Eine weibliche Katze ist ab etwa sechs Monaten geschlechtsreif. Unkastriert kriegt sie ab dann jährlich zweimal, manchmal auch dreimal Junge. Pro Wurf zwischen zwei und sieben. Angenommen, es sind durchschnittlich vier pro Wurf und das zweimal im Jahr, hat diese Katze im Alter von fünf Jahren bereits 40 Katzen geboren. Vermehren sich diese ebenso ungehindert wie ihre Mutter, kommen nach zwei, drei Jahren allein aus diesem einen Stamm jährlich ein paar Hundert Katzenbabys zur Welt. 

Wo sollen sie alle leben? Wer nimmt sich ihrer an, füttert sie, sorgt für ihre Gesundheit, gibt ihnen ein Zuhause? Gemäss Schätzungen leben in der Schweiz 100'000 bis 300'000 Katzen, die sich selbst überlassen sind. Und wenn nicht die Tierschutzorganisationen Network for Animal Protection (NetAP) und der Schweizer Tierschutz (STS) seit Jahren und oft auch gemeinsam Kastrationseinsätze durchführen würden, gäbe es noch unzählige mehr von diesen vernachlässigten, häufig krank vor sich hin vegetierenden Tieren. Deshalb lassen verantwortungsvolle Katzenhalter, die nicht bewusst züchten wollen, ihre Büsis kastrieren. Freiwillig.

In Österreich seit 2005 obligatorisch
Doch das genügt nicht allen. In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die eine Kastrations­pflicht für Freigängerkatzen fordern. In Österreich gibt es diese Pflicht bereits seit 2005, in Deutschland auf kommunaler Ebene mittlerweile in rund 300 Gemeinden. Die Befürworter der Kastrationspflicht stammen vor allem aus tierschützerischen Kreisen; ihr Hauptargument: So könne man die Vermehrung der wilden Katzenkolonien und damit auch das damit einhergehende Elend stoppen. Das wollen zwar alle, denen das Tierwohl am Herzen liegt, doch ob die Kastrationspflicht das richtige Rezept ist, bezweifeln einige.

«Grundsätzlich würde unsere Organisation diese Pflicht begrüssen», sagt beispielsweise Heinz Lienhard, Präsident des Schweizer Tierschutz STS, «weil die Kastration unbestritten die Lebensqualität einer Katze erhöht. Nur lösen wir so das eigentliche Problem mit den verwilderten Katzen nicht.» Denn gerade die Katzen, für die sich niemand verantwortlich zeigt, würden damit nicht erfasst. «Sondern diejenigen, die mit Menschen in Häusern und Wohnungen zusammenleben. Solche, die – von Ausnahmen abgesehen – gut versorgt und meistens auch kastriert werden.»

Gleicher Meinung ist Caroline Mislin, Tierärztin und Vorstandsmitglied bei der Schweizerischen Vereinigung der Kleintiermedizin (SVK). «Ein Kastrationsobligatorium ändert bezüglich der herrenlosen Katzen nicht viel. Es gibt ja keine Verantwortlichen, die dieser Pflicht nachkämen.» Die SVK setze deshalb weiterhin auf die bisher eingeschlagene Strategie mit den Kastrationseinsätzen, mit vergünstigten Tarifen für die Bauernhofkatzen – und auf Aufklärung: «Man muss den Leuten immer und immer wieder klarmachen, dass es einer Katze besser geht, wenn sie kastriert wird.» Dass sie nicht Sex habe, weil sie das toll findet, sondern, weil der Trieb sie dazu zwingt. Dass eine kastrierte Katze ebenso gut Mäuse fange wie eine unkastrierte und so weiter. Dank dieser Strategie sei die derzeitige Situation einigermassen stabil, sagt Mislin. 

Jungtiere töten ist strafbar
Beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sieht man jedenfalls keine Veranlassung, die Tierschutzverordnung entsprechend abzuändern. Die Hauskatzen-Population sei bereits gesetzlich geregelt, sagt Heinrich Binder von der Abteilung Tierschutz. Die Halter seien verpflichtet, «zumutbare Massnahmen» gegen die übermässige Vermehrung ihrer Tiere zu treffen. Doch was heisst zumutbar? «Die Kastration kann eine der zumutbaren Massnahmen sein», sagt Binder. Sie könne in Einzelfällen auch von den Behörden angeordnet werden, etwa, wenn jemand so viele Katzen «hortet», dass er den Tieren nicht mehr gerecht werden kann. «Die Kastration jedoch allen Haltern vorzuschreiben, wäre ein zu grosser Eingriff in die persönlichen Rechte des Einzelnen und ausserdem weder praktikabel noch kontrollierbar.» Es gebe ja noch andere Methoden der Nachwuchsverhütung. Wer aber, wie das früher gang und gäbe war, die Neugeborenen ertränkt oder erstickt, macht sich strafbar. «Das ist Töten aus Mutwilligkeit und ausdrücklich verboten», so Binder.

Genau das aber werde immer noch häufig gemacht, sagt Esther Geisser, Präsidentin von NetAP. «Noch immer werden jährlich etwa 100'000 junge, ungewollte Kätzchen auf barbarische Weise umgebracht und unzählige ausgesetzt, weil manche Menschen es nicht für nötig finden, Geld für einen Tierarzt auszugeben. Das muss endlich ein Ende haben.» Deshalb brauche es eine Registrations- und für Freigänger-Katzen auch die Kastrationspflicht. Züchter sollten eine kostenpflichtige Bewilligung einholen müssen. «Dann hätte man die Übersicht und Kontrolle über die Katzenpopulation der Schweiz. Ein in der Sache richtiges Gesetz abzulehnen, weil der Vollzug angeblich nicht gewährleistet werden könne, kann kein Argument sein. Das liesse sich regeln.»

Geisser räumt zwar ein, dass es immer welche geben werde, die durch die Kontrolle schlüpften, «aber man hätte dann wenigstens eine Handhabe». Zum Beispiel wenn Mitglieder ihrer Organisation beim Versuch, einem Bauern die Kastration seiner ausser Kontrolle geratenen Katzenpopulation anzubieten, vom Hof gejagt werden. «Eine mit Sanktionen verbundene Kastrationspflicht könnte hier hilfreich sein.»

Bauernhöfe sind laut den Tierschutzfachleuten häufig Orte, wo sich Katzen unkontrolliert vermehren. Zum einen, weil bei manchen Bauern traditionsgemäss Katzen eher eine nebensächliche Rolle im Hofleben einnehmen, zum anderen aber auch, weil es immer wieder Leute gibt, die sich ihrer Katzen bei Bauernhöfen entledigen. So kann ein Bauer sich noch so bemühen, die Vermehrung seiner eigenen Katzen unter Kontrolle zu halten. Wenn immer wieder neue, unkastrierte Tiere bei ihm ausgesetzt werden, ist das ein Fass ohne Boden. Sobald aber eine Population zu gross wird, wandern einzelne Katzen ab und suchen sich ein neues Revier – wo sie sich wiederum rasend schnell vermehren.

Finanzielle Hilfe aus der Staatskasse?
Deshalb, meint STS-Präsident Heinz Lienhard, brauche es weiterhin die Feldeinsätze von STS und NetAP. Er fordert aber dafür – quasi als Alternative zur Kastrationspflicht – künftig finanzielle Unterstützung von Bund, Kantonen und Gemeinden. «Zwar konnten wir durch diese Einsätze in weiten Teilen der Schweiz die Zahl der streunenden Katzen stabilisieren und auch ihren Gesundheitszustand deutlich verbessern», sagt er, aber das Ziel müsse sein, ihren Bestand zu senken. «Sonst kommen wir nie auf einen grünen Zweig.» Das gelinge aber nur, wenn man die Kastrationseinsätze intensivieren könne, «und dafür braucht es die entsprechenden Mittel», sagt Lienhard. Es könne nicht sein, dass spendenabhängige Organisationen wie der STS und NetAP mit dieser Aufgabe alleingelassen würden. Sie handelten schliesslich im öffentlichen Interesse. Allein der STS wende jährlich mindestens eine Viertelmillion Franken für Kastrationen auf. 

Auch Esther Geisser von NetAP hätte selbstverständlich nichts gegen eine Unterstützung aus der Staatskasse für die Kastrationseinsätze, möchte sich primär aber weiterhin für die Kastrationspflicht starkmachen. «Wir haben schon zu viele Katzen in der Schweiz, die Tierheime sind voll und wer eine Katze möchte, wird auch mit einer Kastrationspflicht mehr als genug finden.» Da brauche es nicht noch private Hobbyzüchter, die einmal eine Katzengeburt erleben möchten. «Jedes dieser Jungen nimmt einem anderen im Tierheim die Chance, von jemandem adoptiert zu werden.» Ausserdem, meint Geisser, «könnte man die Einnahmen aus den Zuchtbewilligungen und den Bussen bei Missachtung des Gesetzes für die Kastrationen der Streunerkatzen einsetzen.»