Eine Mönchsgrasmücke schmettert aus voller Kehle irgendwo versteckt im Gestrüpp zwischen Wiese und Wohnquartier. Im Herbst hatte sie sich an den Hartriegelbeeren satt gefressen, um dann über den Winter in den Süden zu verschwinden. Seit Ende März sind die schwarzköpfigen Sänger zurück in unseren Regionen und gehören zu den häufigsten Vögeln in Hecken.

Solche linearen Strukturen säumen traditionell meistens die Ränder von landwirtschaftlichen Flächen und Wegen. Hier wurden früher die in den Äckern störenden Steine, Holzabfälle und Wurzelstrünke deponiert, was zu einer grossen Strukturvielfalt und damit Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren führte. Heute werden solche Wildhecken gezielt gefördert und dienen als Refugium für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien, Amphibien und Insekten in einer ansonsten durch den Menschen intensiv genutzten Landschaft.

Dichte Hecken als gutes Versteck

Wildhecken sind immer ähnlich aufgebaut. Im Kernbereich stehen hohe Wildsträucher und einzelne Bäume, gesäumt von einem Mantel aus niederen Büschen. Hier eignen sich vor allem beerentragende Dornensträucher, die sowohl Schutz als auch Nahrung bieten. Dazu zählen Schwarzdorn, Wildrose, Brombeere und Kreuzdorn. Durch die stufige Struktur bildet sich ein Heckeninnenraum, der von aussen nicht direkt einsehbar ist und damit als ideales Versteck für kleine Tiere dient.

Beidseits der Hecke schliesst ein hoher Krautsaum die Kante ab, der idealerweise mehrere Meter breit ist und aus verschiedenen Gräsern und Wiesenblumen besteht. Letztere werden gerne von Wildbienen aufgesucht, die man zusätzlich durch spätblühende Heckenpflanzen wie zum Beispiel den Fahlbaum anlocken kann.

Eldorado für Insekten

In der Schweiz leben über 600 Wildbienenarten, die Hälfte davon ist vom Aussterben bedroht. Wildhecken sind bei der Gartenhummel, der Hellen Erdhummel, der Roten Mauerbiene und der Gemeinen Furchen-biene besonders beliebt. Sie erfüllen als Bestäuberinnen vieler Pflanzen eine wichtige ökologische Funktion, sind aber ebenso auf naturbelassene Kleinlebensräume angewiesen.

«In intensiven Agrarlandschaften sind Wildbienen vielfach selten geworden, da meist nurwenige Blüten als Nektar- und Pollenquellen zur Verfügung stehen», erklärt Dr. Vivien von Königslöw,Ökologin an der Universität Freiburg (Deutschland). «Blühstreifen und Hecken am Rand von Produktionsflächen könnte diesen Mangel an Blüten ausgleichen, denn ihre Blühzeitpunkte ergänzen sich gegenseitig.» In Hecken finden Wildbienen nicht nur Nahrung,sondern auch Nistmöglichkeiten. Diese kann man zusätzlich mit Kleinstrukturen wie abgestorbenem Holz, Gehölzschnitt und Steinhaufen fördern.

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Die Gewöhnliche Maskenbiene zum Beispiel nistet bevorzugt in Insektenfrassgängen in altem Holz sowie in hohlen Stängeln und Zweigen von Holunder, Brombeere und Heckenrose. Diese Pflanzen locken auch den metallisch schillernden Rosenkäfer an, auf dessen Speiseplan die Pollen und die süssen Pflanzensäften der Stauden stehen. Im Gegensatz zum Maikäfer,dessen Engerlinge in Massen gefürchtete Gartenschädlinge sind, da sie das lebende Wurzelwerk von Zierpflanzen auffressen, ernähren sich die Larven der Rosenkäfer von abgestorbenem Material.

Der wegen seiner auffälligen Färbung auch Wespenbock genannte Echte Widderbock liebt die Blütendolden vom Holunder, aber auch die des an die Hecke angrenzenden Wildblumenstreifens mit Wilden Möhren oder Wiesenbärenklau. Im Sommer zirpen dort zahlreiche Heuschrecken wie die Gewöhnlichen Strauchschrecken und die imposanten Grünen Heupferde.

Rückzugsort und grüne Brücke

Auch Schmetterlingsliebhaber finden an Wild-hecken einige Arten der bunten Flatterer. Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs und Zitronenfalter gehören zu den häufigsten Schmetterlingsarten an den Blüten der Heckensträucher. Bei Einbruch der Dunkelheit saugen Ligusterschwärmer im Schwebflug in der Luft stehend mit ihrem fast körperlangen Rüssel den Nektar duftender Blüten der Heckenkirschen, Nachtkerzen, Flammenblumen und des Seifenkrauts. Auch das Insekt des Jahres 2023, das Landkärtchen, ist ein Schmetterling, der von Wildhecken profitiert.

«Das Landkärtchen ist ein Indikator für eine ökologisch intakte Kulturlandschaft, wie sie in Zentraleuropa durch Intensivierung der Landwirtschaft, forstliche Monokulturen und die stetig weiter zunehmenden Siedlungs-, Industrie- und Verkehrsflächen leider immer seltener wird», erklärt Prof. Dr.Josef Settele, Vorsitzender der Gesellschaft für Schmetterlingsschutz und Schirmherr des Insekts des Jahres.

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In Bodennähe nutzen nebst Insekten und Spinnen auch diverse Wirbeltiere die Kleinstrukturen. Erd-kröten ruhen tagsüber in den Steinhügeln, unter Laub- und Asthaufen oder Totholz, bevor sie inder Dämmerung auf Nahrungssuchegehen. In der feuchten, schattigen Erde finden sie diverse Würmer, Schnecken und Asseln, die sie auf nächtlichen Streifzügen erbeuten. Blindschleichen und Zauneidechsen legen sich an die sonnenexponierten Stellen zum aufwärmen und nutzen die Hecke als Rückzugsort und Jagdgebiet. Da alle Reptilien und Amphibien in der Schweiz geschützt sind, leisten Wildhecken auch hier einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz.

Ebenfalls geschützt ist die Haselmaus, die nachts geschickt über die Äste auf der Suche nach süssenBeeren, Samen und Knospen klettert. Sie ist wie die Waldmaus ein typisches heckenbewohnendes Nagetier. Gejagt werden die flinken Nager von Hermelinen und Mauswieseln, aber auch von Vögeln wie Sperber, Turmfalke und gelegentlich dem Neuntöter.

Aus der Vogelperspektive nutzen Fledermäuse Hecken als Orientierungshilfen im Gelände, während die Büsche und Kleinstrukturen bodenlebenden Tieren einen sicheren Wechsel von einem Lebensraum zum anderen ermöglichen. In einer heute durch menschliche Aktivitäten praktisch vollständig fragmentierten Landschaft dienen Wildhecken so als lineare Vernetzungselemente, die auch von grösseren Säugetieren wie Rehen und Feldhasen genutzt werden.

Wildhecke im Garten

Wildhecken sind nicht nur zwischen Feldern und an Wegrändern eine ökologische Bereicherung, sondern werten auch den heimischen Garten auf. Im Siedlungsraum findet man oft in rechteckige Form getrimmte Schnitthecken aus Thuja oder Kirschlorbeer als Sichtschutz zwischen einzelnen Parzellen und dem öffentlichen Raum.

Diese Hecken haben jedoch ökologisch wenig bis keinen Wert, da sie strukturarm sind und oft aus exotischen Straucharten bestehen. Wildhecken bieten hingegen sowohl den gewünschten Sichtschutz und fördern zusätzlich die heimische Artenvielfalt.

Hecken aus Thuja oder Kirschlorbeer haben ökologisch kaum Wert.

Wer statt der herkömmlichen Schnitthecke eine Wildhecke pflanzen möchte, sollte auf einheimische Pflanzen setzen. Dazu gehört auch der hübsch blühende Holzapfel, der Wollige Schneeball und die Europäische Eibe. Bei letzterer ist allerdings Vorsicht geboten, gerade wenn öfters kleine Kinder im Garten spielen. Obwohl die Beeren der Eibe für Vögel ein wahrer Leckerbissen sind, enthalten die Samen toxische Verbindungen, die zu Vergiftungen führen können. Allerdings bietet die Eibe als immergrüne Pflanze auch im Winter entsprechenden Sichtschutz.

Auch Liguster, diverse Buchen und die Kornelkirsche sind immergrün und ideale Wildheckenpflanzen. Nebenbei sind die Früchte der Kornelkirsche reich an Vitamin C und daher tolle Vitaminspender, auch für Menschen. Aufgewertet werden können die Hecken durch Kleinstrukturen wie Ast- und Laubhaufen, Trockenmauern und Steinhügel sowie offene, sandige Bodenstellen.

Wenig Aufwand

Wildhecken sind relativ pflegeleicht. Es muss lediglich geprüft werden, dass niedrigwüchsige Arten genug Platz haben und langsam wachsende Pflanzen nicht von schnell wachsenden verdrängt werden. Abgestorbene Sträucher können ganz einfach von Kletterpflanzen überwachsen werden und müssen nicht entfernt werden. Schnittgut und Laub kann ebenfalls liegenbleiben und trägt damit zur Strukturierung des Bodens bei.

Generell sind Eingriffe in die Hecke zur Vogelbrutzeit verboten, und Holz- und Steinhaufen sollte man von November bis März in Ruhe lassen, um Igel und andere Kleintiere nicht im Winterschlaf zu stören. Landschaftsgärtnereien sowie Vereine wie «Heckentag Schweiz» geben wertvolle Tipps rund um das Pflanzen und Pflegen von Wild-hecken. Mit ein wenig Mühe und wenig Aufwand singt so vielleicht schon im nächsten Frühjahr die Mönchsgrasmücke direkt vor der Haustür.

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Heckentag

Der Verein «Heckentag Schweiz» setzt sich dafür ein, dass sich der Wildheckenbestand in der Schweiz vergrössert. Unter anderem ruft er einmal im Jahr im Herbst dazu auf, neue Hecken und andere strukturreiche Lebensräume zu schaffen, und lädt dafür die Bevölkerung zum Mitmachen ein. Auch Schulklassen gehen an dem Tag an den Start und pflanzen und pflegen Wildhecken in der ganzen Schweiz. Die Website des Vereins bietet viele Informationen zum Thema Hecke und zum Heckentag, der 2023 am 28. Oktober stattfinden wird.

heckentag.ch