Während am Strand die Wellen an Land ausrollen, hüpfen in den Baumwipfeln einzelne Tukane, werfen Beeren in die Luft und fangen sie geschickt mit ihren grossen, bananenförmigen Schnäbeln auf. Bewegungslos sonnt sich auf einem Ast ein grosser Leguan. Der Wald erbebt unter den Stimmen Hunderter Zikaden, die in der Mittagssonne ein Konzert veranstalten, das entfernt an den Lärm von Motorsägen erinnert. Letztere findet man in Costa Rica allerdings kaum, denn das Land setzt seit Jahren auf eine einzigartige Kombination aus Naturschutz und Tourismus. Über 52 Prozent des zentralamerikanischen Landes ist heute von Wald bedeckt, rund 20 Prozent mehr als in der Schweiz. Die feuchten Regenwälder des Tieflands, die Nebelwälder in den Bergen und die Mangroven an den Küsten beherbergen 6 Prozent der weltweiten Biodiversität, und somit ist Costa Rica im Vergleich zu seiner Grösse eins der 20 artenreichsten Länder der Welt.

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70 Jahre ohne Armee

Costa Rica, die «reiche Küste», ist ein kleines Land in Zentralamerika, zwischen Nicaragua und Panama. Mit knapp 52 100 Quadratkilometern ist es nur etwa einen Viertel grösser als die Schweiz, hat aber wesentlich weniger Einwohner. Nicht nur die vergleichbare Grösse, auch die 1983 deklarierte dauerhafte Neutralitätbrachte dem Land die Bezeichnung «Schweiz Zentralamerikas» ein. Bereits seit 1948 schaffte Costa Rica seine Armee zugunsten von Bildungs- und Gesundheitsprogrammen ab und war seitdem in keinen bewaffneten Konflikt mehr involviert. Ähnlich wie die Schweizerinnen und Schweizer sind die Ticos und Ticas, wie sich die Costa Ricaner selbst nennen, auf eins besonders stolz: die Natur ihres Landes. Costa Rica gilt als Vorreiter in Sachen Ökotourismus und zieht mit seinen artenreichen Regenwäldern und den Stränden jährlich über eine Millionen Touristen aus aller Welt an. Ab Zürich gibt es täglich Nonstop-Flüge in die Hauptstadt San José, die im Inland auf rund 1200 Metern über Meer umgeben von mehreren aktiven Vulkanen liegt. Von hier aus haben die Reisenden die Wahl, ob ihre Entdeckungsreise im karibischen Tiefland im Osten, an der Westküste mit den zahlreichen Stränden oder in der bergigen Zentralregion starten soll.

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Schildkröten am Karibikstrand

Der Tortuguero-Nationalpark an der nördlichen Karibikküste ist bekannt für seine üppige Vegetation aus Primär- und Sekundärregenwald und die zahlreichen Wasserstrassen. In den 1940er-Jahren wurden die Flussarme der Region zu Kanälen ausgebaut, um Holz besser abtransportieren zu können. Auch heute ist Tortuguero nur über den Wasserweg oder mit dem Flugzeug erreichbar, Strassen gibt es keine. Vom Boot aus kann man zahlreiche fischfressende Vögel wie Nacktkehlreiher (Tigrisoma mexicanum), Schlangenhalsvögel (Anhinga anhinga) und Amazonasfischer (Chloroceryle amazona) beobachten. Hie und da ragt der Kopf eines Kaimans (Caiman crocodilus) aus dem Wasser. An langsam fliessenden Gewässern lässt sich auch der Grund beobachten, wieso der Helmbasilisk (Basiliscus basiliscus) im Englischen auch Jesus Christ Lizard genannt wird: Die Echse kann auf ihren Hinterbeinen mit einer Geschwindigkeit von bis zu zwölf Stundenkilometern kurze Strecken über das Wasser laufen. Der Hauptgrund für die zahlreichen Touristen rund um das kleine Dorf Tortuguero sind jedoch die Meeresschildkröten, die jedes Jahr an den Stränden nisten. Die je nach Art mehrere Hundert Kilogramm schweren Weibchen schleppen sich dafür vom Meer her über den Sand, um vor der Brandung geschützt ihre Eier in selbst gegrabene Löcher zu legen. Die geschlüpften Jungtiere machen sich dann auf den Weg zurück ins Meer, oft begleitet von hungrigen Räubern wie Kojoten (Canis latrans), Waschbären (Procyon lotor) und zahlreichen Rabengeiern (Coragyps atratus). Nicht alle jungen Schildkröten schaffen es bis ins Wasser, wo sie für viele Jahre verschwinden werden, bis die Weibchen rund zehn Jahre später am Strand ihrer Geburt erscheinen und ihrerseits Eier ablegen.

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Krokodile und Aras

Im Gegensatz zur Karibikküste, die für ihre gefährlichen Strömungen bekannt ist, zeigt sich die Pazifikküste im Westen als ein wahres Surferparadies. Und geübte Schwimmer wagen sich auch ohne Brett in die Wellen. Auf dem Weg von San José zu einem der beliebtesten Strände, der Playa Jacó, wird der Fluss Tárcoles überquert. Von der Brücke aus kann man hier mehrere Dutzend Spitzkrokodile (Crocodylus acutus) beobachten, die sich auf den Sandbänken sonnen. Dazwischen durchkämmen Rosalöffler (Platalea ajaja) mit ihren abgeflachten Schnäbeln das seichte Wasser, und Stelzenläufer (Himantopus mexicanus) staksen auf ihren langen rosa Beinen durch den Uferbereich. Ein lautes Krächzen kündigt ein Grüppchen roter Aras (Ara macao) an, die sich wie ihre grünen Verwandten (Ara ambiguus) grösstenteils von den Früchten des Waldmandelbaums (Dipteryx oleifera) ernähren. Mit ihren kräftigen Schnäbeln knacken sie die harten Schalen der Hülsenfrüchte, die weit oben in den imposanten Brettwurzelbäumen hängen.

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Diebe und Symbiosen

Der Küste entlang Richtung Süden findet man drei der 26 Nationalparks und zahlreiche weitere Naturreservate. Einer der bekanntesten ist der Nationalpark Manuel Antonio, der berühmt ist für seine Tierbeobachtungsmöglichkeiten und direkt am Strand liegt, wo auch gebadet werden kann. Säugetiere wie Nasenbären (Nasua narica), Tamanduas (Tamandua mexicana) und Neunbinden-Gürteltiere (Dasypus novemcinctus) entdeckt man am ehesten während der Dämmerung und abseits der Touristenströme. Im Gegensatz dazu lassen sich die Kapuzineraffen (Cebus capucinus) durch Schaulustige nicht stören, im Gegenteil: Manch ein Besucher sah sich schon seines Picknicks beraubt, welches die geschickten Tiere in einem unbeobachteten Moment aus offenen Rucksäcken angeln. Gemütlicher nehmen es die hoch in den Bäumen hängenden Faultiere, von denen man in Costa Rica zwei Arten beobachten kann – das Dreifinger- oder Braunkehlfaultier (Bradypus variegatus) und das Zweifingerfaultier (Choloepushoffmanni).

Besonders einfach lassen sie sich in den Ameisenbäumen (Cecropia) entdecken, welche mit leuchterähnlichem Astsystem freie Sicht auf darin hängende Tiere bieten. Die Ameisenbäume heissen so, weil sie mit Ameisen der Gattung Azteca in Symbiose leben. Die Ameisen leben in den Stängeln des Baumes, wo sie Kulturen der Napfschildlaus (Coccidae) halten. Diese ernähren sich vom Saft der Pflanze und werden von den Ameisen «gemolken». Auch der Ameisenbaum selbst versorgt die Insekten über sogenannte «Müller’sche Körperchen», fett- und eiweissreiche Absonderungen, mit Nahrung. Als Gegenleistung verteidigt die Ameisenkolonie die Pflanze gegen Schädlinge und Fressfeinde. Man sollte den Bäumen also lieber nicht zu nahe kommen, denn die Insekten sind auch gegenüber Menschen aggressiv. Eine weitere Pflanze, der man in Manuel Antonio besser aus dem Weg geht, ist der Manchinelbaum (Hippomane mancinella), auch Strandapfel genannt. Das Wolfsmilchgewächs sondert bei Regen giftigen Milchsaft aus den Blättern ab, der zu Blasenbildung und Augenreizungen führen kann. Die meisten solcher Bäume tragen entweder ein Warnschild oder sind mit einem roten X markiert.

Zu Fuss und zu Wasser

An Costa Ricas südlichem Ende und der Küste entlang führenden Schnellstrasse Panamericana liegt die Hafenstadt Golfito. Sie ist ein guter Ausgangspunkt für Bootsausflüge, um Wale und Delfine zu beobachten. Im Golfo Dulce werden häufig Buckelwale (Megaptera novaeangliae), Delfine, Haie und Schildkröten gesichtet. Die besten Zeiten für Walbeobachtungen sind Dezember bis April sowie August bis Oktober. Rund um den Winter suchen Buckelwale aus Nord- und Südamerika die warmen Gewässer in Äquatornähe auf, um sich dort fortzupflanzen und in den geschützten Buchten ihren Nachwuchs zur Welt zu bringen. Eine einzigartige Gelegenheit, um die bis zu 30 Tonnen schweren Meeressäuger aus nächster Nähe beobachten zu können. Insgesamt zählen die Gewässer Costa Ricas 25 Arten von Meeressäugetieren, darunter auch Robben, Seekühe und Seeotter.

Auf der Osa-Halbinsel und Teilen des Festlands liegen mit 55 000 Hektaren die beiden grössten Nationalparks Costa Ricas: Corcovado und Piedras Blancas. Hier findet man nebst 500 verschiedenen Baumarten auch über 150 Orchideenarten, dazu kann man 370 Vogelarten und über 6000 Insektenarten beobachten. Verantwortlich für die Vielfalt sind die 13 unterschiedlichen Ökosysteme, vom Mangrovenwald über Tieflandregenwald bis zum Bergregenwald. Mit ganz viel Glück bekommt man auf einer Wanderung auf einem der zahlreichen Wege einen der seltenen Tapire (Tapirus bairdii) oder einen Jaguar (Panthera onca) zu Gesicht. Dabei sollte man immer aufpassen, wo man hintritt und hinfasst. Lanzenottern (Bothrops asper) sind häufig und auch gut getarnt. Die giftigen Schlangen liegen zusammengerollt im welken Laub und suchen auch nicht das Weite, wenn man sich ihnen nähert. Deshalb sind sie auch für die meisten Schlangenbisse und zahlreiche Todesfälle in Costa Rica verantwortlich. Wer jedoch auf dem Weg bleibt und die Augen offenhält, kann die Tiere umgehen.

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Farbige Vögel und bunte Amphibien

Die tropische Riesenameise (Paraponera clavata) wird im Englischen Bullet Ant (Gewehrkugelameise) genannt, weil ihr Stich so schmerzhaft sein soll, wie wenn man angeschossen wird. Sie ist eine der grössten Ameisen der Welt und in Costa Rica häufig. Entsprechend vorsichtig muss man sein, wenn man sich an Ästen festhalten will, um auf dem oft feuchten und unebenen Walduntergrund nicht auszurutschen. Hübscher sind die verschiedenen Motmots (Familie Momotidae) und Trogone (Familie Trogonidae) – bunte, mittelgrosse Vögel, die sich oft in den unteren Baumschichten beobachten lassen. Eine besonders spektakuläre Art der Trogone, der Quetzal (Pharomachrus mocinno), lässt sich allerdings lediglich in den Bergregionen Costa Ricas beobachten. Die grün und rot gefärbten Männchen mit ihren bis zu einem Meter langen Schwanzfedern findet man in den Wolken- und Nebelwäldern im Zentrum des Landes. Monteverde, ein Naturschutzgebiet nordwestlich von San José, eignet sich dafür besonders gut. Vogelfreunde kommen hier wie in ganz Costa Rica auf ihre Kosten, nicht zuletzt durch die zahlreichen Kolibri-Arten, welche vielerorts an speziellen Futterstationen angelockt werden und zum Beobachten und Fotografieren einladen. Da seinzigartige Ökosystem Monteverdes ist zudem der einzige Ort, an dem Goldkröten (Incilius periglenes) lebten.

Die etwa fünf Zentimeter grossen, knallorangen Lurchen wurden erst Mitte der 1960er-Jahre entdeckt. 1989 wurde zum letzten Mal ein einziges Exemplar beobachtet, und die Art gilt mittlerweile als aus unbekannten Gründen ausgestorben. Froschbegeisterte finden dafür zahlreiche Pfeilgiftfrösche, wie das Erdbeerfröschchen (Oophaga pumilio), welches in Costa Rica in der rot-blauen «Bluejeans»-Farbvariante häufig über den Waldboden hüpft. Die weiblichen Frösche legen ihre Eier in überwiegend trockenen Bromelientrichtern ab, wo sie vom Männchen befruchtet und bewacht werden, bis nach etwa zehn Tagen die Jungtiere schlüpfen. Die Froschweibchen transportieren die Kaulquappen sodann einzeln auf dem Rücken zu einem wassergefüllten Bromelientrichter, wo sie sich in einem Monat zu ausgewachsenen Fröschchen entwickeln. Auch eins der tierischen Wahrzeichen Costa Ricas, den Rotaugenlaubfrosch (Agalychnis callidryas), kann man an vielen Orten beobachten. Ausgerüstet mit Taschenlampen lohnt sich ein nächtlicher Spaziergang an Gewässern, wo einem die namensgebenden Augen förmlich entgegenleuchten. Spinnenphobiker sollten sich allerdings darauf vorbereiten, dass dies auch die Stunden sind, in denen grosse Vogel- und andere Spinnen auf die Jagd gehen und damit sichtbarer sind als tagsüber. Wie die meisten Tiere sind jedoch auch sie harmlos, solange man sie in Ruhe lässt.

Nachhaltig in die Zukunft

Tiere und Natur generell in Ruhe zu lassen, das ist eins der erklärten Ziele Costa Ricas. Der sanfte, ökologische Tourismus ist heute nebst dem Export von Kaffee, Bananen und Ananas die Haupteinnahmequelle des Landes. 27 Prozent der Landfläche stehen offiziellunter Schutz, und 98 Prozent des Stroms stammt aus erneuerbaren Energiequellen. Im Kampf gegen die zunehmende Umweltverschmutzung verbot Costa Rica 2021 zudem als eins der ersten Länder weltweit Einwegprodukte aus Plastik und Importe von Styropor. Bis 2050 will Costa Rica die CO2-Neutralität erreichen. Da das Land heute lediglich für 0,02 Prozent der welt-weiten Emissionen verantwortlich ist, scheint dieser Plan durchaus realistisch zu sein.

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Fun Facts

Freunde der exotischen Tierwelt würden über die Wahl des Nationaltiers der Costa Ricaner wohl etwas enttäuscht sein. Nicht das Faultier oder der Jaguar, sondern der Weisswedelhirsch (Odocoileus virginianus), der auch in den USA weit verbreitet ist, gilt als eins der Nationalsymbole des zentralamerikanischen Landes. Ebenfalls wenig exotisch erscheint der Nationalvogel, die Gilbdrossel (Turdus grayi). Der braune Singvogel ist in etwa so gross wie eine Amsel, ernährt sich von Früchten und Invertebraten und ist über das ganze Land verbreitet. Unter anderem wegen des unverwechselbaren Gesangs des Männchens und weil er gerne die Nähe zum Menschen sucht, wird er in vielen Sagen, Liedern und Geschichten Costa Ricas erwähnt.

Laut dem Happy Planet Index (zu Deutsch «Index des glücklichen Planeten») sind Costa Ricaner die glücklichsten Menschen der Welt. Auch hier sind die Bemühungen des Landes, seinen ökologischen Fussabdruck möglichst klein zu halten, ausschlaggebend. Diese werden dem subjektiven Wohlbefinden und der durchschnittlichen Lebenserwartung gegenübergestellt. Im Gegensatz zum oft verwendeten Bruttoinlandsprodukt schliesst der Happy Planet Index somit auch den Aspekt der Nachhaltigkeit mit ein und stellt nicht den Reichtum der Menschen an erste Stelle, sondern ein glückliches, gesundes Leben.

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