Hormone als Schlüssel
Wenn das Männchen schwanger wird – Seepferdchen und ihre vertauschten Rollen
In einer faszinierenden Entdeckung haben Forscher unter der Leitung von Axel Meyer herausgefunden, dass die Schwangerschaft bei Seepferdchen von männlichen Hormonen gesteuert wird. Die einzigartige Bruttasche des Männchens übernimmt Funktionen, die normalerweise der Plazenta bei Säugetieren vorbehalten sind.
In der Tierwelt sind die Rollen klar verteilt – meistens zumindest. Doch bei den Seepferdchen läuft alles anders: Hier ist es das Männchen, das schwanger wird und die Jungen zur Welt bringt. Was auf den ersten Blick nach einem kuriosen Rollentausch klingt, ist das Ergebnis einer faszinierenden evolutionären Entwicklung. Ein deutsch-chinesisches Forschungsteam unter der Leitung des Evolutionsbiologen Axel Meyer von der Universität Konstanz hat nun aufgedeckt, wie diese „männliche Schwangerschaft“ funktioniert – und welche genetischen und hormonellen Tricks dahinterstecken.
Einzigartig in der Natur: Die Bruttasche des Männchens
Das Weibchen legt seine Eier in eine spezielle Bruttasche am Bauch des Männchens. Dort werden sie befruchtet und bleiben bis zur Geburt geschützt. Während dieser Zeit versorgt das Männchen seine ungeborenen Jungen mit Sauerstoff und Nährstoffen – ganz ähnlich wie ein Säugetierweibchen mit seiner Plazenta.
Evolutionär betrachtet ist diese Bruttasche eine echte Innovation. Sie übernimmt Aufgaben, die sonst nur der Uterus erfüllt. Forschende konnten zeigen, dass sich das Gewebe der Tasche während der Schwangerschaft verändert und Strukturen bildet, die erstaunlich stark an die Plazenta von Säugetieren erinnern.
Männliche Hormone als Motor der Schwangerschaft
Mit Hilfe modernster genomischer und zellbiologischer Analysen verglich das Forschungsteam die zellulären Signale in der Bruttasche mit jenen der Plazenta von Säugetieren. Das Ergebnis überraschte selbst die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler:
Im Gegensatz zu allen bekannten Fällen der Lebendgeburt spielen hier keine weiblichen Hormone wie Östrogen oder Progesteron eine zentrale Rolle. Stattdessen übernehmen Androgene, also männliche Sexualhormone, die Steuerung der Schwangerschaft.
„Die Androgene induzieren die Verdickung und die Gefässbildung der Hautschicht im Bauchbereich zu einer Struktur, die der Plazenta von Säugetieren ähnelt“, erklärt Axel Meyer. Damit verläuft die Schwangerschaft der Seepferdchen auf völlig anderem hormonellen Weg, aber mit ähnlichem Ergebnis.
Wie das Immunsystem die Jungen schützt
Eine weitere Herausforderung jeder Schwangerschaft: Der Körper darf die Embryos nicht als fremd erkennen und abstossen. Bei Säugetieren steuert das Gen foxp3 diese Immuntoleranz. Doch genau dieses Gen fehlt bei den Seepferdchen – und trotzdem funktioniert der Schutzmechanismus.
Meyer und sein Team vermuten, dass erneut die Androgene eine Schlüsselrolle spielen. Diese männlichen Hormone wirken immunsuppressiv, das heisst, sie dämpfen die Aktivität des Immunsystems. Auf diese Weise kann das Männchen seine heranwachsenden Jungen tolerieren, ohne sie abzustossen – ein weiteres Beispiel für die erstaunliche Anpassungsfähigkeit dieser Tiere.
Ein Blick in die Evolution
Die Ergebnisse geben nicht nur Aufschluss über das Familienleben der Seepferdchen, sondern auch über die evolutionäre Entstehung der Lebendgeburt. Innerhalb der Familie der Syngnathidae – zu der neben den Seepferdchen auch Seenadeln gehören – existieren verschiedene Stadien dieser Entwicklung.
Vermutlich begann alles mit „klebrigen Eiern“, die an der Körperoberfläche des Männchens hafteten. Im Laufe der Zeit bildete sich daraus die geschlossene Bruttasche, die heute den Nachwuchs vollständig umschliesst und versorgt.
„Dank unserer Untersuchungen verstehen wir nun die genetischen, molekularen und zellulären Mechanismen besser, die dieser bemerkenswerten evolutionären Entwicklung unterliegen – wie sich die Schwangerschaft bei weiblichen Säugetieren und männlichen Seepferdchen wiederholt entwickelte, aber auf unterschiedlichen genetischen und hormonellen Wegen“, fasst Axel Meyer zusammen.
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