Auf dem Vormarsch am Chestenberg
Gefährdete Gelbbauchunken breiten sich im Aargau aus
Gelbbauchunken sind gefährdete Amphibien. Am Chestenberg bei Möriken-Wildegg im Aargau siedeln sie sich wieder an. Dank lehmigen Tümpeln, die extra für sie geschaffen wurden. Eine Exkursion zu speziellen Lebensräumen.
Lehmiges Wasser, sonst nichts. «Hier habe ich vor einer Woche Gelbbauchunken gesehen», sagt Matthias Betsche. Der Geschäftsführer von Pro Natura Aargau blickt konzentriert ins Trübe. «Da, Kaulquappen!», ruft er plötzlich begeistert. Tatsächlich winden sich schwarze Punkte im Flachwasser am Rand. Vor einer Woche hat der Naturbegeisterte hier noch Gelbbauchunken gesehen. Nun der Beweis: Sie haben abgelaicht. Eine Erfolgsgeschichte!
Es dauert nur etwa zwei bis drei Tage, bis aus dem Laich von Gelbbauchunken Kaulquappen schlüpfen. «Darum suchen sie besonders kleine Tümpel auf, wo sich das Wasser recht schnell aufwärmt», erklärt der 53-Jährige. Das könnten auch mit Wasser gefüllte Traktorspurrinnen sein. Bis zur Metamorphose der Kaulquappen dauere es rund ein bis zwei Monate. Die Gelbbauchunken nähmen in Kauf, dass manche Gewässer austrocknen würden. «Der Vorteil bei den Kleinstgewässern besteht auch darin, dass Fressfeinde wie Fische fehlen», kommentiert der Naturschützer am Rand des Lehmtümpels.
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Dass Gelbbauchunken am Chestenbergwald vorkommen, ist neu. «Vor zwei Jahren entdeckte ich sie zufällig auf einem Spaziergang im Mai in einer Wasseransammlung», erzählt Matthias Betsche, der mit seiner Familie in Möriken, in der Nähe, wohnt. In Holderbank, auf der anderen Seite vom Chestenberg, befände sich ein prosperierender Bestand an Gelbbauchunken im Schümel, einer ehemaligen Grube, die heute ein Naturschutzgebiet ist.
Der Weg zu Kleinstlebensräumen
Alte Gelbbauchunken sind standorttreu, junge aber wandern ab. Darum sagte sich Matthias Betsche: Wir müssen unbedingt etwas machen. Wenn denn die Amphibien schon abwanderten, dann müssten sie auch neue Laichgewässer zur Verfügung haben. Doch ausser zufällig durch Regen gefüllten Pfützen waren nur wenig geeignete Laichgewässer vorhanden. «Auch die Tierwelt braucht Strassen», erklärt der Naturschützer. Das gehe oft vergessen. Tiere, wie beispielsweise Amphibien, wollten von A nach B, um zu jagen, zu laichen, um Sommer- oder Winterplätze zu suchen. «Die Vernetzung ist im Naturschutz ein grosses Thema.» Er spricht von Trittsteinen, die Amphibien brauchen.Solche Trittsteine wurden zwei Jahre nach der besonderen Entdeckung im Chestenbergwald angelegt, nämlich 37 Lehmtümpel.
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«Für solche Projekte braucht es viel Zusammenarbeit», erklärt Matthias Betsche. Beispielsweise mit der Abteilung Wald des Kantons, der Ortsbürger-gemeinde als Besitzerin des Waldes sowie mit dem Forstbetrieb Birretholz, der ihn bewirtschaftet. Betsche lobt Gemeinde und Forstbetrieb: «Sie zeigen, dass Naturschutz forsttechnisch sinnvoll in den Waldbau integriert werden kann. Der Betrieb engagiert sich sehr in der Vernetzung von Lebensräumen.» So sei er beim Forstbetrieb und der Gemeinde mit seinem Anliegen auf offene Ohren gestossen. Innert Kürze wurden mit Baggern 37 Tümpel im Wald geschaffen. Der Lehm sei mit der Baggerschaufel verdichtet worden. Die natürlichen Kleingewässer speisen sich allein durch Regen-, Grund- und Quellwasser. Rund herum wurde die Vegetation gelichtet, sodass die Tümpel sonnen-exponiert sind. Nach zwei Jahren wurden nun aus den im Wald versteckten Kleingewässern bereits Kinderstuben der zierlichen Unken.
«Auch die Tierwelt braucht Strassen, das geht oft vergessen.»
Matthias Betsche, Geschäftsführer Pro Natura Aargau
Matthias Betsche stapft weiter entlang eines Wegs durch den Chestenbergwald und kommentiert: «Es ist ein sehr feuchter Wald, Wasser sickert von der Krete her hinunter.» Er zeigt auf Zinnkraut oder Acker-Schachtelhalm. Wo die urzeitliche Pflanze gedeiht, ist Wasser nicht weit. Tatsächlich bildet sich dahinter ein klares Seelein mit Frischwasserzufuhr. «Die Gelbbauchunken meiden klares, tiefes Wasser mit Vegetation und Frischwasserzufuhr», kommentiert der Naturschützer. Wenig später trifft er auf eine Blindschleiche, die sich auf dem Weg sonnt. Dann ein Rascheln auf einem Baumstrunk am Wegesrand. «Eine Zauneidechse», flüstert Matthias Betsche. Auch für diese Arten seien vielfältige Strukturen wichtig. Später zeigt sich noch eine Mauereidechse.
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Matthias Betsche ist seit seiner Kindheit mit der Natur verbunden. «Frösche brachten mich in den Naturschutz», erinnert er sich. Er habe Grasfrösche von der Strasse gerettet und sie in Biotope gebracht. Schliesslich studierte er Jura und arbeitete als Anwalt. Seit vier Jahren ist er hauptberuflich für die Natur tätig und amtet als Geschäftsführer von Pro Natura Aargau. Ihn beschäftigt besonders, dass Arten im Stillen verschwinden. «Plötzlich sind sie nicht mehr da», sagt der Anwalt der Natur. Jetzt schert Matthias Betsche wieder vom Weg ab, bricht durch das Unterholz, bleibt stehen und lächelt. «Hier ist eine», murmelt er, während er in einen weiteren Tümpel mitten im Wald späht.
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Ein Wunder, wie die Unken die Gewässer finden. Sie müssen Sensorien haben, so wie auch die Wasserläufer, die über die Oberfläche huschen. Von oben gesehen unterscheidet sich die Gelbbauchunke kaum von Lehm und Schlick. Die Oberseite ist warzig und lehmfarben, nur der versteckt im Wasser liegende Bauch ist gelb-schwarz leuchtend. Die kleine, etwa fünf Zentimeter grosse Unke rudert aus der Teichmitte näher ans Ufer, wo sie sich abstützt. «Wenn ich Unken sehe, dann hüpft das Herz», sagt Matthias Betsche.
Tümpel und Licht wirken Wunder
Gelbbauchunken können pro Saison bis zu dreimal ablaichen. Dann halten sie sich an feuchten Orten im Wald oder am Waldrand auf. Vor Feinden wie Ringelnattern, Krähen, Graureihern und Iltissen müssen sie sich in Acht nehmen, trotz ihrer Warzen, die ein giftiges Sekret absondern. Apropos Iltisse: Seit die Tümpel geschaffen wurden, halten sich diese kleinen, seltenen Marderverwandten im Chestenbergwald auf. Andere Arten folgten. Matthias Betsche hat auch den Pflaumen-Zipfelfalter fotografiert. «Die Tümpel und lichten Strukturen wurden für die Gelbbauchunken geschaffen, doch es profitieren viele andere Arten davon», sagt der Pro-Natura-Geschäftsführer, der auch als GLP-Grossrat im Kanton Aargau politisiert. Er sagt zur Politik:«Naturschutz gehört in jedes Parteibuch, denn wir sind alle Teil der Natur und können ohne sie nicht leben.» Gerade der Aargau als Wasserkanton habe eine sehr grosse Verantwortung, betont Betsche. «Limmat, Reuss und Aare fliessen im Aargau mit dem Rhein zusammen. Es gibt in diesem Kanton 3000 Kilometer Fliessgewässer.» Ein Drittel davon befinde sich unter dem Boden, die Hälfte sei in schlechtem Zustand.
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Umso schöner sind da neu geschaffene Naturräume. Doch sie müssen unterhalten werden – auch die neue Tümpellandschaft am Chestenberg. Pro Natura Aargau wird helfen, auch mit Freiwilligen, dass die Tümpel nicht zuwachsen. Normalerweise würde die Natur immer wieder neue solche Pionierbiotope schaffen, doch der Platz ist beschränkt, sodass die bestehenden Lebensräume unterhalten werden müssen.
Eine Gestreifte Quelljungfer schwirrt über den Tümpel. Die Unke taucht jetzt ab und geht bei einem Wurzelstock in Deckung. Matthias Betsche stapft waldabwärts und findet sich in einer Märchenlandschaft wieder. Wasser plätschert über Kaskaden in einen klaren Teich. «Typisches Feuersalamander-Biotop», kommentiert der Naturliebhaber und macht gleich eine Larve des Feuersalamanders aus, die auf dem Grund mit ihren Kiemen fächelt. Wahrlich, der Chestenberg, das fast letzte Glied des Kettenjuras, bietet verschiedenen seltenen Amphibien Lebensraum. Was Tümpel, Teiche und Lichtungen alles bewirken!
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