen zu investieren, ein Arboretum stiess auf offene Ohren, zumal so im Niemandsland oberhalb der Weinbauflächen plötzlich ein potenzieller Touristenmagnet entstand.

Kunst mit Baumring-Stempeln

Die Unordnung im Urwald weicht bald einem kleinen Bambuswald. Der Pfad führt in Richtung Asien, wenn auch nur im kleinen Massstab. Weiter unten wartet der Japanische Wald, doch Christophe Blanchard biegt rechts ab, zurück in Richtung Eingang. Das Besucherzentrum hier bietet nicht nur hausgemachten Most und Snacks, es wartet auch mit dem «Musée du Bois», dem Holzmuseum auf, das diverse Waldberufe vorstellt und regelmässig wechselnde Kunstausstellungen beherbergt. Aktuell ist Kunst auch draussen allgegenwärtig: Der Künstler Nicolas Roman hat Baumscheiben zu Stempeln umfunktioniert, ihre Jahrring-Abdrücke auf Leinwand verewigt und entlang der Fusswege platziert.

Bei bestem Frühlingswetter lässt Blanchard das Museum links liegen und führt zwischen blühenden Kirsch- und Zwetschgenbäumen hoch auf eine Wiese mit Aussicht bis auf den Genfersee. Auf der anderen Hügelseite warten Magnolien auf Bewunderer. Auch sie sind Ende April mitten in der Blüte. Eine bessere Zeit für den Besuch im Arboretum ist wohl schwer zu finden, dennoch findet Christophe Blanchard: «Man sollte die Bäume unbedingt zu anderen Jahreszeiten auch sehen.» Im Herbst sei das Farbenmeer umwerfend, sagt er. Und im Winter, «wenn überall Schnee liegt, sieht die Landschaft hier traumhaft aus.»

Gute Werbung für ein Wiederkommen also. Der einzige Wermutstropfen betrifft Nutzende des Öffentlichen Verkehrs: Eine Bushaltestelle oder gar einen Bahnhof sucht man hier vergeblich. Die Wanderung von Bière nach Aubonne oder gar bis an den See hinunter lohnt sich jedoch und führt direkt durch das Arboretum.

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