Heuschrecken in Knoblauchsauce, Mehlwurm-Lasagne und Grillenguetsli mit Schokoladenglasur – was sich für viele von uns nach einer Menüfolge aus einem ekligen Albtraum anhört, könnte in nicht zu ferner Zukunft ein ganz normales Schweizer Sonntagsessen sein. Zumindest, wenn es nach dem Willen der Welternährungsorganisation FAO geht. 

Denn Ameisen, Käfer und andere Krabbeltiere haben laut zahlreichen Wissenschaftlern das Potenzial, den Welthunger zu bekämpfen. Im Jahr 2050 werden nach heutigen Schätzungen neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Um sie zu ernähren, müsste die Nahrungsmittelproduktion gewaltig zulegen. Ein Vorhaben, das angesichts des zunehmenden Drucks auf Weideflächen durch Viehherden, der überfischten Meere und des Klimawandels nur dann gelingen kann, wenn wir Nahrungsmittelproduktion und -konsum grundlegend ändern. 

Insekten zu «mästen» braucht weniger Energie, als Kühe und Säue zu züchten
«Insekten sind sehr gute Futterverwerter, darauf begründet sich ihr ökologischer Vorteil als Nahrungsmittel und Tierfutter. Grillen müssen nur knapp zwei Gramm Futter fressen, um ein Gramm zuzunehmen, oft können Insekten mit organischem Abfall gefüttert werden», wirbt die FAO. Zum Vergleich: Ein Rind benötigt rund acht Kilo Gras, Heu und Getreide, bevor es ein Kilogramm zulegt, beansprucht also deutlich mehr Futter, Land und Wasser und produziert noch dazu mehr Treibhausgase. Dabei sind Insekten mit einem hohen Gehalt an Protein, Eisen, Kalzium und Vitaminen nicht minder nahrhaft. Willkommener Nebeneffekt: Das kulinarische Interesse an Insekten könnte zu ihrem Erhalt beitragen, was wiederum für all jene Pflanzen wichtig wäre, die bestäubt werden müssen. 

Schon heute lassen sich mehr als zwei Milliarden Menschen, vorwiegend in  Asien, Afrika und Mittelamerika, regelmässig Insekten schmecken. Über 1900 essbare Arten sind bekannt. Am beliebtesten sind laut der FAO Käfer (31 Prozent), danach folgen Raupen (18 Prozent), Bienen, Wespen und Ameisen (14 Prozent) sowie Heuschrecken und Grillen (13 Prozent). 

Heuschreckenschwärme gibt es bei uns nicht, Insekten sammeln ist aufwendig
Die Idee, mehr Menschen im Westen von der Entomophagie (Verzehr von Insekten) zu begeistern, ist nicht neu. «Ein schön gebackener dicker Falter schmeckt und riecht einfach köstlich», schrieb der britische Autor Vincent Holt schon im Jahr 1885. «Was spricht gegen den Genuss eines Lebewesens, das aussen so wunderschön und innen so süss ist – ein Wesen, das sich von Nektar ernährt, der legendären Nahrung der Götter?» 

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="deba4d22-8ae2-4cc9-9f74-f6d4d553d5b7" data-langcode="de"></drupal-entity>
 Frittierte Vogelspinnen in Kambodscha.
 Bild: Sistak/Flickr/CC-BY-SA

Doch Holts Aufruf verhallte weitestgehend ungehört. Während den Menschen in Kambodscha beim Anblick von frittierten Spinnen das Wasser im Mund zusammenläuft, japanische Kinder Reiscracker mit Schlupfwespen knabbern und in Kolumbien Blattschneider­ameisen als Delikatesse gelten, denken die meisten Europäer beim Stichwort «Insekten in der Küche» weiterhin eher an den Kammerjäger als an eine leckere Mahlzeit. Dabei erscheint es eigentlich recht unlogisch, dass wir bei Maden erschaudern, für Garnelen, Austern oder Schnecken aber viel Geld ausgeben. Und wer sich einmal überwunden und zum Beispiel in den Thailandferien Insekten am Spiess probiert hat, weiss, dass oft nicht mal ihr Geschmack gewöhnungsbedürftig ist. So erinnern frittierte Spinnen an gebackenes Hühnchen, ein Mehlwurm schmeckt ähnlich wie Speck und Heuschrecken haben ein nussiges Aroma. 

Es gibt verschiedene Theorien zur Frage, warum Insekten in einigen Kulturen als Nahrungsmittel, in anderen dagegen als reines Ungeziefer gelten. Einige Ethnologen glauben, dass in Europa Maden, Käfer und Co. nur deshalb nicht in der Pfanne landen, weil sie hier nicht in grossen Schwärmen auftreten. Das Einsammeln eines Familienessens wäre enorm zeitaufwendig, die Zucht grosser Wirbeltiere ist im Vergleich einfacher und wirtschaftlicher. Das könnte sich dank Insektenfarmen und globalem Handel aber theoretisch jederzeit ändern. «Die meisten essbaren Insekten werden in der Natur gesammelt. Das Konzept, Insekten für den menschlichen Verzehr zu züchten, ist relativ neu, es gibt aber inzwischen Heuschrecken-Farmen in Laos, Thailand und Vietnam», schreibt die FAO.

Die Organisation schätzt das Risiko als gering ein, dass sich über solche Farmen auch für den Menschen ansteckende Krankheiten ausbreiten – wobei die Gefahren solcher Krankheitsübertragungen noch nicht bis ins Detail recherchiert sind. Allerdings könnte die Massenhaltung von Insekten andere Probleme mit sich bringen. Wenn Heuschrecken, Kakerlaken und Co. ausbüxen würden, könnte das erhebliche Folgen für das Ökosystem haben – ganz besonders, wenn den Insekten fernab der Heimat die Flucht gelingt. 

In der Schweiz tut sich der Bund schwer, Insekten als Nahrungsmittel zuzulassen
Doch bevor die FAO und Insektenzüchter solch praktische Probleme in Angriff nehmen, muss zunächst einmal die Ekelbarriere im Kopf der meisten Westeuropäer überwunden werden. Dieser Aufgabe widmen sich einige junge Unternehmen, die Insekten als Lebensmittel züchten und verkaufen. In Städten wie Paris, Berlin, Amsterdam oder London werden Grillen und Konsorten schon in speziellen Restaurants serviert, in diversen Kochkursen kann man lernen, wie man die Krabbeltiere selber schmackhaft zubereitet. 

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="f98a6100-9cff-46e6-b2e0-b81072b44e32" data-langcode="de"></drupal-entity>
 Käfer und Co. gelten als sehr nahrhafte Mahlzeiten.
 Bild: unnormalized/Flickr/CC-BY-SA

Louis Champod aus Lonay VD will mit seinem kürzlich gegründeten Verein «Grimiam» das Verzehren von Insekten salonfähig machen. Dabei steht der Waadtländer bislang aber auch vor einer gesetzlichen ­Hürde. Denn hierzulande ist die Verwendung von Insekten zur «Lebensmittelgewinnung» verboten, auch wenn in den letzten Jahren vereinzelt «Markttestbewilligungen» für ­spezielle Anlässe in Museen und Ausstellungen erteilt wurden. «Falls wir für ein neuwertiges Lebensmittel wiederholt Bewilligungen ausstellen, dann umschreiben wir nach einer Weile das Lebensmittel in einer Verordnung. Allerdings ist noch ungewiss, wie wir Insekten umschreiben könnten, damit die Lebensmittelsicherheit gewährleistet ist», sagt Sabina Helfer vom Bundesamt für ­Gesundheit. 

Vor Jahren gab es schon einen Vorstoss zur Gesetzesänderung, den der Bundesrat aber ablehnte. Begründung: Die schwierige Abgrenzung von unerwünschten Schädlingen. «Bisher liegen europaweit nicht genug wissenschaftlichen Studien vor, die aufzeigen, welche Insekten man bedenkenlos essen kann. Insekten könnten Krankheitserreger tragen, toxische Stoffe enthalten oder mit Rückständen belastet sein», sagt Helfer. 

Wer sich von diesen Argumenten nicht abschrecken lässt, darf in der eigenen Küche Insekten braten, grillen oder kochen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Um die Tiere zu töten, werden sie in der Regel in die Tiefkühltruhe gelegt. Danach sind sie bereit für die Pfanne. Da man in freier Wildbahn unter Umständen Insekten erwischt, die unter Artenschutz stehen oder die mit Pestiziden vergiftet sind, sollte man essbare Arten entweder selber im Terrarium züchten oder im Zoogeschäft kaufen.

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="715568be-6281-47fe-9bdc-96b2d0843de7" data-langcode="de"></drupal-entity>

 Literaturtipp:

Ingo Fritzsche und Bubpa Gitsaga: «Das Insektenkochbuch – der etwas andere ­Geschmack», gebunden, 80 Seiten, NTV Verlag, ISBN 978-3-86659-127-1, ca. Fr. 28.–