Von aussen ist es nur eine gewöhnliche Fabrikhalle im Zürcher Vorort Niederhasli. Doch was sich im Inneren verbirgt, ist alles andere als alltäglich. Im Hauptraum des rund 1000 Quadratmeter grossen Gebäudes, dem Grow Chamber, spriesst und gedeiht nämlich auf riesigen, meterhohen Regalen duftendes Basilikum. Um keine Keime einzuschleppen, ist das Betreten für Aussenstehende ohne Ganzkörperanzug und Handschuhe verboten. Selbst in die Nähe darf man nur mit desinfizierten Schuhsohlen. Doch auch ein Blick durch das versiegelte Guckloch bietet beeindruckende Impressionen. Und das, obwohl erst eine von sechs Ebenen gefüllt ist. «Zurzeit können wir nur Basilikum anbauen, weil wegen der Corona-Pandemie wichtige technische Teile noch nicht geliefert werden konnten», erklärt Eldrid Funck vom 2020gegründeten Jungunternehmen YASAI (japanischer Name für Gemüse). In absehbarer Zeit sollen hier aber rund um die Uhr weitere Kräuter wie Koriander und Minze sowie Blattgemüse und Beeren gedeihen beziehungsweise produziert werden.

«Die geschützte Umgebung macht einen pestizidfreien Anbau möglich.»

Die Vorfreude darauf ist bei Funck deutlich spürbar. Genau wie die Aufbruchstimmung bei den anderen zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Handwerker arbeiten auf Hochtouren an den Regalen, Lageristen transportieren Paletten mit grünen Trageboxen von A nach B, und eine Kräuterexpertin begutachtet die Setzlinge in der Brutkammer. Dort entwickelt sich das Basilikum bei mollig warmen Temperaturen, nachdem seine Samen von einer Maschine auf Substrate verteilt worden sind. Die biologisch komplett abbaubaren Substrate schwimmen im Wasser, das mit einer Nährstofflösung angereichert ist. «Bei dieser Hydroponik-Anbaumethode dauert es zwei bis drei Wochen, bis die Wurzeln zu sehen sind», sagt die Marketingleiterin. Entsprechen die Setzlinge den hohen Qualitätsansprüchen, kommen sie in den Grow Chamber, wo sie völlig steril ohne jegliche Pflanzenschutzmittel weiter-wachsen. Klima, Licht und Temperatur werden von einem Computer aus mittels künstlicher Intelligenz reguliert. Der ganze Prozess dauert rund 45 Tage, bis das Basilikum in einem letzten Schritt zur Aberntestation kommt und auf einem Fliessband verpackt wird.

Eine Chance für Landwirte

Das erste Basilikum der Vertical Farm ist mittlerweile im Detailhandel erhältlich. Doch das ist erst der Anfang. Künftig sollen rund 20 Tonnen Kräuter der Firma pro Jahr für die Konsumentinnen und Konsumenten zur Verfügung stehen und weitere Produktionsstätten in urbanen Regionen entstehen. Eldrid Funck zweifelt nicht am Erfolg des Projekts. Die Gründe dafür liegen für sie auf der Hand. «Wir bieten frische Kräuter aus der Schweiz an, die im Winter ausschliesslich importiert werden. Vor allem aber macht die geschützte Umgebung in der Vertical Farm einen pestizidfreien Anbau möglich.» Zudem setzt YASAI auf erneuerbare Energien, nutzt Abwärme zum Heizen, produziert durch die gestapelten Anbauflächen bis zu 200-mal so viel wie auf einer vergleichbaren Fläche draussen und behält das verwendete Wasser im Kreislauf. Dadurch würde der Verbrauch um satte 95 Prozent sinken. Selbst überflüssige Wärme werde abgesaugt und in Wasser umgewandelt. Dazu komme noch, dass Konsumenten auch geschmacklich keine Abstriche machen müssen. Im Gegenteil: Durch die kurzen Transportwege gelangen die Kräuter erntefrisch direkt in die Läden.

Von diesen Vorzügen ist auch die Agrargenossenschaft Fenaco überzeugt. Sie beteiligt sich finanziell an dem kostspieligen Pilotprojekt und erhofft sich davon, den Anteil an Schweizer Gemüse und Kräutern zu steigern. Eine Konkurrenz für Landwirte entstehe nicht. Vielmehr bieten sich für die Bauern Chancen. «Vertical Farming kann die Möglichkeiten der Landwirte erweitern», sagt Eldrid Funck. «Es wäre eine sinnvolle Ergänzung, um die inländische Produktion zu fördern und weniger Ernteausfälle aufgrund von Wetterbedingungen zu riskieren.» Eine denkbare Variante ist, dass zehn Bauern einer Region sich zusammentun, um eine Vertical Farm zu betreiben. Die notwendige Starthilfe würde der von Mark Zahran, Philipp Bosshard und Stefano Augstburger aufgebaute Ableger der ETH Zürich gerne leisten und schlüsselfertige Lösungen anbieten.

Viele Vor- und ein Nachteil
Vorteile
• Gleichbleibende Produktion an 365 Tagen im Jahr, unabhängig von lokalen Gegebenheiten oder Klimaanomalien wie Stürmen oder Hitzewellen.
• Mehr Ertrag pro Fläche durch Stapelung des Anbaus.
• Lokale Produktion direkt beim Konsumenten und dadurch kurze Transportwege, was der Umwelt zugutekommt.
• Verzicht auf Pestizide.

Nachteil
• Hohe Investitions- und Energiekosten sorgen für eine hohe Hürde beim Markteintritt.

Vor wenigen Jahren noch eine Utopie

Dem Gründertrio geht es nämlich nicht (nur) darum, Umsatz zu erzielen. Sie wollen auch in einer urbanisierten Umwelt lokale und zirkuläre Lebensmittelsysteme gestalten. Auf diese Weise könne man nicht nur verdichtet Pflanzen kultivieren, sondern gleich-zeitig natürliche Ökosysteme entlasten und mehr Raum für Biodiversität schaffen.

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Neu ist die Idee des Vertical Farmings dabei keineswegs. Als Pionier dieser senkrechten Landwirtschaftsmethode gilt der US-Amerikaner Dickson Despommier, dessen Buch zu dem Thema den damaligen ETH-Studenten Mark Zahran auf einer Reise derart dazu inspirierte, das Pilotprojekt in Niederhasli aus der Taufe zu heben. Ein Schritt, der vor wenigen Jahren noch von hiesigen Agrarforschern als Utopie bezeichnet wurde. «Die Schweiz ist oft eher vorsichtig und prüft lange, ob sich die Integration neuer Technologien in den Alltag lohnt. Sobald sie sich darauf einlässt, tut sie dies jedoch mit Bravour», sagt Funck und fügt kritisch hinzu, dass das Land durch seinen Wohlstand jegliche Produkte importieren könne. Das sei insofern problematisch, weil dadurch die negativen Umweltauswirkungen auf andere Regionen, etwa Südspanien abgewälzt werden.

In den Vereinigten Staaten und in einigen asiatischen Ländern laufen solche Diskussionen nicht mehr. Dort hat sich das Vertical Farming längst durchgesetzt. Die weltweit erste vertikale Farm eröffnete bereits 2012 in Singapur. Bis heute rotieren in dem südasiatischen Inselstaat vierstöckige Gewächshäuser mit Gemüse wie Riesenräder in Zeitlupe: runter zu einem Wasserbad mit Nährstoffen und wieder rauf zur Sonne. Ähnliche Modelle gibt es auch in Südkorea und in den USA, wo beispielsweise im Bundesstaat Wyoming ein altes Parkhaus zu einer vertikalen Farm umgebaut wurde.

Dass in diesen Regionen immer mehr Hochhäuser und brachliegende Gebäude in Gemüsegärten umfunktioniert werden, liegt an der voranschreitenden Urbanisierung. Während die Bevölkerungszahlen wachsen, nimmt die Anbaufläche für Lebensmittel ab. In Europa und in der Schweiz geht der Trend zwar in eine ähnliche Richtung, aber es gibt immer noch genügend landwirtschaftliche Flächen. Dass das Vertical Farming hierzulande dennoch verstärkt zum Thema wird, hat vor allem ökologische Gründe. Nicht nur bei der Firma YASAI. Auch das Unternehmen Lokal365 aus St. Gallen betreibt eine Indoor-Kräuterfarm mit dem Ziel, Ressourcen und damit die Umwelt zu schonen. Einen artverwandten, aber etwas anderen Ansatz verfolgt dagegen das Zürcher Unternehmen Umami. Es bietet Microgreens an; kleine Pflänzchen, die die Konsumentinnen und Konsumenten selbst ernten, damit Vitamine und Nährstoffe besser erhalten bleiben.

Trotz aller Vorzüge erlebte das Vertical Farming in der Schweiz aber auch schon einen ersten Dämpfer. So hat das Start-up Growcer in Basel nach verheissungsvollem Beginn im vergangenen Jahr seinen Betrieb eingestellt. Davon wollen sich Eldrid Funck und das YASAI-Team aber nicht beirren lassen. Sie glaubenpassend zum Firmenslogan «The future is vertical. Grow more with less» (Die Zukunft ist vertikal. Lass mit weniger mehr wachsen) an das grosse Potenzial des innovativen Anbausystems und tun alles dafür, um es auszuschöpfen. Ob sich der Erfolg langfristig einstellt, liegt aber nur bedingt in ihren Händen. Entscheiden wird darüber die Kundschaft im Geschäft.

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