Am 20. April 2010 um 21.50 Uhr knallt es auf der Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko. Die Plattform gerät in Brand. Elf Arbeiter sterben. Das Öl fliesst nicht mehr in die Tanks der Firma BP, sondern ins Meer. Während 87 Tagen. So lange dauert es, bis das Loch gestopft werden kann. Die Bilder von Pelikanen, über und über mit Öl verschmiert, gehen um die Welt. Es ist die grösste Umweltkatastrophe, welche die Menschheit je gesehen hat. 2100 Kilometer Küste werden verschmutzt, der Ölteppich ist grösser als die Fläche der Schweiz und Österreichs zusammengenommen. 

Die Fischer, die ihrem Beruf nicht mehr nachgehen konnten, werden eingesetzt, um Öl abzusaugen. Ein anderer Teil des braunen Schleims wird auf dem Meer abgefackelt. Zudem werden Millionen Liter Lösungsmittel versprüht, die dafür sorgen, dass das übrige Öl von natürlich vorkommenden Bakterien rascher zersetzt wird. Nach ein paar Monaten ist vom Ölteppich nichts mehr zu sehen.
Zumindest auf den ersten Blick. 

Doch bei genauem Hinschauen sind auch zehn Jahre später noch Spuren der Ölkatastrophe zu finden. Nicht an der Oberfläche, sondern da, wo Hinschauen ziemlich schwierig ist: am Meeresgrund in 1500 Metern Tiefe. Und in den Körpern von Tieren. 

Noch immer gestrandete Delfine
Tom Kelsch, Mediensprecher der US-amerikanischen Naturschutzorganisation National Fish and Wildlife Foundation (NFWF), sagt: «In Louisiana finden sich bei gestrandeten Delfinen noch immer innere Schäden.» Diese könnten auf Öl zurückgehen, das die Tiere direkt oder über Fische aufgenommen hätten. Zwar sei es im Einzelfall schwer zu sagen, ob ein gestrandeter Delfin nun eine späte Folge der Ölpest sei. «Aber insgesamt werden nach wie vor mehr verletzte oder tote Tiere gefunden als vorher. Das ist ein Hinweis darauf, dass noch nicht der Normalzustand zurückgekehrt ist.»

Dokus über das Unglück auf der Deepwater Horizon

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Typischerweise erholen sich kleinere Tiere, die sich rasch vermehren, schneller als grosse,  langlebige, sagt die US-Meeresschutzbehörde NOAA gegenüber der «Tierwelt». Bei langlebigen Arten wie Meeressäugern, Meeresschildkröten und dem Golfstör – einem Fisch, der über zwei Meter lang werden kann – werde mit Dutzenden Jahren für die Erholung gerechnet. 

Grosse Sorgen machen sich Fachleute um die vom Aussterben bedrohte Atlantische Bastardschildkröte. Sie legt ihre Eier nirgends auf der Welt ausser an den Stränden des Golfs von Mexiko. Laut einem soeben veröffentlichten Bericht der National Wildlife Federation (NWF), der grössten Naturschutzorganisation der Vereinigten Staaten, hat das Öl bis zu 20 Prozent der erwachsenen Weibchen getötet. Nun wird in einem grossen Projekt versucht, das Überleben dieser Meeresschildkrötenart zu sichern. Strände mit Nestern in Texas und Mexiko werden überwacht. Verletzte oder unterkühlte Tiere werden gepflegt. Die Netze der Shrimp-Fischerei werden mit Schutzvorrichtungen versehen, durch welche Schildkröten entkommen können. Und nicht zuletzt werden Sümpfe wiederhergestellt und Riffe wiederaufgebaut. Denn damit sich die Atlantische Bastardschildkröte erholen kann, muss es auch Krabben und anderen Tieren, die sie frisst, gut gehen. «Wir stützen das Nahrungsnetz im ganzen Golf, nicht nur dort, wo Öl war», erklärt Lacey McCormick, Mitautorin des NWF-Berichts. 

Ein grosses Problem ist die Erosion an den Küsten. Nicht erst seit der Ölpest, doch sie hat es verstärkt: Unter dem Ölteppich starben die Wurzeln von Mangrovenbäumen und anderen Pflanzen ab, welche die Ufer stabilisierten. Plötzlich war die Küste ungeschützt den Kräften des Wassers ausgesetzt. 

Im Meer vor dem US-Bundesstaat Louisiana wurden bereits drei sogenannte «Barrier Islands» restauriert und mit Sand, Schlamm und Lehm vergrössert. Eine vierte soll folgen. Diese langgezogenen Inseln schützen einerseits die dahinterliegende Küste, indem sie die Gewalt der Wellen bremsen. Anderseits sind sie auch selber Lebensraum für viele Tiere. Zum Beispiel für Braunpelikane, von denen nach offizieller Schätzung zwischen 10 000 und 19 000 im Öl verendet sind. 

Teure Untersuchungen in der Tiefe
Anders als die Pelikane sterben in der Tiefe des Meeres noch heute ungezählte Tiere fernab von den Blicken der Öffentlichkeit. Im kalten Wasser am Meeresgrund wird das Öl nämlich weniger schnell abgebaut als an der Oberfläche. Tom Kelsch von der NFWF sagt: «Um das Bohrloch herum haben sich die Bedingungen noch kaum gebessert.» 2017 haben Wissenschaftler zum Beispiel entdeckt, dass der Boden beim Bohrloch Krabben und Garnelen anlockt und krank macht. Möglicherweise ähnelt ein Abbauprodukt des Öls einem Sexualhormon der Krustentiere. Doch die Forscher können es nicht mit Sicherheit sagen. 

Untersuchungen in 1500 Metern Wassertiefe sind aufwendig und teuer. Ihre Studie hatten sie nur durchführen können, weil per Zufall für ein anderes Projekt ferngesteuerte Tauchroboter in der Nähe unterwegs gewesen waren. Naturschutzorganisationen bemühen sich um eine Ausweitung der Schutzgebiete, aber daneben kann nicht viel getan werden, um den Erholungsprozess der Natur in der Tiefsee zu unterstützen. Die US-Meeresschutzbehörde sagt: «Es gibt Tiefseekorallen, die über 500 Jahre alt werden und Jahrhunderte brauchen werden, um sich zu erholen.» 

Verursacher zahlt und schweigt
Die Zahlungen von BP, mit denen Naturschutzprojekte finanziert werden, fliessen noch bis 2032. Sie belaufen sich auf über acht Milliarden Dollar, die grösste Schadenersatzsumme, die je für Umweltschäden bezahlt wurde. Eingesetzt werden sie nicht nur, um direkt die Schäden der Ölkatastrophe zu beheben, sondern auch, um auf andere Weise den betroffenen Tiere und Pflanzen zu helfen. Denn die Natur im und um den Golf von Mexiko ist in vielerlei Hinsicht unter Druck. Da sind zum Beispiel Überfischung und Wasserverschmutzung.

Aber auch der Klimawandel zeichnet sich laut NWF als Bedrohung ab. Er lässt giftige Algen blühen und tötet Korallen ab, lässt den Meeresspiegel ansteigen und macht Wirbelstürme heftiger. Die NWF fordert deshalb in ihrem Bericht auch, dass erneuerbare Energie gefördert und der Ölverbrauch reduziert wird. Das hätte einen simplen Nebeneffekt: Es müsste weniger Öl gefördert werden und damit würde das Risiko für derartige Katastrophen sinken. 

Die Frage, wie eine künftige Ölpest verhindert werden soll, hat die «Tierwelt» auch den Hauptverantwortlichen für die Deepwater Horizon gestellt: der BP sowie der Firma Transocean mit Sitz in Steinhausen im Kanton Zug, der die Bohrplattform gehörte. Die Medienstellen beider Konzerne haben auf die Anfragen nicht reagiert.