Neunzig Prozent Pferdemist, zehn Prozent Hühnermist, mehr nicht. Das Substrat, auf dem in Wauwil im Kanton Luzern in grossen Hallen Champignons wachsen, ist mit keinem Pestizid behandelt und enthält weder Dünger noch andere Zusätze. «Mehr Nachhaltigkeit geht nicht», sagt Inhaber Roland Vonarburg nicht ohne Stolz. In seiner Firma Wauwiler Champignons AG produziert er pro Woche 100 Tonnen des beliebten Speisepilzes. Zu seinen Abnehmern gehören praktisch alle grossen Lebensmittelketten der Schweiz sowie Gastronomen und Einzelhändler.

[IMG 2]

Der uns bekannte Champignon heisst eigentlich Zweisporiger Egerling (Agaricus bisporus) und gehört damit zur Gattung der Egerlinge. Er ist der weltweit am meisten angebaute Speisepilz. Zum ersten Mal wurde er in den Gärten des französischen Sonnenkönigs Louis XIV. gezüchtet und war als «weisses Gold» für das Volk unerschwinglich. Woher der Pilz ursprünglich stammt, ist nicht abschliessend geklärt. Wahrscheinlich wurde er von der Nordhalbkugel in Asien, Europa und Nordamerika weltweit eingeschleppt. Als sogenannter Saprobiont findet man den Pilz auf nährstoffreichem Substrat wie Kompost oder eben auf Mist. Im Gegensatz zu vielen anderen Pilzen wachsen die begehrten Fruchtkörper im Frühjahr oder Sommer, seltener im Herbst.

Da sich der Hunger der Schweizerinnen und Schweizer auf Champignons jedoch nicht auf eine Saison beschränkt, werden die Pilze in Wauwil das ganze Jahr hindurch in klimatisierten Hallen angebaut. Hier werden Temperatur, Luftfeuchtigkeit und CO2-Gehalt genau kontrolliert. Mehr als die Hälfte des dafür benötigten Stroms stammt von der Photovoltaikanlage auf dem Dach des Betriebs. So finden die Pilze das ganze Jahr hindurch das Klima, das sie zum Wachsen benötigen.

[IMG 3]

Geschickte Hände sind nötig

In das pasteurisierte Substrat aus Mist kommen ganz zum Anfang mit Pilzsporen geimpfte Getreidekörner. So wächst zwar kein Getreide, dafür aber ein weit verzweigtes und ineinander verwachsenes Myzelium, die Wurzeln des Pilzes, aus denen wenige Wochen später die reifen Fruchtkörper herausschauen. Damit das passiert, wird dem Pilz durch eine Absenkung der Temperatur und Luftfeuchtigkeit vorgegaukelt, dass der Herbst vor der Tür steht. Dann schiessen die hellen Köpfe aus dem Myzelium und können geerntet werden. Von der Aussaat bis zur Ernte dauert es bei braunen Champignons lediglich zwei Wochen, bei weissen etwa zweieinhalb Wochen.

Dann kommen die Pflückerinnen zum Einsatz. Die Mitarbeitenden stammen aus über zehn verschiedenen Ländern. Die Pilze wollen auch an Weihnachten, Ostern und zur Ferienzeit geerntet werden. So ist die Wauwiler Champignon AG das ganze Jahr in Betrieb. Gerade sind die braunen Champignons erntereif. Mit geschickten Fingern pflücken die Arbeiterinnen drei der Fruchtkörper mit einer Hand, schneiden die Wurzelreste ab und legen die Pilze vorsichtig in Schalen. Bis zu 21 Kilogramm kommen so in einer Stunde pro Pflückerin zusammen. Auf die Frage, ob er selber auch mal Champignons pflückt, schüttelt Vonarburg den Kopf. «Ich wäre viel zu ungeschickt. Für das richtige und effiziente Ernten braucht es bis zu einem Jahr Erfahrung.» Entsprechend zählt er hier auf seine langjährigen Mitarbeiterinnen.

[IMG 4]

Zwischen Inflation und Nachhaltigkeit

Trotzdem ist Roland Vonarburg kein Chef, der mit Abwesenheit glänzt. Er geht jeden Tag durch seinen Betrieb und legt auch schon mal selber Hand an. «Wenn ein Mitarbeiter ausfällt oder im Urlaub ist, mache ich gerne Vertretung», erzählt der studierte Agronom. Jede Schale Champignons, die seinen Betrieb verlässt, lässt Vonarburg etwas aufatmen. Denn die Zeiten sind etwas härter. «Während Corona ging es uns richtig gut. Die Menschen kochten zu Hause selber und waren bereit, Geld für regionale und biologisch angebaute Produkte auszugeben», erzählt der Unternehmer. Seine Bio-Champignons hätten so mehr Abnehmer gefunden. Doch dann kamen die Inflation, die hohen Energiepreise und das teure Verpackungsmaterial. Nicht zuletzt war es Vonarburg auch wichtig, den Lohn seiner Mitarbeitenden zu erhöhen und an die allgemeine Teuerung anzupassen. Doch nun schauen viele Konsumenten wieder vermehrt auf den Preis oder kaufen im benachbarten Ausland ein. So sind weniger Konsumenten dazu bereit, den Preis für Schweizer Champignons zu bezahlen, sondern sie greifen lieber zu den günstigen Pilzen aus Polen. «Man muss bedenken, dass diese Pilze unter anderen Bedingungen angebaut und geerntet werden», mahnt Vonarburg. Im Gegensatz zu anderen landwirtschaftlichen Produkten werde auf Pilze zudem kein Zoll erhoben und sie können frei importiert werden. Das verstärkt die Konkurrenz umso mehr. «Wir kämpfen darum, dass wir unsere Champignons zu einem fairen Preis anbieten können», so Vonarburg. So hofft auch er, dass die Inflation bald ein Ende hat und die Schweizerinnen und Schweizer wieder mehr auf regional angebaute Produkte achten.

Sind die Pilze erst gepflückt, verpackt und verschickt, so bekommt die Erde, auf der die Champignons gewachsen sind, eine neue Bestimmung. «Das Substrat wird ausgedämpft, so dass die Pilzsporen abgetötet werden. Danach kommt die Erde als organischer Dünger in die Landwirtschaft oder private Gärten», erklärt Vonarburg. Nichts wird verschwendet, selbst die abgeschnittenen Enden des Pilzstammes nicht. Diese werden zur Biogasanlage Axpo gebracht, wo sie zusammen mit anderen organischen Abfällen aus den Gemeinden rund um Wauwil für rund 800 Haushalte Strom liefern. Mehr Nachhaltigkeit geht wirklich nicht.