Seit 23 Jahren verzichtet Renato Pichler auf tierische Produkte und lebt vegan. Es sei ihm schon als Kind seltsam vorgekommen, dass Menschen Tiere töten und essen müssten, um selber überleben zu können, erzählt der heute 47-Jährige: «Dass wir Tiere gerne haben,  aber sie aufessen, fand ich irgendwie unlogisch.» Damals, in den 1970er-Jahren, sei die vegetarische Ernährung hierzulande aber noch etwas Exotisches gewesen – ganz zu schweigen von einem veganen Leben. «Ich kannte niemanden, der auf Fleisch verzichtete. Es hiess, wenn man kein Fleisch esse, werde man krank.» 

Durch Zufall sei er auf ein Buch gestossen, in welchem der Autor nebenbei darauf hingewiesen habe, dass er Vegetarier sei: «Da dachte ich mir: Wenn der das überlebt, kannst du das auch.» So wurde Pichler mit 18 Jahren Vegetarier – und musste Kochen lernen. Die Eltern hätten kein Verständnis für seinen Entscheid gehabt, sagt er rückblickend und fügt lachend an: «Meine Mutter wundert sich heute noch, dass ich gesund bin und lebe.» 

Sechs Jahre später ging er noch einen Schritt weiter und lebt seither vegan: «Ich merkte, dass die Milchproduktion in Bezug auf Tierschutz nicht minder problematisch ist.» Statt «Ohne Fleisch wirst du krank» habe es in seinem Umfeld nun einfach geheissen «Ohne Fleisch ginge ja noch. Aber ohne Milchprodukte wirst du ganz bestimmt krank», erinnert sich Pichler. 

Den Tieren und der Natur zuliebe
Krank sei er nicht geworden. Im Gegenteil. «Ich werde immer wieder gefragt, ob ich keine Angst vor Mangelerscheinungen hätte. Und das von Menschen, die hauptsächlich Fleisch und Milchprodukte konsumieren und dadurch kaum Nahrungsfasern, Vitamin C oder Folsäure zu sich nehmen.» Vitamin B12 sei das Einzige, das ein Veganer bei ausgewogener Kost nicht natürlich zu sich nehme: «Darauf muss man achten.» Viele Veganer nehmen es in Tablettenform zu sich.

Als Gründungsmitglied, Präsident und Geschäftsführer des Vereins Swissveg sowie Vorstandsmitglied der Europäischen Vegetarier Union (EVU) gilt Pichler als der Experte für alle Fragen zur pflanzenbasierten Ernährung. Er tritt immer wieder an Tagungen und in TV-Sendungen auf und hat im letzten Jahr sein gesammeltes Wissen im Buch «Veganize your Life» veröffentlicht. 

Den Entscheid auf tierische Produkte zu verzichten habe er den Tieren und der Natur zuliebe getroffen, sagt Pichler. Wobei das Wort «Verzicht» sein heutiges Lebensgefühl nicht trifft: «Ich ernähre mich sehr viel abwechslungsreicher als vorher und habe zudem viele neue Nahrungsmittel wie etwa Quinoa oder Bulgur kennengelernt.» Insgesamt sei sein Speiseplan stark saisonal: «Meine Frau und ich haben einen grossen Garten und essen, was reif ist. Im Spätsommer haben wir beispielsweise viele Zucchetti.» Dass er persönlich gerne Süsses esse, komme ihm entgegen: «Ich habe viel lieber Früchte als Salziges wie Fleisch oder Käse.»

«Einfluss der Ernährung ist gross»
Zwar achtet Pichler auch beim Kauf von Kleidern, Schuhen und anderen Produkten auf eine rein pflanzliche Zusammensetzung; die Ernährung hält er aber für besonders wichtig: «Die meisten Menschen essen drei Mal am Tag. Entsprechend gross ist der Einfluss der Ernährung auf die Umwelt.» 

Insbesondere bei Fertig-Produkten sei es allerdings nicht immer einfach, die verschiedenen Inhaltsstoffe zweifelsfrei zu identifizieren. Aus diesem Grund habe «sein» Verein das Veg-Label entwickelt. Dieses wird heute international zur Deklaration von vegetarischen und veganen Produkten verwendet. «Wir machen es den Konsumenten möglichst einfach.» Blieben Fragen offen oder Zweifel bestehen, könne man sich auch an die Hersteller wenden, sagt Pichler. Coop und Migros etwa, die beide eine vegane Produkt-Linie haben, gäben in der Regel gerne Auskunft. Dabei müsse man sich aber bewusst sein, dass die Angaben immer nur für den Moment gültig seien: «Die genaue Zusammensetzung der Produkte kann sich jederzeit ändern.»

Bei Kleidern und Schuhen habe er die Erfahrung gemacht, dass ein Grossteil des Verkaufspersonals nicht so gut Bescheid wisse über die Inhaltsstoffe ihrer Produkte. Um herauszufinden, ob die Hose beziehungsweise das Hemd ohne tierische Stoffe hergestellt wurde, müsse man die jeweilige Etikette studieren. Wem das zu kompliziert ist, kann Modelinien wie «Favorite Fair» berücksichtigen. Diese vegane Marke hat keinerlei Produkte aus Leder, tierischen Fasern wie Wolle und Seide oder Daunen in ihrem Sortiment und verzichtet auch auf Perlmutt- oder Hornknöpfe. 

Dass nur rund 0,5 bis 1 Prozent der Schweizer Bevölkerung vegan leben, frustriere ihn nicht, sagt Pichler.  «Die Tendenz stimmt und macht mir Freude. Immer mehr Leute übernehmen Verantwortung.» Dazu gehöre nicht zuletzt, dass man sich über die Auswirkungen seines Verhaltens im Klaren sei: «Ich kenne kaum jemanden, der Schlachthöfe super findet und regelmässig da hin möchte – und trotzdem wird Fleisch gekauft und die Branche damit finanziert.»

Unterschiedliche Ansichten und Ess-Gewohnheiten seien für ihn kein Grund, Freundschaften zu beeenden oder gar nicht erst einzugehen. Durch die langjährige intensive Auseinandersetzung mit der veganen Lebensweise habe er aber tatsächlich viele gleichgesinnte Kontakte aufgebaut. Auch seine Frau hat er über das gemeinsame Engagement im Verein Swissveg kennengelernt. 

«Ich musste noch experimentieren»
Kontakte zu anderen Veganern seien nicht zuletzt in der Zeit der Umstellung von «normal» auf vegetarisch oder von vegetarisch auf vegan wichtig, ist Pichler überzeugt: «Man kann Probleme ansprechen und bekommt neue Ideen.» Eine Möglichkeit, sich schweizweit zu vernetzen, biete der Verein mit regelmässigen Treffen und einem vierteljährlich erscheinenden Heft mit nützlichen Informationen. Heute sei die vegane Lebensweise nicht mehr kompliziert: «Ich musste noch experimentieren und nach alternativen Nahrungsmitteln suchen, etwa für Rahm und Käse. Heute gibt es alles auch in vegan.» 

Die Umstellung sei das einzig Schwierige. «Wenn die einmal gelungen ist, ist das Leben überhaupt nicht mehr anstrengend.» Wichtig sei, sich während der Umstellung nicht darauf zu fixieren, was man verloren, sondern auf das, was man neu dazugewonnen habe, rät Pichler. 

 Seine Eltern hat der überzeugte Veganer übrigens bis heute nicht überzeugt. Mittlerweile hätten sie aber mitbekommen, dass die vegane Lebensweise immer populärer werde: «Inzwischen hat meine Mutter die Idee aufgegeben, dass ich wieder einmal ein Stück Käse esse.»