Am Rand des Aussterbens
Europäische Nerze in Zoos und im Wildpark Bruderhaus in Winterthur
Europäische Nerze sind fast in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet ausgestorben. Der Wildpark Bruderhaus in Winterthur plant nun die Haltung dieses Marderartigen. Ein Gespräch mit Zooverantwortlichen, von Estland bis Winterthur.
Die Probleme des Europäischen Nerzes sind vielschichtig. Flussbegradigungen, Waldrodungen und Trockenlegungen von Auenlandschaften setzten ihm zu. 1880 war er aus Österreich verschwunden, 1894 wurde er letztmals hier gesichtet und ab 1925 gab es ihn auch in Deutschland nicht mehr. Dann kam da noch der entfernte Verwandte aus Amerika.
Der Amerikanische Nerz oder Amerikanische Mink wurde seit den 1950er-Jahren in Europa zur Pelzgewinnung gehalten, entkam teilweise und wurde durch Tierschützer freigesetzt. Die viel grössere und kräftigere Art vertrieb den Europäischen Nerz aus den letzten Flusslandschaften. Nur in isolierten Beständen in Südwestfrankreich, Nordspanien, Weissrussland, Russland und im Donaudelta hat die Art in wenigen Exemplaren überlebt. Europäische Nerze lebten entlang von natürlichen Wasserläufen, weil sie sich auch von Krustentieren ernährten. Der kleine Marderartige ist flink an Land unterwegs und kann dank Schwimmhäuten zwischen den Zehen gut tauchen und schwimmen. Der Einzelgänger fängt während der Dämmerung oder nachts im Wasser Krustentiere wie Krebse und Insekten, hat es aber auch auf Mäuse, Vögel, Amphibien und Kleinfische abgesehen.
Obwohl eigentlich ein Tier aus der Schweiz, hat ihn hier seit mehreren Generationen niemand mehr gesehen. Das soll sich nun ändern. Der Wildpark Bruderhaus in Winterthur plant derzeit eine 600 Quadratmeter grosse Anlage für Europäische Nerze. «Wir wollen die Bevölkerung für Tiere sensibilisieren, die ehemals hier lebten und vielleicht einmal wieder angesiedelt werden können», sagt der Wildparkleiter Bruno Ris. Der Gehegekomplex soll aus drei miteinander verbundenen Anlagen bestehen. «Derzeit ist geplant, dass wir trächtige Weibchen aus dem Zuchtbuch der europäischen Zoos übernehmen, sodass sie ihre Jungen hier bei uns zur Welt bringen. Die Nachzuchten sollen dann zur Blutauffrischung in andere Zoos abgegeben werden», erzählt Bruno Ris. Im Wildpark Bruderhaus würden in erster Linie Tiere gehalten, deren Bestände in europäischen Erhaltungszuchtprojekten verwaltet würden. «Wir wollen zur Arterhaltung beitragen und mit unseren Tierarten eine Geschichte erzählen.» Da würde sich der Europäische Nerz gut eignen.
Auswilderungen auf Inseln
Das Europäische Erhaltungszuchtprogramm, neu EAZA Ex-situ-Programm (EEP), für den Europäischen Nerz wird durch Kristel Nemvalts vom Zoo Tallinn in Estland koordiniert. Die EAZA ist der Dachverband für Zoos und Aquarien Europas (European Association of Zoos and Aquaria). In Tallinn würden derzeit 115 Europäische Nerze gehalten, sagt die Artenschutzverantwortliche des Zoos. Sie führt weiter aus: «Wir erhielten die ersten Europäischen Nerze 1984, aber es war sehr schwierig, sie zu züchten.»
Die Reproduktionsbiologie sei kompliziert, denn der Östrus des Weibchens – die Zeit, wo es begattungsbereit ist – dauere nur drei bis zwölf Tage pro Jahr. Die ersten Zuchterfolge seien dann erst in den 1990er-Jahren mit Tieren gelungen, die aus Russland stammten und dort wild gefangen wurden. «Alle 254 Europäischen Nerze, die heute im EEP gehalten werden, stammen von diesen 22 russischen Tieren ab», sagt Nemvalts.
Im Jahr 1992 sei das Zuchtprogramm der europäischen Zoos etabliert worden. Seit jeher läuft die Koordination über den Tallinn-Zoo. Erstmals in diesem Zoo seien 1996 Europäische Nerze geboren worden. Kristel Nemvalts sagt: «2024 war ein sehr gutes Zuchtjahr. Es gab 13 Würfe mit insgesamt 73 Jungen. 42 davon wurden auf zwei estnischen Inseln ausgewildert.» Um sie an das Leben in der Natur zu gewöhnen, würden sie mit Wachteln, Fisch und Kleinnagern gefüttert.
Kristel Nemvalts berichtet von einer neuen Auswilderungsstrategie: «Wir wollen künftig trächtige Weibchen auswildern.» Dazu wurden auf den der Küste Estlands vorgelagerten Inseln Saaremaa und Hiiumaa grosse Auswilderungsgehege gebaut, um die Tiere behutsam ans Leben in der Natur zu gewöhnen. Nach dem Wurf der Jungen verbleibe die Mutter mit ihnen drei Monate in diesem Gehege, wo sie mit lebenden Krebsen gefüttert würden. «So lernen sie, ihre Nahrung selbst zu fangen.» Diese Trainingszeit soll positive Effekte auf die Tiere haben. «Die Tiere merken so, dass sie ihre Nahrung im Wasser finden und bleiben dadurch auch entlang der Bachläufe.» Seit 2022 seien auf Saaremaa 80 Nerze ausgewildert worden, wobei 28 davon aus Zuchtprojekten deutscher Zoos stammten. Auf der Insel Hiiumaa wurden bereits 611 Nerze ausgesetzt und somit in die Natur integriert.
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Überleben der Art hängt von Zoos ab
Um so viele Europäische Nerze während so langer Zeit zu züchten, bedarf es grosser Anstrengungen. Nach wie vor sei der kurze Östrus des Weibchens eine Herausforderung, sagt Kristel Nemvalts. Da die Tiere einzelgängerisch lebten, müssten sie genau zu diesem Zeitpunkt mit Männchen zusammengebracht werden. Doch hier scheint das Problem erst recht zu beginnen. Die Nerz-Expertin sagt: «70 Prozent der unter Menschenobhut geborenen Nerz-Männchen zeigen kein Interesse an einer Paarung.» Die meisten seien zu passiv, doch einige seien auch aggressiv gegenüber dem Weibchen. «Wir stellen dieses Verhalten bei allen Tieren im Zuchtprogramm fest. Das macht uns grosse Sorgen», klagt Kristel Nemvalts. Wenn es nicht gelinge, die Population unter Menschenobhut zu vergrössern, sei das Überleben der Art akut gefährdet. «Die Arterhaltung des Europäischen Nerzes gelingt nur durch die Zucht.» Gemäss Nemvalts werden Europäische Nerze im Durchschnitt 5,4 Jahre alt. «Viele leben aber bis zu zehn Jahre.» In der Natur würden sie drei bis vier Jahre alt.
Umso wichtiger bei dieser schwierigen Situation wäre da die Mitarbeit des Winterthurer Wildparks. Wann mit dem Bau der projektierten Anlage begonnen werden könne, hänge vom Geldfluss ab. «Wir sind auf Drittmittel angewiesen», sagt der Leiter Bruno Ris. Er hoffe, dass 2026 mit dem Bau begonnen werden könne und dass 2027 die ersten Nerze einziehen würden. Aus welchem Zoo sie stammen werden, ist noch nicht bekannt. Das Wissen aus Tallinn wird nützlich sein.
Europäischer NerzDer Europäische Nerz (Mustela lutreola) unterscheidet sich vom Amerikanischen Nerz oder Mink (Neogale vison) nicht nur dadurch, dass er kleiner ist. Bei ihm ist die ganze Schnauze weiss, wohingegen der Amerikanische Mink nur eine weisse Unterlippe aufweist, manchmal hat er noch einen weissen Kehlfleck. Der Europäische Nerz gehört zur Familie der Marder. Er ist mit dem Europäischen Iltis verwandt. Das braune Fell ist dicht, da er sehr oft schwimmt und taucht. Wegen Lebensraumzerstörung und Bejagung ist er fast in ganz Europa ausgerottet.
Wildpark Bruderhaus, Winterthur
Der Wildpark Bruderhaus ist ein Naherholungsgebiet der Region um Winterthur (ZH). Er liegt mitten im grossen Eschenbergwald zwischen Altstadt und der Töss. Wölfe, Luchse, Mufflons, Wildschweine und Przewalski-Pferde sind einige der gehaltenen Tiere.
Wie erreichen: Die Buslinie Nr. 12 fährt jeweils im Halbstundentakt am Mittwoch, an den Wochenenden und Feiertagen von der Haltestelle «Archstrasse/HB» zur Haltestelle «Bruderhaus» direkt beim Wildpark. An den anderen Tagen fährt die Buslinie Nr. 4 von der Haltestelle «Archstrasse/HB» zur Haltestelle «Breite», dann dem signalisierten Wanderweg 30 Minuten entlanggehen. Parkplätze stehen beim Wildpark nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung. Diese sind kostenpflichtig. Weitere Informationen: wildparkverein.ch
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