Wer an Blutsauger denkt, denkt sicher sofort an Mücken, Zecken, vielleicht an Vampir-Fledermäuse oder gar an Schauergestalten wie Dracula. Die wenigsten dürften dabei Schmetterlinge vor Augen haben, gelten die sommerlichen Bestäuber doch als äusserst friedliche und harmlose Nektartrinker. Die auch bei uns im Tessin vorkommende Wiesenrauten-Kapuzeneule (Calyptra thalictri) bildet hier eine Ausnahme. Der Nachtfalter mit dem langen Namen ernährt sich unter anderem von menschlichem Blut.

Eigentlich ist die Gattung der Calyptra, zu der die Wiesenrauten-Kapuzeneule gehört, ein typischer Pflanzenfresser. Sieben der 17 in Afrika und Eurasien verbreiteten Arten ernähren sich rein vom Saft reifer Früchte, die sie mit ihren Rüsseln anstechen. Die anderen zehn Arten genehmigen sich aber auch gerne mal einen Schluck Blut, bevorzugt von Säugetieren wie Rindern, Nashörnern und Elefanten. Anders als bei den Mücken, bei denen die Weibchen die Blutsauger sind, sind es bei den Motten jedoch nur die Männchen, die nach dem roten Saft trachten.

Mit dem Rüssel durch die Haut

Mit ihrem Rüssel durchdringen sie auch die menschliche Haut, bleiben darin mit einer Art Häkchen hängen und nehmen die austretenden Tröpfchen Blut auf. Die Stiche gelten als selten, so dass das Verhalten erst 1999 einem russischen Forscher auffiel. Davor gab es zwar berichte aus asiatischen Ländern, in denen Menschen behaupteten, von Motten gestochen worden zu sein, nur wurde dem nie richtig nachgegangen. Bisher sind keine Krankheiten bekannt, die durch die Motten übertragen werden können, auch wenn nach dem Stich eine juckende Stelle zurückbleibt. Anders als Mücken werden die Motten nicht von ausgeatmetem CO2 angelockt und besitzen auch keinen Speichel, der die Blutgerinnung verlangsamt.

Warum gerade nur die Männchen Blut trinken, ist bisher nicht vollständig geklärt. Man geht davon aus, dass die Tiere dadurch zusätzliche Salze und Zucker aufnehmen. Proteine können von den Motten in Mangel entsprechender Enzyme nicht verdaut werden, weswegen Aminosäuren als Nährstoffe im Blut als Ziel ausscheiden. Manche Männchen übertragen jedoch Salze bei der Paarung auf die Weibchen, was die Produktion von Eiern fördert. Möglicherweise saugen die Männchen also Blut, um das daraus gezogene Salz als eine Art «Hochzeitsgeschenk» zu verwenden.

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Nicht die einzige mit Blut im Magen

Zu ihrer Verteidigung muss man sagen, dass Kapuzeneulen nicht die einzigen Schmetterlinge sind, die sich Blut schmecken lassen. Im Magen einer in Südostasien verbreiteten Motte, Lobocraspis griseifusa, wurde im Rahmen einer Studie ebenfalls Blut gefunden. Da die Tiere mit ihrem Saugrüssel jedoch keine Haut durchdringen können, geht man davon aus, dass das Blut aus Versehen aus einer bereits bestehenden Wunde aufgenommen wurde.

 

Steckbrief 
Deutscher Name: Wiesenrauten-Kapuzeneule
Wissenschaftlicher Name:Calyptra thalictri
Verbreitung: Von Japan und Malaysia über Russland bis Südeuropa. Einzelne Meldungen aus Finnland und Schweden.
Flügelspannweite: 40 bis 60 Milimeter 
Auftreten: Schmetterlinge fliegen zwischen Mai und September 
Nahrung: Raupen ernähren sich von Wiesenrauten (Thalictrum)