Tief gesunken
Tiefseebergbau: Warum der Wettlauf um Rohstoffe die Ozeane bedroht
Goldgräberstimmung macht sich breit – diesmal in den dunklen Tiefen der Ozeane. Staaten und Konzerne drängen voran, getrieben von der Gier nach wertvollen Metallen. Doch sie dringen in einen kaum erforschten Lebensraum vor, der nun Gefahr läuft, zerstört zu werden.
Tief in den dunklen Weiten der Ozeane, weit entfernt von Sonnenlicht und menschlicher Zivilisation, liegt ein bislang kaum erforschtes Reich. Hier, in bis zu 6000 Metern Tiefe, herrschen extreme Bedingungen: Eiseskälte, enorme Druckverhältnisse und ewige Dunkelheit. Dennoch ist auch dieser Teil der Welt voller Leben. Biolumineszierende Quallen, Riesenkalmare oder bizarr aussehende Tiefseeasseln – sie alle haben sich perfekt an den harschen Lebensraum angepasst. Doch dieses Ökosystem gerät nun in Gefahr. Der Mensch fängt an, seine Fühler nach den Rohstoffen der Tiefsee auszustrecken. Mit dem industriellen Tiefseebergbau könnte einer der wenigen letzten unberührten Lebensräume des Planeten in Mitleidenschaft gezogen werden, um den vermeintlich unersättlichen Bedarf zu decken.
In der Tiefsee schlummern nämlich riesige Vorkommen an Manganknollen, kobaltreichen Krusten und polymetallischen Sulfiden. Sie enthalten begehrte Metalle wie Kupfer, Nickel, Kobalt und Seltene Erden – essenzielle Rohstoffe für die Energiewende und die Elektroindustrie. Ohne sie gäbe es keine Batterien für Elektroautos, keine Windkraftanlagen und keine Solarpanels. Da die weltweiten Vorkommen an Land begrenzt sind und der Abbau dort mit massiven Umweltzerstörungen und sozialen Konflikten einhergeht, rücken die Ozeane ins Visier der Industrie. Doch das Interesse an diesen Ressourcen könnte verheerende Folgen haben.
«Wir wissen heute mehr über den Mond und seine Oberfläche als über das Leben in der Tiefsee», betont Stefan Inderbitzin, Mediensprecher vom WWF Schweiz. Tatsächlich sind mehr als 80 Prozent dieses einzigartigen Lebensraums noch nicht erforscht. Doch das hält Unternehmen nicht davon ab, den Meeresboden umzugraben, um an die wertvollen Rohstoffe zu gelangen. Besonders im Visier der Bergbauunternehmen liegt die Clarion-Clipperton-Zone im Pazifik, eine riesige Region zwischen Hawaii und Mexiko, die reich an den begehrten Rohstoffen ist.
Ein einzigartiges Ökosystem in Gefahr
Die Tiefsee ist weit mehr als nur ein Rohstofflager. Sie ist eines der grössten und ältesten Ökosysteme der Erde. Hier haben sich Tiere entwickelt, die an keinem anderen Ort der Welt existieren. Riesenkalmare, die so lang sind wie ein Postauto, oder die Rote Riesengarnele, die eine leuchtende Flüssigkeit ausspuckt, um sich vor Feinden zu schützen. Unter ihnen auf dem Meeresboden liegen Manganknollen, auf denen Schwämme wachsen, die bereits seit Ewigkeiten existieren. Sie werden mitsamt anderen Lebewesen von riesigen, ferngesteuerten Maschinen aufgesaugt und an die Wasseroberfläche gepumpt. Dabei wird der Meeresboden wie mit einem Pflug umgegraben, woraufhin nur eine tote Wüste übrigbleibt. «Der Meeresgrund sieht danach aus wie ein Übungsgelände für Panzer», beschreibt Inderbitzin. Die Sedimentschicht, die dabei zerstört wird, bildet sich jedoch nur extrem langsam nach – gerade einmal fünf Millimeter in tausend Jahren.
Doch damit nicht genug: Durch den Abbau entstehen gewaltige Sedimentwolken, die kilometerweit durch das Wasser treiben und das Ökosystem weit über das eigentliche Abbaugebiet hinaus beeinflussen. «Forschungen zeigen, dass hohe Sedimentkonzentrationen im Wasser die Filterorgane von Meereslebewesen verkleben können, was zu deren Tod führt», erklärt Alice Eymard-Duvernay, Meeresexpertin beim WWF Schweiz. Besonders sind auch Wale und Delfine betroffen, deren Echoortung durch den Lärm des Abbaus gestört wird, sodass sie sich nicht mehr orientieren können und keine Nahrung finden.
Politischer Wettlauf um die Tiefseerohstoffe
Der Tiefseebergbau wirft jedoch nicht nur ökologische, sondern auch politische Fragen auf. Noch gibt es kein globales Abkommen, das den Abbau klar reguliert. Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) verwaltet die Tiefseegebiete ausserhalb der nationalen Hoheitsgewässer, doch bislang gibt es kein eindeutiges Regelwerk. Einige Staaten drängen voran, wie Russland, China, Südkorea oder Norwegen, das erst kürzlich erste Abbaugebiete freigegeben hat. Gleichzeitig formiert sich Widerstand. Über 30 Staaten, darunter Deutschland, Frankreich und die Schweiz, sprechen sich für einen Stopp des Tiefseebergbaus aus, bis seine Folgen wissenschaftlich besser erforscht sind.
Die Befürworter des Tiefseebergbaus argumentieren, dass die Rohstoffe essenziell für die Energiewende seien. Doch Alice Eymard-Duvernay hält dagegen: «Wir brauchen keinen Tiefseebergbau, sondern müssen vorhandene Ressourcen verantwortungsvoller nutzen und die Kreislaufwirtschaft fördern.» Tatsächlich könnten viele der benötigten Metalle durch Recycling gewonnen werden – doch bisher sind die Wiederverwertungsquoten viel zu niedrig. Viele grosse Unternehmen setzen sich daher für nachhaltigere Lösungen ein. Sie investieren zunehmend in die Kreislaufwirtschaft, um ihre Rohstoffversorgung unabhängiger zu gestalten.
Noch ist unklar, ob der Tiefseebergbau in den nächsten Jahren in grossem Stil beginnen wird. «Es droht wie einst im Wilden Westen ein Goldrausch, in dem jene am meisten profitieren, die rasch und rücksichtslos vorgehen», warnt jedoch Inderbitzin. Der wirtschaftliche Druck ist hoch, aber der Widerstand aus Wissenschaft, Umweltorganisationen sowie Teilen der Industrie ist vorhanden und wächst.
Schätze des Meeresbodens• Manganknollen: Metallhaltige Gebilde auf dem Meeresboden, essenziell für Batterien und Legierungen.
• Massivsulfide: Entstehen nahe hydrothermaler Quellen, enthalten Metalle für Elektroindustrie, Bau und Schmuckherstellung.
• Kobaltkrusten: Wachsen an Seebergen, liefern Metalle, insbesondere Kobalt, für Batterien und Elektrogeräte.
• Seltene Erden: Eine Gruppe von 17 Metallen, unersetzlich für Elektronik, Magnete und Leuchtstoffe.
• Phosphorhaltige Ablagerungen: Dienen als Rohstoff für Düngemittel.
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