Es nieselt und die Temperatur liegt im unteren einstelligen Bereich. Während sich die meisten Menschen an diesem nasskalten Tag in ihre warmen Wohnstuben verkriechen, führen die Wildtiere ihr Leben draussen in der Natur weiter. Bei ihren täglichen Aktivitäten hinterlassen sie für den aufmerksamen Beobachter verräterische Spuren. Nicolas Dussex, Leiter des Pro Natura Zentrums Eichholz, deutet auf einen Wildwechsel.

Der Pfad, den Rehe im Laufe der Zeit haben entstehen lassen, führt entlang eines der Wasserbecken, in denen vor einigen Jahren noch Fische gezüchtet wurden. Die feinen Abdrücke der kleinen Hufe lassen sich im matschigen Boden gut erkennen. Neben Rehen tummeln sich seit der Eröffnung des Naturschutzgebietes auch Biber, Fuchs und Fischotter auf dem Gelände der ehemaligen Fischzucht am Stadtrand von Bern.

«Wenn man an Tierspuren denkt, so kommen einem als erstes Pfotenabdrücke in den Sinn», erzählt Nicolas Dussex. «Dabei sind Spuren viel mehr als das.» Der Biologe und Pro-Natura-Mitarbeiter hat sich sein grosses Wissen über Tierspuren selbst angeeignet. «Das Spurenlesen braucht man heutzutage nicht mehr», stellt er fest. Hing das Leben des Menschen früher noch von dieser Fähigkeit ab, hat sie für den Bewohner der westlichen Welt kaum mehr eine Bedeutung.

Die Zeiten der Jagd zur Nahrungsbeschaffung sind vorbei. Neben Wildtierliebhabern sorgen in unseren Breitengraden somit fast nur noch Jäger und Biologen dafür, dass die Kunst des Spurenlesens nicht gänzlich ausstirbt. Doch die Natur hat viel zu bieten für den, der genau hinschaut. Fuss- und Frassspuren, Kot, Federn, Nester, Knochen, Gerüche und viele weitere Spuren erzählen Geschichten aus dem heimlichen Leben unserer Wildtiere.

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Tierische Fussabdrücke

Wer durch die verschneite Winterlandschaft spaziert, der hat sich bei den vielen Spuren wohl auch schon gefragt, welches Wesen im Schnee seines Weges gegangen ist. Jedes Tier hat dabei seinen einzigartigen Fussabdruck. So unterscheiden sich beispielsweise Abdrücke von Hund und Katze durch artspezifische Merkmale, wie Dussex erklärt: «Katzenartige können die Krallen einziehen, im Gegensatz zum Hund. Deshalb sieht man bei Wolf, Hund und Fuchs die Krallenabdrücke im Boden, bei Haus- und Wildkatze sowie bei Luchs sind keine erkennbar.»

Ein einzelner Abdruck wird unter Spurensuchern und Jägern als Trittsiegel bezeichnet. Sind mehrere Trittsiegel nacheinander zu erkennen, handelt es sich je nach Tierart um eine Spur oder Fährte. Auch diese können charakteristisch sein. Wie beim Fuchs, der in seinem üblichen Trab seine Hinterfüsse in die Spuren seiner Vorderfüsse setzt. Dabei sind die einzelnen Trittsiegel schnurgerade wie auf einer Perlenkette aneinandergereiht. Ein Marder dagegen bewegt sich hüpfend fort und setzt seine Pfoten parallel zueinander ab.

«Tierspuren sind viel mehr als Pfotenabdrücke.»

Gute Voraussetzungen, um Trittsiegel zu entdecken, hat man bei Neuschnee und in schlammigem Untergrund. Es gibt jedoch auch Tiere, die einem das Spurenlesen durch ihre Anatomie erschweren. Nicolas Dussex zeigt auf einen Teich im wilden Naturschutzgebiet, aus dem ein ausgetrampelter Pfad aus dem Wasser führt. Doch vergeblich sucht man im feuchten Boden nach Trittsiegeln. «Wenn der Biber aus dem Wasser herauskommt, verwischt er mit seinem breiten Schwanz meist seine Spuren», erklärt der Biologe.

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Wer hier seine längliche, am Ende zugespitzte Wurst so präsentabel auf die Treppenstufe des Naturzentrums Eichholz gelegt hat? «Das kann nur der Fuchs gewesen sein», erklärt Nicolas Dussex schmunzelnd. «Füchse markieren an offensichtlichen Stellen, um zu zeigen, dass sie hier waren», so der Zentrumsleiter weiter, «genau wie der Marder.»

Was Kinder zum Kichern bringt und bei Erwachsenen Ekel hervorruft, ist für Spurensucher höchst interessant. Unter der Treppe der Aussichtsplattform hat ein Fischotter seine Hinterlassenschaft platziert. Meistens lässt sich am Inhalt und Geruch der Ausscheidungen, auch Losung genannt, bereits erkennen, um welches Tier es sich handelt.

«Fischotterkot hat einen Geruch nach Fischtran», erklärt Dussex. Er nimmt die vertrocknete Ausscheidung in die Hand und betrachtet sie eingehend. «Man kann im Kot schön die Fischgräten und Schuppen erkennen. Biberkot dagegen besteht nur aus Holz.» Dieser sei jedoch schwieriger zu finden, da die grossen Nager direkt im Wasser koten.

Nussknacker mit Talent

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Wo Stuhlgang hinterlassen wird, wird auch gefressen. Herr Dussex findet auf einem Baumstrunk eine halbe Walnussschale. Eindeutig ein Eichhörnchen, das mit seinen kräftigen Zähnen kurzen Prozess mit dem energiereichen Leckerbissen machte. Anhand einer angeknabberten Nuss lässt sich erkennen, welches Tier sie geöffnet hat. Der Biologe erklärt: «Erfahrene Eichhörnchen knacken eine Nuss, ohne gross daran zu nagen.»

Der flinke Baumbewohner hält seine gefundene Mahlzeit mit den Vorderpfoten fest und nagt am Ende eine kleine Kerbe in die Nuss. Mit den unteren Schneidezähnen, die es in die Kerbe drückt, kann es die harte Schale sauber mit einer Aufwärtsbewegung des Kiefers in zwei Teile spalten. Kleinere Nager wie Wald- oder Haselmaus haben nicht genug Kraft, um das zu bewerkstelligen. Deshalb kann man bei von ihnen bearbeiteten Nüssen rund um die Schalenöffnung viele kleine Nagespuren entdecken.

Ebenso geniessen Vögel die energiereichen Leckerbissen. In Ermangelung von Händen und Füssen stehen die gefiederten Tiere vor der Herausforderung, die harte Schale zu knacken. Nicolas Dussex zeigt auf die Überreste einer kaum wahrnehmbaren Haselnussschale, die an einem Baum zwischen Rindenstücken geklemmt ist. «Hier war vermutlich ein Kleiber dran», schlussfolgert er. Der Kleiber ist ein Meister darin, mit dem Schnabel Nüsse in Spalten zu klemmen und darauf zu hämmern, bis die Nussfetzen fliegen.

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Auch beim Bauen ihrer Behausung hinterlassen Tiere Spuren. Ein rundherum abgenagter Ast, der am Ufer des alten Fischteiches im Naturschutzgebiet liegt, gibt Hinweise auf die in der Nähe wohnenden Tiere. Direkt neben dem Ast erhebt sich das Überbleibsel eines Strauches, am Holz sind unverkennbare Nagespuren zu erkennen. Hier waren Biber unterwegs. «Wenn der Biber einen Baum fällt, ist der Baumstrunk nach oben hin spitz zulaufend», erklärt der Zentrumsleiter. «Wäre eine Motorsäge am Werk gewesen, wäre der Baum gerade abgetrennt.»

Mit offenen Sinnen

Selbst die Kleinsten in der Tierwelt können sich vor einem geübten Auge nur schwer verstecken. Der Pro-Natura-Mitarbeiter zwickt einen Ast einer am Wasser stehenden Schwarzerle ab, an dem kleine dunkle Erhebungen an der grünen Rinde zu erkennen sind. «Hier hat ein Weibchen der Weidenjungfer ihre Eier mit einem Legebohrer unter die Rinde abgelegt», erklärt er. Den Winter überdauern die Eier im Gehölz, bevor sich im Frühling die daraus schlüpfenden Larven der Libelle einfach in das unter ihnen liegende Gewässer fallen lassen.

Beim Fährtenlesen geht es heute nicht mehr um Leben und Tod. Dennoch lohnt es sich, diese fast vergessene Kunst einmal auszuprobieren. Die Spurensuche ist für jeden zugänglich und es braucht keine Spezialausrüstung, um sich an dieses Hobby heranzuwagen. Die Suche nach Trittsiegeln, Federn und aufgeknackten Haselnüsschen öffnet nicht nur die menschlichen Sinne, sie bringt uns auch der Natur ein ganzes Stück näher.

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Gipsabdrücke giessen Um gefundene Trittsiegel dreidimensional darzustellen, kann man Gipsabdrücke der Spuren anfertigen. Diese Abgüsse schaffen Erinnerungen an Tiere, die man vielleicht niemals zu Gesicht bekommt. Im Pro Natura Zentrum Eichholz gibt es eine ganze Sammlung von tierischen Abdrücken, zusammen mit vielen anderen Tierspuren, die im Rahmen von Anlässen und Führungen betrachtet werden können.

Einige Tierspuren der Schweiz

Reh

Die Hufe des Rehs bestehen aus zwei sogenannten Schalen, die beim entspannten Laufen schmal und spitz zueinander zulaufen. Ist ein Reh auf der Flucht, hinterlässt es zusätzlich Spuren seiner Afterklauen, den redu-zierten zweiten und fünften Zehen bei Paarhufern.

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Wildschwein

Das Wildschwein gehört wie das Reh zu den Paarhufern und hat wie dieses zwei Schalen. Unterscheiden kann man es vom Reh-Trittsiegel durch den deutlich erkennbaren Abdruck der Afterklauen und den breiteren Schalen.

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Steinmarder

Wie alle Marderverwandten haben Steinmarder fünf Zehenballen. Dadurch lässt sich sein Abdruck gut von Hund und Katze unterscheiden, bei denen sich beim Laufen nur vier Zehenballen abzeichnen. Die Krallenabdrücke sind beim Steinmarder oft zu erkennen.

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Dachs

Der Dachs ist ein Sohlengänger, setzt aber meist nur seine Hinterpfote mit dem Fersenballen zusammen auf. Seine als Grabwerkzeug dienenden fünf langen Krallen an den Vorderpfoten sind ein wichtiges Erkennungsmerkmal.

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Eichhörnchen

Die Pfotenabdrücke der flinken Nager zeichnen sich durch ihre langen Finger und Krallen aus. Der Hinterfuss ist deutlich länger als die Vorderpfote. Das Eichhörnchen bewegt sich, wie der Hase auch, hoppelnd fort, weshalb die Vorderpfoten vor den Hinterpfoten abgebildet sind.

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Feldhase

Der Vorderfuss ist beim Feldhasen mit fünf Zehen, der Hinterfuss mit vier Zehen ausgestattet. Die Hinterpfote des Hasen ist deutlich länger als seine Vorderpfote, was man im Schnee gut erkennen kann.

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Igel

Die stacheligen Insektenfresser sind Sohlengänger. Die fünf nach vorne zeigenden Zehen und deren verhältnismässig langen Krallen zeichnen sich unter guten Bedingungen deutlich ab. Die Vorderpfoten zeigen nach innen, die Hinterfüsse dagegen eher nach aussen.

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Rotfuchs

Pro Fuchspfote sind beim Aufsetzen der Füsse wie beim Wolf und Hund ein Hauptballen und vier Zehen mit den Krallen erkennbar. Die beiden mittleren Zehenballen liegen beim Fuchs weiter vorne als beim Hund und die Trittsiegel sind deutlich ovaler als bei seinen Verwandten.

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Wildkatze/Hauskatze

Die Pfotenabdrücke der Wildkatze sind kaum von denen einer Hauskatze zu unterscheiden. Wie bei den Hundeartigen hat auch die Katze einen Hauptballenund vier Zehenballen. Da Katzenartigedie Krallen beim Laufen in Hauttaschen zurückziehen, sind sie im Trittsiegel nicht erkennbar.

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