Wie können Städte Wetterextremen begegnen? Entweder brennt die Sonne oder es schüttet wolkenbruchartig. Hitze und Überschwemmungen sind die Folge. Strassen und Häuserschluchten heizen sich übermässig auf. Bei Regen sammelt sich das Wasser auf Dächern und Parkplätzen, Strassen werden zu Bächen.

Abhilfe schaffen Pflanzen, besonders Bäume. Damit sie gedeihen können, brauchen sie offene Flächen. Ihr Wurzelwerk reicht weit ins Erdreich. Damit nehmen sie Wasser auf und verdunsten es über die Blätter wie ein Schwamm, der Wasser aufsaugt. Der Effekt vom kühlenden Wald im Sommer wirkt auch in Städten, wenn dort Bäume wachsen. Stefan Stevanovic, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), sagt: «Der Begriff der Schwammstadt wurde in Wuhan in China in den Jahren um 2015 definiert.» Eine Stadt müsse die Funktion eines Schwammes erfüllen, damit Hitze und Überschwemmungen verringert werden könnten. «70 Prozent der Niederschläge müssen zurückgehalten werden», betont Stevanovic. China habe diese Einsicht hauptsächlich aufgrund von häufigen Überschwemmungen gewonnen, Europa interessiere sich in erster Linie wegen der Hitzeminderung in Städten dafür.

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«Das System der Schwammstadt besteht aus mehreren Elementen», streicht der ehemalige Landschaftsplaner Stevanovic heraus. Dazu gehören beispielsweise Auffangbecken für Meteorwasser, Sickerbereiche im Boden, das richtige Substrat und die Hauptakteure, die Pflanzen. Eine Schwammstadt sollte so konzipiert sein, dass der Wasserfluss verlangsamt wird und das Wasser während des Verarbeitungs-prozesses gereinigt wird. Es handelt sich um eine naturnahe Lösung, Regenwasser in Städten aufzunehmen und zu speichern, anstatt es zu kanalisieren und abzuleiten.

Wasser inszenieren

Pflanzen und Bäume benötigen grosse Mengen Wasser. Sie verarbeiten es auch während des Assimilationsprozesses, also wenn sie Kohlenstoff aufnehmen und Sauerstoff abgeben. Kohlenstoff entsteht beim Ausatmen und durch Abgase, ist also in Städten im Übermass vorhanden. Pflanzen verdunsten Feuchtigkeit und geben sie an die Umgebung ab. Darum ist es unter einem Baumkronendach merklich kühler. Forschungen zeigten gar, dass mit begrünten Hausfassaden die Temperatur bis zu zehn Grad geringer ausfällt als in unbegrünten Strassenschluchten.

Pflanzen und Bäume kühlen nicht nur. Sie absorbieren auch Feinstaub. Städte leiden unter Feinstaubbelastungen. Weiter bilden Pflanzen und Bäume einen Lärm- und Sichtschutz und werten Städte optisch auf. Wo Grün anstatt Beton dominiert, geschehen weniger Gewaltakte.

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Pflanzen und Bäume haben aber in Städten oft einen schweren Stand. So gross wie die Baumkrone muss auch das Wurzelwerk ausgebildet werden können. Meist ist aber die Möglichkeit beschränkt, ungehindert die Wurzeln auszubreiten. Der städtische Boden ist von Leitungen und Rohren durchzogen. Martina Voser vom Planungsbüro Mavo Landschaften aus Zürich sagt: «Wenn wir Bäume pflanzen wollen, müssen wir ganz früh mit Architekten, Investoren und Planern reden.» Sie hat im Zürcher Leutschenbach ein ehemaliges Gewerbegebiet zu einem begrünten Stadtteil umgewandelt. Dabei ist sie ganzheitlich vorgegangen. Den Wegbelag beispielsweise hat sie mit Platten durchgehend so konzipiert, dass sich dazwischen Natur installieren kann.

Voser weist auf die Tragik hin, dass das Thema Regenwasser in den letzten Jahrzehnten vergessen ging; es wird einfach abgeführt. Dabei gebe es eine Jahrtausende alte Kultur, damit umzugehen. Sie verweist auf die Römer, die kunstvolle Systeme anlegten, um Regenwasser zu sammeln. Es gebe heute beim Bauen Ängste in Bezug auf das Wasser, man wolle es kontrollieren. Voser plädiert dafür, Wasser in der Natur zu inszenieren. «Wasser ist ein Geschenk, das wir erhalten, es ist ein Orchester», schwärmt sie. Wasser sollte auf Hochhäusern zuerst Dachgärten bewässern und anschliessend zu Grünzonen weiter fliessen. Mit ihrem Projekt beim Leutschenbach konnte sie eine erstaunliche Naturlandschaft in der Stadt schaffen. Die Bäume bilden mit ihren Kronen eine Halle, Strauch- und Krautschicht schaffen die gärtnerische Ebene. Ein gutes Beispiel, wie Neubauquartiere und Räume zwischen Häusern und Innenhöfen bepflanzt werden können.

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Boden entsiegeln

Entscheidend für den Erfolg solcher Projekte sind standortgerechte Gewächse. Nicht alle einheimische Pflanzen eignen sich, gerade, wenn der Anspruch besteht, auch im Winter grüne Punkte zu schaffen. So kann es sein, dass auch Pflanzen anderer Regionen zur Begrünung eingesetzt werden, die beispielsweise besser mit einem bestimmten Standort zurechtkommen. Bodenbeschaffenheit und Lage müssen vorher eruiert werden. Entsprechend sollten Pflanzenarten ausgewählt werden. Auf steinigen Böden gedeihen beispielsweise Pionierpflanzen. Martina Voser verzichtete auf eine Humusschicht. Mit der Zeit bildete sie sich durch Falllaub von selbst. Sie schwärmt vom Vogelkonzert, das heute am Leutschenbach erklingt, wo vorher Beton und graue Häuserfluchten dominierten.

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Doch nicht immer kann von Grund auf neu geplant werden. Stadtbäume sind wichtig, müssen aber Platz haben und sich entfalten können. In Stadtparks ist das möglich. Oder aber, es werden Fahrbahnen auf Strassen aufgelöst zugunsten von Pflanzstreifen. So plant beispielsweise die Stadt Bern, einen Drittel der Optingerstrasse im Quartier Breitenrain zu entsiegeln. Asphalt soll entfernt und durch wasserdurchlässige Oberflächen wie Rasen oder Mergel ersetzt werden. So kann Regenwasser versickern. Da Parkfelder in angrenzende Strassen verlegt werden, können rund 20 Bäume gepflanzt werden, die Schatten spenden und Wasser aufsaugen sollen. In der Bundesstadt ist der Begriff Schwammstadt nun angekommen. Noch vor zwei Jahren sollten die alten Rosskastanien am Hirschengraben wegen des Umbaus des Berner Bahnhofs gefällt werden. Aber nun bleiben auch sie grösstenteils erhalten. Es ist geplant, weitere Plätze zu begrünen.