Ein Vogel singt weit entfernt auf einem Ast. Um welche Art handelt es sich? Mit dem Feldstecher lässt er sich einfach identifizieren. Oder er wird fotografiert und später am Bildschirm per Zoom bestimmt. Kaum ein Vogel fliegt herum, der nicht in einem Bestimmungsbuch in Wort und Bild beschrieben wird. Was heute selbstverständlich ist, musste einst erarbeitet werden – mit der Flinte. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert war es normal, Vögel zu schiessen, um sie zu bestimmen, anschliessend als Stopf- oder Standpräparate aufzubereiten und in Museumssammlungen einzulagern. Die Natur war damals unermesslich reich und vielfältig.

Das muss auch Johann Ulrich Aebi (1846 – 1919) aus Burgdorf BE so empfunden haben. Der Bauer ist als Konstrukteur von Landmaschinen bekannt, doch er erlegte auch Vögel in seiner Wohnumgebung. «Wir haben 165 Exemplare von ihm», sagt der Kurator für Ornithologie am Naturhistorischen Museum Bern, Dr. Manuel Schweizer. Er lobt: «Die Montagen sind alle super datiert.» Das heisst, dass Aebi schon damals exakt Datum, Art und Fundort auf einer Etikette notierte und am Fuss des Vogels befestigte. Einer seiner Nachfahren betreibt auch heute noch Ornithologie – mit Fernglas und wirksamen Schutzmassnahmen. Es ist der Landwirt und Nationalrat Andreas Aebi, ein direkter Nachfahre.

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Aufgesammelt statt gejagt

Die von Aebi gesammelten Exemplare gehören zu rund 6920 als Präparate lebensecht montierten Vögeln in der Sammlung des Naturhistorischen Museums Bern. Zudem befinden sich um die 8250 Bälge in den Archiven, fein säuberlich nach Arten geordnet in Schubladen im Keller des Museums. Dr. Manuel Schweizer erwähnt weiter 9000 Gelege, bestehend aus rund 25 000 Eiern, die zur wissenschaftlichen Sammlung gehören. «Ältestes Objekt unserer Sammlung ist eine Schmarotzerraubmöwe, die 1797 am Thunersee erlegt worden ist und von Pfarrer Daniel Sprüngli stammt.»

Die Museumssammlung wächst weiter. Allerdings nicht mehr, indem Vögel geschossen werden. «Heute sammeln wir opportunistisch», betont der Kurator. Er nehme tote Vögel auf, die Passanten gefunden und abgeliefert hätten, beispielsweise solche, die ihr Leben verloren, als sie in eine Scheibe prallten. «Wir vermerken Fundort, Datum und Name des Finders und legen den Kadaver in die Kühltruhe», erklärt Schweizer.Später werde er als Balg oder Skelett präpariert. 100 bis 200 neue Objekte gingen so jährlich ein.

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«Es ist unser Auftrag, die Biodiversität zu dokumentieren und sie der Wissenschaft zur Verfügung zustellen», stellt Schweizer klar. Auch Buchfinken- und Amselbälge aus verschiedenen Zeitepochen liefern wichtige Hinweise zu Veränderungsprozessen und Populationsentwicklungen. Wurden früher Bälge rein optisch untersucht, geben sie heute ein Vielfaches mehr an Informationen her, die durch DNA-Analysen aus Gewebeproben gewonnen werden. So enthalten etwa Federn Informationen, die aus der Nahrung stammen oder zeigen Belastungen mit Schwermetallen oder gar anderen Giftstoffen an.

«Kürzlich wurden wissenschaftliche Studien an Skeletten von Jungvögeln durchgeführt», erzählt Schweizer. Forscher untersuchten den Entwicklungsprozess von jungen Dinosauriern und fanden dabei Hinweise in den Skeletten junger Vögel. «Wir sammeln alles, man weiss nie, wann es für eine wissenschaftliche Studie wichtig ist», sagt der Museumskonservator. Er ist zum Zeitpunkt des Telefongesprächs gerade auf dem Weg in die Mongolei. Dort wird er Blutproben von Uferschwalben für eine Studie sammeln. «Ich lasse die Vögel nach der Abnahme eines winzigen Tropfens wieder frei», merkt Schweizer an.

Die Einmaligkeit der Typusexemplare

Vogelbälge aus fremden Ländern in Schweizer Museen stammen aus früherer Zeit. In Bern handelt es sich um die Sammlung Emil August Goeldis (1859–1917) aus Brasilien. Darin enthalten ist auch ein Typusexemplar des Purus-Glanzvogels; wissenschaftlich Galbalcyrhynchus purusianus. Typen sind wertvoll. Nach ihnen wurde eine Art in die Wissenschaft eingeführt, also erstmals wissenschaftlich beschrieben. Das Exemplar dient als Vergleichsparameter, ist sozusagen der Urmeter dieser Art. Solche Exemplare sind mit roten Etiketten versehen. Im Naturhistorischen Museum Basel lagern gar 36 Vogel-Typusexemplare aus Tropenexpeditionen früherer Zeiten.

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Es komme noch immer drei- bis viermal pro Jahr vor, dass eine neue Vogelart entdeckt werde, sagt Manuel Schweizer. Dabei handle es sich aber kaum noch um einen unbekannten Vogel. «Forscher etwa entdecken auf einer indonesischen Insel, dass Laubsänger dort anders singen als die sonst in der Region bekannten.» DNA-Analysen zeigten dann, dass sie genetisch derart eigenständig sind, dass sie als neue Art betrachtet werden sollen. «Der Standard bei der Beschreibung einer neuen Art ist noch immer, dass ein Vogel gesammelt wird», stellt Schweizer klar. Dass Museumsbälge auch letzte Belege ihrer Art sein können zeigt der Karolinasittich im Zoologischen Museum Zürich. Die Papageienart aus dem Süden der USA starb anfangs des 20. Jahrhunderts aus, als Ernteschädling bekämpft. Ein Mahnmal zum Umgang mit der Natur. Auch dazu dienen Museums-Sammlungen.

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Schmökerecke
Dass es nicht nur in der Natur Vögel zu entdecken gibt, sondern auch im Museum, zeigen die Bilder dieses Beitrags. Sie stammen aus dem Buch "Vogelwelten - Expeditionen ins Museum". Das Autorentrio, bestehend aus dem Fotografen Klaus Nigge, dem Biologen und Arzt Karl Schulze-Hagen und dem Tierpräparator Jürgen Fiebig, hat sich in die Archive verschiedener naturhistorischer Museen begeben und Vogelschätze gesichtet, vom Strauss bis zum Kolibri. Die Autoren inszenieren schillernde Vögel im Biold, geben Einblick in den wissenschaftlichen Wert der Sammlungsobjekte und spüren Biiografien von Forschern nach. 
Klaus Nigge, Karl Schulze-Hagen, Jürgen Fiebig: "Vogelwelten - Expeditionen ins Museum", 240 Seiten, gebunden, Knesebeck-Verlag