Statt Zucker
Stevia: Süss, kalorienfrei, umstritten
Stevia gilt als gesunde Alternative zu Zucker, ist aber als Lebensmittel in der Schweiz nicht zugelassen. Der Name wird zum Teil für Produkte verwendet, die wenig mit der natürlichen Pflanze gemein haben.
Als Coca-Cola vor zwei Jahren ein Getränk in grüner Verpackung lancierte, gab dies zu reden. Das neue Coca-Cola Life wurde mit Bildern von Menschen in der Natur und die darin enthaltenen Süssstoffe als pflanzlichen Ursprungs angepriesen. Das ist korrekt: Nebst Zucker enthält das Getränk Steviolglycoside, die aus den Blättern der Steviapflanze gewonnen werden.
Das tönt nach viel Natürlichkeit. Immerhin soll das indigene Volk der Guaraní in Paraguay dem Mate-Tee seit Jahrhunderten Stevia beigeben. Die Blätter der Pflanze sind süss, machen aber nicht dick. Sie enthalten Stoffe, die die Alterung der Zellen bremsen und gegen Krebs vorbeugen sollen, sogenannte Antioxidantien. Nebenbei sind sie erst noch gut für die Mundhygiene.
Und doch gibt es ein Problem: Die Steviapflanze ist weder in der Schweiz noch in der EU als Lebensmittel zugelassen. Auf der Website des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) heisst es dazu: «Bei der Stevia-Pflanze gibt es Hinweise, dass gewisse Inhaltsstoffe bei zu hoher Dosierung die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten gefährden könnten.» Erlaubt sind Steviablätter nur als Zutat von maximal zwei Prozent in Kräutertees.
Stevia selber anbauen Samen und Setzlinge von Stevia-pflanzen sind in grösseren Gartengeschäften erhältlich. Da die Pflanze keinen Frost erträgt, sollte sie im Topf gezogen und im Haus überwintert werden. Sie mag viel Sonne und wird bis zu einem Meter hoch. Werden die längeren Triebe zurückgeschnitten, bilden sich Verzweigungen, wodurch eine schöne buschige Form entsteht. Vermehrt werden kann Stevia am einfachsten mittels Steck-lingen. Die getrockneten Blätter können zum Süssen von Tee verwendet werden. Für eine Tasse Tee reichen ein bis zwei getrocknete Blätter. In grösseren Mengen sollten sie vorsichtshalber nicht verzehrt werden. |
Steviolglycoside meist aus China
Ohne Bewilligung können hingegen Steviolglycoside verwendet werden, jene Süssstoffe, die industriell aus der Pflanze gewonnen werden. Sie süssen nebst der grünen Coca-Cola unter anderem auch die Cola der Appenzeller Firma Goba, eine Schokolade des Schweizer Herstellers Stella Bernrain und ein Müesli der Migros. Daneben werden sie im Detailhandel als Pulver und Tabletten sowie in flüssiger Form verkauft.
Allzu viel haben diese Süssstoffe nicht mehr mit der Steviapflanze gemein. Um den gesetzlich geforderten Reinheitsgrad von 95 Prozent zu erreichen, braucht es ein aufwendiges chemisches Verfahren. Laut dem Agrarwissenschaftler Udo Kienle, der Stevia an der Universität Hohenheim in Deutschland erforscht, werden dabei «praktisch alle wertgebenden Anteile der Pflanze zerstört». Die antioxidativen Eigenschaften fänden sich in den Steviolglycosiden nicht mehr. Hinzu komme, dass bei der Gewinnung der Steviolglycoside zum Teil Stoffe wie Aluminiumsalze und Methanol eingesetzt werden, die bei unsachgemässer Entsorgung die Umwelt schädigen können. «95 Prozent der Steviolglycoside werden in China hergestellt», sagt Kienle, «und wie dort die Abfälle aus der Produktion entsorgt werden, weiss man nicht so recht.»
Allerdings arbeitet das Schweizer Unternehmen Evolva gemeinsam mit dem Coca-Cola-Zulieferer Cargill an einem neuen Verfahren, um Steviolglycoside durch Fermentation mittels genetisch veränderter Hefezellen zu gewinnen. Das Produkt soll 2018 auf den Markt kommen, liess Evolva im Januar verlauten. Diese Produktionsweise sei billiger als die Gewinnung aus der Pflanze und zudem umweltfreundlicher, bestätigt Kienle. Aber das Produkt hat nichts mehr direkt mit der Steviapflanze zu tun. Beschriftungen mit Sätzen wie «aus Stevia gewonnen» oder «aus pflanzlichem Ursprung» werden nicht mehr möglich sein.
Zulassung der Pflanze möglich
Wobei die Rechtslage bereits für jene Produkte, deren Steviolglycoside tatsächlich aus der Pflanze stammen, nicht ganz klar ist. Das damals noch zuständige Bundesamt für Gesundheitswesen schrieb 2010, die Verwendung des Begriffs «natürlich» sei in diesem Zusammenhang irreführend und damit nicht zulässig. Täuschend seien auch «bildliche Angaben, (...) mit denen erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, es sei die Pflanze enthalten (...)». Nichtsdestotrotz: Wer in Schweizer Lebensmittelgeschäften nach Stevia-Süssstoff sucht, stösst rasch auf die Produkte von Assugrin mit dem Namen «Stevia Sweet», bei denen im Schriftzug der Buchstabe V durch zwei Steviablätter dargestellt ist. Das BLV will das Informationsschreiben mit dem Inkrafttreten des neuen Lebensmittelgesetzes am 1. Mai 2017 aktualisieren. Laut Mediensprecher Stefan Kunfermann ist jedoch nicht vorgesehen, dass sich im Bereich der Kennzeichnung etwas ändert. Gut möglich sei hingegen, dass sich die Gesetzgebung hinsichtlich der Zulassung der Pflanze in absehbarer Zeit ändert.
In der EU sind entsprechende Bestrebungen im Gang. «Wir sind dabei, Stevia als natürliche Lebensmittelzutat zu entwickeln», sagt Kienle von der Uni Hohenheim. In diesem Produkt soll nicht nur die Süsse, sondern auch die anderen positiven Eigenschaften der Steviapflanze erhalten bleiben. «Mit Förderung der EU haben wir die gesundheitliche Unbedenklichkeit dieses Steviaprodukts untersucht und bestätigt», sagt er. «Wir hoffen nun, dass es auch bald auf den Markt kommen kann.» Falls sich die gesetzliche Lage in der EU ändert, würde die Regelung auch von der Schweiz übernommen, wie das BLV bestätigt.
Schweizer hat Stevia «entdeckt»
Ob pflanzlich oder synthetisch, Stevia und daraus entwickelte Süssmittel haben angesichts der aktuellen wirtschaftlichen und gesetzlichen Entwicklungen das Potenzial, künftig trotzdem eine etwas grössere Rolle im Lebensmittelmarkt zu spielen. Bleibt die Frage, wer davon profitiert. Die schweizerische Nichtregierungsorganisation Public Eye und der Verein Pro Stevia setzen sich dafür ein, dass das Volk der Guaraní, das in Paraguay und Brasilien seit Jahrhunderten Stevia züchtet, an den Gewinnen beteiligt wird. Laut einem Bericht vom November 2016 zeigen sich insbesondere Schweizer Firmen wie Evolva und Nestle´ bereit, die Vorschlage zu diskutieren.
Dass die Steviapflanze einst überhaupt von den Guaraní zu uns gelangte, ist übrigens einem Schweizer Gelehrten zu verdanken: Die ersten schriftlichen Hinweise auf Stevia stammen nämlich von einem nach Paraguay ausgewanderten Tessiner namens Moisés Bertoni, der die Pflanze Ende des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich beschrieben hat. Vom Moment an, als er zum ersten Mal davon hörte, hat es damals aber mehrere Jahre gedauert, bis Bertoni tatsächlich eine lebende Pflanze sah. Steviapflanzen sind längst auch in der Schweiz im Handel zu erstehen und der Anbau uneingeschränkt möglich, solange keine Pflanzenteile als Lebensmittel verkauft werden.
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