Jede Pflanze hat ihren ganz eigenen Charakter, eine typische Gestalt. «Trotzdem nehmen viele Menschen die Vegetation einfach als eine Art grüne Masse wahr», stellt Botaniker Wolfgang Bischoff immer wieder fest. Er ist überzeugt, dass Menschen die Pflanzen mehr schätzen würden, wenn sie mehr darüber wüssten. So kam ihm die Idee, eine App fürs Handy zu entwickeln. Ohne zu ahnen, wie viel Aufwand das bedeuten würde. 

Er wollte zusammen mit seiner Kollegin Muriel Bendel ein möglichst niederschwelliges Angebot schaffen. Die App soll einladen, auf Streifzügen durch die ganze Schweiz die Pflanzen am Wegesrand genauer zu betrachten und Spannendes über sie zu erfahren. So entstand «Flowerwalks» – eine kostenfreie App, die im Moment 59 Streifzüge in allen Landesteilen enthält. Nummer 60 ist in Arbeit und wird ab Frühling auf die Rigi führen.

Die Programmierung vertrauten die Botaniker einem Spezialisten an. Den Grossteil der Arbeit mussten sie trotzdem selbst schultern:  die Rundwege festlegen, GPS-Daten der Pflanzenvorkommen hinterlegen. Die GPS-Koordinaten sind wichtig, da die App jeweils am passenden Wegpunkt die zugehörige Information einspielt. Sie ist komplett offline nutzbar. Eingeschaltetes GPS braucht es allerdings schon. 

50 Pflanzenarten pro Tour
Ausserdem mussten Fotos der über 1000 vorgestellten Pflanzen in verschiedenen Vegetationsstadien angefertigt werden, die beschreibenden Texte zu jeder Art verfasst und immer wieder die Funktionalität geprüft werden. «Alles in allem steckt ein Jahr intensiver Arbeit drin. Rechnen darf man da wirklich nicht», sagt Bischoff. Kurz: Es ist ein Liebhaberprojekt. Immerhin ist es den beiden gelungen, die externen Kosten, etwa für Übersetzung und Programmierung, durch Pro Natura und zahlreiche Stiftungen zu decken. 

Auf jedem Streifzug werden rund 50 Pflanzenarten gezeigt und wertvolle Hintergrundinformationen in Artenporträts präsentiert. Manche Touren führen durch unerwartete Orte, etwa in Basel rund ums Gellertgut oder in Zürich vom Landesmuseum nach Zürich West zum Thema Ruderalflora. Die Idee der App ist es, die botanische Vielfalt der Schweiz erlebbar zu machen. Und da Bischoff und Bendel seit Langem Feldbotanikkurse anbieten, wissen sie auch, dass es mit der Aufzählung botanischer Merkmale nicht getan ist, wenn man Menschen für Botanik begeistern will. Daher steuern sie zu vielen Pflanzen staunenswerte Details bei. 

Schöllkraut und Bunt-Schwingel
Man erfährt etwa, wie das Schöllkraut, einer von Bischoffs heimlichen Lieblingen, auf Bäume kommt. «Das Schöllkraut kennen viele, weil man seinen orangenen Saft in der Volksmedizin gegen Warzen einsetzt», erzählt Bischoff. «Ich finde spannend, dass es an verrücktesten Orten wachsen kann.

Hoch oben in Mauerritzen und sogar auf alten Bäumen.» Dazu hat das Kraut einen Trick auf Lager: An seinen schwarzen eiförmigen Samenkapseln befindet sich ein weisses Anhängsel, das Elaiosom. Ameisen finden es ausgesprochen lecker und tragen die Samen daher gern herum. Ist das Anhängsel gefressen, wird der Samen wieder aus dem Bau entfernt, da er ja nun nutzlos ist – und kann dabei an den unwahrscheinlichsten Orten zu liegen kommen. 

Auf die Frage, welche Pflanzen aus der App zu seinen liebsten gehören, muss Bischoff lange nachdenken. Neben dem Schöllkraut fällt ihm schliesslich der Rundblättrige Steinbrech ein: «Es lohnt sich, seine bescheiden wirkende weisse Blüte genauer anzuschauen. Sie wird von hübschen gelben, orangen oder roten Punkten geziert, die Insekten den Weg zum Nektar weisen. Er blüht übrigens noch bis September in den Alpen und im Jura.» 

Plötzlich blitzen seine Augen auf und er nennt noch eine dritte Pflanze, den Bunt-Schwingel. Was daran bemerkenswert ist, erzählt er augenzwinkernd so: «Wer sich jemals irrtümlicherweise auf einen dichten Horst des Bunt-Schwingels gesetzt hat, vergisst ihn nicht so schnell. Seine stechenden, borstigen Blätter sind für einen Vertreter der Süssgräser in der Schweiz einmalig.» 

Daneben führen die «Flowerwalks» aber Pflanzen von A wie Abbisskraut bis Z wie Zweifelhaftem Klee. Ersteres bekam seinen Namen wegen des wie abgebissen wirkenden Wurzelstocks. Diesen hat der Legende nach der Teufel in seiner Wut abgebissen, weil er den Menschen das ehemals machtvolle Heilkraut nicht gönnte.

Und am Zweifelhaften Klee zeigt sich die engagiert geführte wissenschaftliche Diskussion um diese bescheidene Pflanze – Botaniker hatten sich so lange darum gestritten, welcher Unterart es zuzuordnen sei, dass sich das schliesslich im Namen niederschlug. 

Auch wenn Bischoff über fast jede Pflanze etwas Spezielles zu berichten hätte – nicht alle hat er in seine App aufgenommen. «Es gibt auf einem der Rundwege zum Beispiel auch wunderbare Vorkommen von Frauenschuh. Leider gibt es nach wie vor Menschen, die solche seltenen Orchideen abschneiden oder gar ausgraben, obwohl sie streng geschützt sind. Dem wollen wir keinen Vorschub leisten. Darum sind solche Vorkommen nicht in der App aufgenommen.»  

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Die App kann hier herunter geladen werden.