Wie sehen die Wälder in der Schweiz in 50 Jahren aus, wenn man sie weiter wachsen lässt wie bisher?
Ich gehe davon aus, dass in diesem Fall die Nadelbäume, allen voran die Fichten, in den tiefen Lagen stark zurückgehen. Die Laubbäume indes werden von selber in höhere Lagen aufsteigen. Sie besitzen eine grössere Fläche zum Ausweichen als die Nadelbäume, die bereits in den hohen Lagen angekommen sind. Wenn Sie wollen, werden sich die Grüntöne in der Landschaft verändern.

Und der Anteil an Brauntönen?
Der dürfte steigen, weil wir gerade nach extremen Trockenjahren vermehrt absterbende Bäume sehen werden. Von einem Waldsterben darf man deshalb aber nicht reden. In unseren Wäldern wachsen schliesslich verschiedene Baumarten mit teils unterschiedlichem Alter quasi mosaikartig nebeneinander. Die einen sind dabei robuster als andere und werden überleben.

Welche Folgen haben diese Veränderungen für die Umwelt?
Ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von Waldleistungen. Sie reichen von Erholung, Schutz vor Naturgefahren und Holzproduktion bis hin zum Lebensraum. Das alles hat der Wald zu bieten. Dabei kann es durchaus Veränderungen geben. Allerdings werden andere Arten wachsen, und es wird wohl eine Übergangsphase geben, in der natürliche Lücken entstehen. Dadurch wird es heller in den Wäldern. Nicht überall wird man den Schatten finden, den man vielleicht gerne hätte. Ich kann mir auch vorstellen, dass in Zukunft einige Waldabschnitte gesperrt werden, aus Schutz vor herunterfallenden Ästen toter Bäume. Wenn sich die Schutzwälder verändern, ist es zudem denkbar, dass vermehrt Lawinen niedergehen.

Wie steht es um die Biodiversität in den Wäldern, wenn man nichts unternimmt?
Generell könnte die Vielfalt ähnlich bleiben. Vielleicht nimmt sie sogar dort zu, wo sich die Wälder erneuern. In jungen Wäldern ist der Artenreichtum oft hoch. In Bezug auf die Bäume werden diejenigen Arten profitieren, die Licht und Wärme brauchen.

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Diesen Annahmen liegt somit die Theorie zugrunde, dass das Klima wärmer wird und die Sommer trockener? 
Ja, davon gehen wir aus. Darauf basiert auch das Forschungsprojekt mit den Testpflanzungen.

Weshalb versucht man nicht einfach, gentechnisch veränderte Baumsorten zu züchten, die den neuen klimatischen Bedingungen gewachsen sind?
Wir arbeiten im Wald lieber mit naturnahen Verfahren. Bäume sind langlebige Wesen. Herauszufinden, ob Züchtungen oder Genexperimente von Erfolg gekrönt sind, würde enorm lange dauern – und zugleich ist es fraglich, ob das gelingt. Ob Genexperimente im grossen Rahmen gesellschaftlich akzeptiert würden, ist ebenfalls fraglich.

Wie sehen diese naturnahen Verfahren aus?
Wir arbeiten mit Samen unterschiedlicher Herkunft. Von jedem Baum pflanzen wir sieben Varianten, die aus verschiedenen Habitaten stammen. Dabei gehen wir davon aus, dass es zwischen Bäumen genetische Unterschiede gibt, wie bei den Menschen. Bei einer Buche, deren Samen aus Sizilien stammen, ist es durchaus denkbar, dass sie mit trockenem und wärmerem Klima generell besser auskommt, als eine Buche aus Wolhusen in Luzern, wo ich mich gerade befinde. Hier regnet es häufig, weshalb sie sich nicht an extreme klimatische Bedingungen anpassen musste. Diejenige aus Sizilien hingegen ist Hitze und Trockenheit gewohnt.

Entstehen bei den Tests Monowälder – etwas, das ja sonst nicht gewünscht ist?
Es stimmt, am Ende will man eine Durchmischung erreichen. Aus diesem Grunde werden bei den Erstpflanzungen nur wenige Bäume derselben Art nebeneinander stehen. Schon in zehn Jahren wird sich daraus automatisch ein Mischwald ergeben.

Bei unseren Testpflanzungen müssen wir damit rechnen, dass Bäume absterben. Das ist interessant für die Forschung.

Peter Brang
Waldforscher und Projektleiter der Testpflanzungen

Wie weit mischen Sie die Bäume, sodass auf jedem Gelände stets alle 18 Arten zu finden sind?
Dass wir das nur gerade bei knapp zehn Prozent der Testpflanzungen geplant haben, hat damit zu tun, dass sich nicht alle Arten miteinander vertragen. Selbst im Mischwald wächst nicht einfach alles fröhlich miteinander. Es gibt Baumarten, die man als asozial bezeichnen könnte. Das soll nicht negativ klingen. Aber es ist Tatsache, dass die einen Arten etwa viel Schatten werfen und dadurch andere, nach Licht strebende «ausdunkeln», sprich verdrängen. Unser Ziel ist es, allen Bäumen in den Testpflanzungen dieselben Wachstumsbedingungen zu bieten, damit wir sie beobachten können. Sie sollen nicht verdrängt werden. Gleichzeitig haben wir bei der Auswahl der Bäume auf eine sinnvolle geografische Verteilung auf die Testplanzungsgebiete geachtet.

In welcher Hinsicht?
Es bringt beispielsweise nichts, eine Atlas-Zeder, die ursprünglich aus Nordafrika stammt, die Wärme sowie Trockenheit gewohnt ist, in eine kalte nasse Region zu verpflanzen. Dass sie dort eingehen würde, ist voraussehbar. Daher haben wir sie in gewissen Test-Regionen erst gar nicht angepflanzt.

Sie hätten sich auch aus Arten aus geografischen Breitegraden mit einem viel wärmeren und trockeneren Klima konzentrieren können.
Indem wir Samen aus verschiedenen Regionen verwenden, berücksichtigen wir diesen Faktor bereits. Arten aus dem Ausland, von denen wir annehmen, dass sie sich stark ausdehnen könnten, haben wir hingegen nicht gewählt. Es war nicht unser Ziel, sie einzuschleppen. Wobei erwähnt sei, dass Bäume ohnehin Migranten sind. Sonst wären sie schon längst ausgestorben. Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der Wälder, erkennt man, dass viele Arten im Laufe der Zeit quer durch Europa «gewandert» sind, bis sie ein passendes Habitat gefunden haben. Das geschieht auch jetzt wieder, unter dem Eindruck der Klimaveränderung.  

Wie gross sind die Flächen der Testpflanzungen?  
Wir haben schweizweit 57 Gelände, die zwischen dem Fünftel einer Hektare und einer Hektare gross sind. Sie liegen stets in einem Waldgebiet, in dem wir – nach Absprache mit den jeweiligen Waldbesitzern und Gemeinden – zuerst Bäume schlagen müssen. Dadurch können wir die Samen oder Setzlinge aus einer Baumschule von Null auf beim Wachsen beobachten – ohne störende Konkurrenz anderer Bäume rundherum.

Nach welchen Kriterien haben Sie diese Standorte ausgewählt?    
Unter ursprünglich 170 möglichen haben wir uns für die jetzigen unter Berücksichtigung ihrer Klimagradienten entschieden. Unser Ziel war es, Gebiete in hohen und tiefen Lagen zu erhalten, mit unterschiedlichen klimatischen Verhältnissen – von Genf bis Romanshorn, vom Tessin bis nach Schaffhausen.  

Wie kommt es, dass der Kanton Graubünden mit acht Testpflanzungsstellen überproportional vertreten ist?
Das liegt an seiner Beschaffenheit. Er deckt alle Umwelten ab, von Hochlagen und kalten Flächen bis zu kontinentalem Klima mit starken Tagesschwankungen im Engadin.  

Wie werten Sie die Resultate der Testpflanzungen aus?
Wir gehen davon aus, dass wir die Gebiete vor allem am Anfang sehr intensiv untersuchen werden. In dieser Phase passiert viel. Wir beobachten das Wachstum und das Überleben. Bei unseren Testpflanzungen müssen wir damit rechnen, dass dies nicht überall der Fall sein wird und Bäume absterben. Das – sowie die Art und Weise, wie Pflanzen und Bäume mit extrem trockenen und heissen Phasen umgehen – ist interessant für die Forschung. Dazu muss man eben auch mal an den Rand dessen gehen, was die Bäume aushalten.  

Die 18 Baumarten der Testpflanzungen     Kernset (9 Arten)

Abies alba (Weisstanne)
Acer pseudoplatanus (Bergahorn)
Fagus sylvatica (Buche)
Larix decidua (Lärche)
Picea abies (Fichte)
Pinus sylvestris (Föhre)
Pseudotsuga menziesii (Douglasie)
Quercus petraea (Traubeneiche)
Tilia cordata (Winterlinde)

Ergänzungsset (9 Arten)
Acer opalus (Schneeballblättriger Ahorn)
Acer platanoides (Spitzahorn)
Cedrus atlantica (Atlaszeder)
Corylus colurna (Baumhasel)
Juglans regia (Nussbaum)
Prunus avium (Kirschbaum)
Quercus cerris (Zerreiche)
Quercus robur (Stieleiche)
Sorbus torminalis (Elsbeere)  
Quelle: WSL