Die Kinder staunen nicht schlecht, als sie die Pastinake endlich in der Hand halten. «Woah, die ist ja riesig!» Die gut dreissig Zentimeter lange Wurzel wird unter vielen, fast ehrfürchtigen «Aahs» und «Oohs» herumgereicht. «Können wir die jetzt essen?», fragen einige neugierig. Soeben haben die Fünftklässler das widerspenstige Gemüse mit vereinten Kräften aus dem Boden gezogen. Das war gar nicht so einfach. Denn erst muss mit dem Spaten oder der Grabgabel die Erde gelockert werden. Dann kann man versuchen, die fest im Boden sitzende Pastinake zu ergreifen. 

Auch die Schwarzwurzeln müssen heute geerntet werden – es ist der letzte Tag vor den Herbstferien. Mit einem kräftigen Tritt auf den Spaten zeigt Simone Nägeli, Mitgründerin und Geschäftsführerin der GemüseAckerdemie Schweiz, wie es geht. So schwierig sieht das nicht aus. Doch die Elfjährigen müssen mit ihrem ganzen Gewicht immer wieder auf den Spaten springen, damit dieser in der Erde versinkt.

«Wisst ihr, wie Pastinaken schmecken?», will Nägeli von den Kindern wissen. Sie und weitere Acker-Coaches aus dem Team der GemüseAckerdemie feiern heute mit Lehrerin Ruth Büschlen und ihrer Klasse 5b aus dem Schulhaus 3 im zürcherischen Bonstetten das Erntedankfest auf dem eigenen Gemüsefeld, das sich in der Nähe des Schulhauses befindet. Auf der Wiese stehen einige Hochstamm-Obstbäume, die Beete voller Blumen und Gemüse werden neben Ruth Büschlens Klasse noch von einer anderen Primarschulklasse und weiteren Gartenprojekten versorgt. 

Zum Erntedankfest fertigen die Kinder mit verschiedenen Erzeugnissen aus dem Garten, aber vor allem mit den in grosser Zahl von den Bäumen heruntergefallenen Birnen fantasievolle Gemüsebilder und -skulpturen. Pastinaken, so lernen sie, schmecken wie eine Mischung aus Rüebli und Kartoffeln.

Ein Jahr lang Gemüsebauer sein
Ins Leben gerufen wurde die GemüseAckerdemie 2013 in Deutschland, wo die Bildungsinitiative bereits grosse Erfolge feiert. Dank dem Engagement von Nägeli und ihren Mitstreitern gibt es das Programm seit letztem Jahr auch in der Schweiz. Während eines Jahres bestellt eine Schulklasse ein Gemüsefeld, sät aus, hegt, pflegt, erntet und macht es schliesslich winterfest, um es im Frühling der nächsten Klasse zu übergeben. Der Fokus liegt auf saisonalem Gemüse und alten Sorten sowie biologischem und nachhaltigem Anbau. Pestizide gibt es auf dem Acker keine, nichts wird verschwendet. 

Den Schülern soll ein Bezug zur Natur vermittelt werden, sie sollen wissen, woher ihr Essen kommt. Unterrichtet wird das Ganze im Fach Mensch und Umwelt. Es ist konform mit dem Lehrplan 21, in dem nachhaltige Entwicklung eine wichtige Rolle spielt. Pro Woche gibt es eine Ackerstunde, die Theorie wird im Schulzimmer gelernt. Die GemüseAckerdemie stellt dafür umfassendes Material zur Verfügung, schult die Lehrerinnen und Lehrer und packt bei wichtigen Anlässen wie Pflanzungen auf dem Acker mit an. 

«Ein Schulgarten hat unglaublich viel Potenzial, den Kindern die Grundprinzipien der Natur, aber auch Zusammenhänge und Auswirkungen von Produktion und Konsum auf praktische Art und Weise zu vermitteln», sagt Nägeli. Ein grundlegendes Verständnis für die Natur und unsere Umwelt lasse sich nur bedingt theoretisch erlernen. Die Kinder müssten das erleben, müssten die Natur mit allen Sinnen erfahren können und einen eigenen Bezug entwickeln.

Die GemüseAckerdemie übernimmt die Hälfte der Kosten für die Umsetzung des gesamten Bildungsprogrammes. Das reicht von der Beratung bei der Einrichtung des Gartens über Lehrerfortbildungen bis hin zu Saat- und Pflanzgut. Momentan machen drei Schulklassen aus dem Raum Zürich mit. In den nächsten Jahren sollen es noch etliche mehr werden. Teilnehmen können Schulen aus der ganzen Schweiz. «Wir haben für die Saison 2019 noch einige Plätze frei», sagt Nägeli.

Auf dem Acker lernen die Kinder nicht nur säen und ernten, sondern auch viele andere praktische Dinge. Zum Beispiel, wie man Saatgut aus Kürbissen und Tomaten gewinnt, damit man das Gemüse im nächsten Jahr wieder anpflanzen kann. Und das scheinen die Kinder auch wirklich im Sinn zu haben. «Wir haben zu Hause einen Garten und pflanzen schon ganz viel Gemüse an», verkündet ein Mädchen.

Regenwürmer und Hornissen
Selbstverständlich war dies anfangs ganz und gar nicht. «Als ich die Klasse zum ersten Mal gefragt habe, wer Gemüse mag, meinte die Hälfte der Kinder, dass sie überhaupt nie Gemüse essen», erzählt Lehrerin Ruth Büschlen. Als Erstes habe sie es mit einer Mangoldwähe aus dem Schulgarten versucht. Von der wollten immerhin drei Viertel der Klasse probieren. Von den daraufhin gebackenen Mangoldschnecken hätten dann sogar alle gegessen. Simone Nägeli hat dies auch schon beobachtet: «Die Kinder sind stolz auf das Gemüse vom eigenen Acker und essen auch Gemüse, das sie im Normalfall nicht mögen.»

Weil es nicht immer einfach sei, die Erträge aus dem Garten gerecht auf 25 Kinder aufzuteilen, werde viel in der Schule gekocht und gebacken, erklärt Büschlen. Es sollen schliesslich alle etwas davon haben. Einen allzu gros­sen Mehraufwand findet die Lehrerin das Ackerprogramm aber nicht. Grössere Probleme habe es auch keine gegeben. «Am schwierigsten war wohl die Hitzeperiode im Sommer. Weil es so heiss war, sind einige Gemüsesorten nicht so gut gewachsen.» Dank dem grossen Einsatz der Kinder und dem beherzten Giessen auch während der Sommerferien konnte diese Zeit trotzdem gut überstanden werden.

«Es ist toll, jede Woche auf den Acker zu kommen», sagt Büschlen. «Die Kinder können hier ihrer Neugierde freien Lauf lassen. Jeder Regenwurm, jeder Käfer wird inspiziert. In den Garten zu gehen, das fanden alle schon von Anfang an super. Hier können sie einfach Kinder sein.» Heute zum Beispiel wollen sie unbedingt nach dem Hornissennest sehen, das sie unlängst in einem der Birnbäume entdeckt haben.

Die Doppelstunde auf dem Acker ist jedoch schon bald zu Ende. Zeit für die Kinder, Bilanz zu ziehen. Was hat ihnen am ganzen Ackerjahr denn am besten gefallen? «Die Mangoldschnecken!», rufen sie. «Palmkohl ernten! Blaue Kartoffeln!» Und sowieso, den Acker finden alle «megacool». Jetzt dürfen sie aber erst einmal in die Herbstferien. Mit Apfelmost wird noch mal auf das Erntedankfest angestossen. Dazu gibt es Kuchen und einige gesunde Snacks. Dann machen sich die Schüler – mit geernteten Pastinaken und Schwarzwurzeln im Gepäck – freudig vom Acker.

Für interessierte Schulen gibt es hier weitere Informationen.