Das Thema Klimaerwärmung ist gerade allgegenwärtig. Zu Recht. Doch darob gehen andere Umweltprobleme gern etwas vergessen. Zum Beispiel die Ozon-Belastung, die uns noch viel unmittelbarer betrifft. Sobald ein paar sonnige, windstille Tage aufeinander folgen, übersteigt die Konzentration des Reizgases regelmässig die zulässigen Grenzwerte. Ozon kann Reizhusten und brennende Augen verursachen. Empfindlichen Menschen kratzt der Hals, sie haben mehr Infektionen und atmen schlechter. Auch Asthmaanfälle können vermehrt auftreten oder heftiger verlaufen. Gemäss Schätzungen des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts sind in der Schweiz bis zu 300 Todesfälle pro Jahr auf hohe Ozonwerte zurückzuführen. In der Landwirtschaft führt das Reizgas zudem zu Ertragsausfällen.

Gemäss der schweizerischen Luftreinhalte-Verordnung dürfte die durchschnittliche Ozonbelastung während einer Stunde höchstens einmal pro Jahr über 120 Mikrogramm pro Kubikmeter steigen. Doch davon sind wir weit entfernt. Sogar diesen Frühling und Frühsommer, die sich dieses Jahr eher kühl und sonnenarm zeigten, wurde der Grenzwert an zahlreichen Standorten bereits viele Male überschritten. 

Zu prekären Belastungen kam es dann in der Hitzeperiode Ende Juni. Nördlich der Alpen wurden etwa in Zürich oder Basel gegen 200 Mikrogramm gemessen, in Chiasso gar bis zu 300 Mikrogramm. Der europäische Alarmwert liegt bei 240 Mikrogramm. Das Tessin erreicht regelmässig hohe Werte, weil dort verschiedene Faktoren zusammenkommen: Aus der Po-Ebene treibt bereits belastete Luft herbei, die in den relativ dicht besiedelten und verkehrsreichen Tessiner Tälern noch stärker angereichert wird. Zudem scheint häufig die Sonne.

Oben Schutz, unten Problem

Rund um das Thema Ozon entsteht oft Verwirrung. Denn während das Gas in Bodennähe Schäden an Gesundheit und Umwelt verursacht, ist es in 10 bis 50 Kilometer Höhe äusserst erwünscht: Dort schützt uns die Ozonschicht vor ultravio-letter Strahlung, die das Risiko für Hautkrebs erhöht.

Doch in den 70er-Jahren hat man erkannt, dass die schützende Schicht vor allem in der südlichen Hemisphäre Löcher aufweist. Die Zerstörung der Ozonschicht wird hauptsächlich durch Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) verursacht – ein Kühlmittel in Kühlschränken und Klimaanlagen. Mit dem Montreal-Protokoll haben sich 1989 alle Staaten dazu verpflichtet, keine FCKW mehr in Umlauf zu bringen.

An ihre Stelle sind Ersatzstoffe getreten, die aber zum Teil klimaschädlich sind. Seither hat sich die Ozonschicht wieder etwas erholt – jedoch langsamer als erhofft. Forscher haben kürzlich entdeckt, dass in China wieder FCKW produziert werden. Zudem gelangen die Stoffe weiterhin durch die nicht fachgerechte Entsorgung alter Kühlschränke in die Atmosphäre.

Die Vorgänge rund um die Ozonbildung sind kompliziert: Das Gas entsteht unter Einstrahlung von Sonnenlicht aus Verkehrsabgasen, vor allem Stickoxiden (NOx). Weiter sind Emissionen aus der Industrie beteiligt, hauptsächlich Lösungsmittel, die sogenannte flüchtige organische Verbindungen (VOC) enthalten. Sie kommen zum Beispiel in Farben und Lacken vor. Gleichzeitig baut sich Ozon aber an verkehrsintensiven Standorten durch dort ausgestossene Luftschadstoffe kurzzeitig wieder leicht ab. 

Gefährlich trotz leichter Abnahme

«Deshalb sind die Konzentrationen entlang von Autobahn-Messstandorten stets tiefer als in ruhigeren Gegenden», erklärt Rudolf Weber, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Umwelt (Bafu). Ist Autofahren also die Lösung? Keinesfalls, betont der Fachmann. Das Problem werde damit nur verlagert. In verkehrsarmen Gegenden, etwa in Wohnquartieren, werde der Grenzwert deutlich häufiger überschritten als an stark befahrenen Strassen. Hohe Belastungen weisen stets Lagen in etwa 1000 Meter Höhe auf – so zum Beispiel der Messstandort Rigi Seebodenalp auf 1020 Meter über Meer.

In den 1990er-Jahren sowie im Spitzensommer 2003 wurden auch nördlich der Alpen vielerorts wiederholt Werte von 240 Mikrogramm erreicht. Massnahmen wie Katalysatoren, Verschärfungen der Abgasvorschriften für Motorfahrzeuge und Maschinen sowie eine Lenkungsabgabe auf VOC haben dazu geführt, dass die Konzentrationen heutzutage meist nicht über 200 Mikrogramm steigen. Selbst im Hitzesommer vom vergangenen Jahr – dem drittwärmsten seit Messbeginn im Jahr 1864 – wurde die 200-Mikrogramm-Grenze auf der Alpennordseite nie überschritten. Entwarnung wäre aber falsch am Platz, sagt Meltem Kutlar Joss, die am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut im Auftrag des Bafu die Dokumentationsstelle Luft und Gesundheit leitet: «Ein einmaliger Spitzenstoss ist weniger schädlich als eine stetige erhöhte Belastung.»

Tessin und Paris ziehen Notbremse
Gesundheitsfachleute raten stets dazu, bei hoher Ozonkonzentration anstrengende körperliche Aktivitäten in die Morgen- und Abendstunden zu verlegen sowie möglichst wenig Auto zu fahren. Im Juni liess man es im Tessin dann nicht mehr bei Empfehlungen bewenden: Ab 13 Uhr galt auf einigen Autobahnen Höchsttempo 80. Noch weiter gingen die Behörden in Paris, wo teilweise Temperaturen von bis zu 40 Grad herrschten. Besonders umweltschädliche Motorfahrzeuge durften in der Stadt an gewissen Tagen nicht mehr fahren.

So weit will das Bafu nicht gehen. «Kurzfristige Massnahmen beeinflussen die momentane Gesamtbelastung nur geringfügig», erklärt Rudolf Weber. Denn sie würden erst zum Tragen kommen, wenn die Schadstoffkonzentration bereits übermässig hoch ist. Zielführender sei die dauerhafte Eindämmung der Vorläuferstoffe von Ozon. So sollen die geltenden Emissionsvorschriften gemäss den technischen Entwicklungen stetig verschärft werden, erklärt der Atmosphärenphysiker. «Es handelt sich um einen langwierigen Prozess, weil Fahrzeuge, Baumaschinen und Industrieanlagen nur schrittweise ersetzt werden.» Auch bei den Lösungsmitteln brauche es weitere Massnahmen. Ein Schritt in diese Richtung sei zum Beispiel die Umweltetikette auf Farben, die 2012 eingeführt wurde und mittlerweile auch für Lacke, Putze und andere Produkte zur Anwendung kommt.

Da ein Teil der Belastung aus Quellen in anderen Ländern stammt, müssten die Reduktionsbemühungen auch auf internationaler Ebene fortgesetzt werden, betont Rudolf Weber. Dafür setze sich die Schweiz im Rahmen internationaler Abkommen ein.