Verletzungen durch Rasenmäher, von Mardern angefressene Panzer, verformte Schnäbel durch falsches Futter – bei Ruth Huber wurden schon viele schlimm zugerichtete Schildkröten abgegeben. Die meisten von ihnen konnten erfolgreich verarztet, gesund gepflegt und irgendwann an ein schöneres Zuhause vermittelt werden. Dafür sorgt Ruth Huber jeweils höchstpersönlich. «Wenn jemand eine Schildkröte bei mir holt, will ich zuerst ein Bild des Geheges sehen», so ihre Voraussetzung. Die Präsidentin der IG Schildkrötenfreunde Aargau weiss genau, was die Tiere brauchen, um sich wohlzufühlen. Wenn dies nicht der Fall sei, könne es immer wieder zu Ausbruchsversuchen kommen. «Wenn man eine Schildkröte findet, ist es deshalb wichtig, sich bei der Schweizerischen Tierschutzmeldezentrale zu melden», betont Huber. Immerhin 10 Prozent der Tiere können so wieder an ihre ursprünglichen Besitzer zurückvermittelt werden. Diesen wird dann oftmals empfohlen, ihr Gehege etwas abwechslungsreicher zu gestalten, damit sich die instinktiven Fluchttiere besser verstecken können, wie sie es auch in der Wildnis tun würden.

Während es bei der Gestaltung der Schildkrötengehege manchmal an Engagement mangelt, werde beim Futter tendenziell eher zu viel Aufwand betrieben, weiss Huber aus Erfahrung. «Manche geben ihren Schildkröten Beeren oder Tomaten, was eben nicht ideal ist», so die Expertin. «Dabei brauchen Griechische Landschildkröten nicht mehr als Kräuter und Gras, denn in Griechenland gibt es für sie auch nicht viel mehr zu fressen.» Die erwähnte, etwa handgrosse Schildkrötenart mit ihrem typischen hell- und dunkelbraun gemusterten Panzer gilt nach wie vor als mit Abstand beliebteste Haustierrasse.

Schildkröte gefunden?
Nehmen Sie das Tier mit, denn die wenigsten Schildkröten kommen in unserer Umwelt gut zurecht. Manche – invasive – Rassen gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch die heimische Fauna.
Melden Sie den Fund bei der Schweizerischen Tiermeldezentrale. Viele Schildkröten sind nur von zuhause ausgebrochen und können so rasch wieder zu ihren Besitzerinnen oder Besitzern zurückgebracht werden.

Im Garten des Ehepaars Huber in Hallwil (AG) gibt es jedoch noch viele weitere Arten zu bestaunen: von der beinahe metergrossen Spornschildkröte bis zur wenige Zentimeter kleinen Baby-Sumpfschildkröte gelangten schon die unterschiedlichsten Exemplare in ihre Obhut. Die eigenen Schildkröten hausen in naturnah gestalteten Gehegen. Zwischen den vielen Büschen, Gräsern und Blumen sind die Reptilien kaum je zu sehen. Nur gelegentlich ragen ein paar Köpfe aus einem Teich, oder es sonnt sich ein Panzer an einem warmen Plätzchen.

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Die Gehege der Vermittlungstiere hingegen sind pragmatischer eingerichtet. Vor allem die der Männchen, die wegen ihrem oft aggressiven Verhalten in Zweiergehegen gehalten werden müssen. Bei jedem Neuankömmling testen die Hubers, mit wem sich die Schildkröten vertragen. «Wenn eine Gruppe funktioniert, lassen wir sie zusammen», sagt sie. «Und vermitteln sie auch gemeinsam weiter.» Denn ihre Auffangstation ist nicht als langfristige Bleibe gedacht, sondern nur als Zwischenstopp. Priorität haben Notfälle – wie eben Fundtiere. Will man seine eigenen Schildkröten loswerden, landet man auf einer beinahe endlosen Warteliste. «In ihrem ursprünglichen Zuhause ist man ja immerhin für sie eingerichtet», begründet Huber. Hat sie keinen Platz mehr zur Verfügung, hört sie trotzdem manchmal den Satz: «Dann muss ich die Schildkröte wohl einschläfern lassen.» Solche Drohungen nerven die Tierfreundin: «Ja, wir sind eine Auffangstation, aber auch die ist irgendwann voll.»

Kaum Plätze für Heimatlose

Das Problem: In der ganzen Schweiz gibt es nur eine Handvoll Auffangstationen für Schildkröten. Die mit Abstand grösste liegt in Chavornay (VD) mit 3000 bis 4000 Plätzen. Doch auch diese nehme zurzeit kaum noch Tiere auf, wie Ruth Huber erzählt. Es mangele nicht an Interessierten, die selbst eine Station gründen wollen, um die Situation zu entschärfen. Aber: «Man braucht nicht nur Platz, sondern auch viel Wissen über die Tiere», betont die erfahrene Schildkrötenhalterin. Schon die Unterscheidung von Arten und Geschlechtern ist für Laien komplex. Besonders ärgerlich findet sie aber, dass es noch immer Leute gibt, die trotz der vielen heimatlosen Schildkröten weiterzüchten. «Ich halte das für verantwortungslos.»

Vom gefragten Exoten in den Überschuss

Bis vor 30 Jahren haben die Hubers selbst noch im grossen Stil Schildkröteneier ausgebrütet. Die Nachfrage sei damals viel grösser gewesen als das Angebot, erzählt Ruth Huber. «Wir wollten damit verhindern, dass noch mehr Schildkröten aus dem Ausland importiert werden.» Doch heute ist die Situation eine gänzlich andere. «Unser Rekord war 344 aufgenommene Schildkröten in einem Jahr», erinnert sich die Aargauerin. Vor ein paar Jahren sei es aber auch noch einfacher gewesen, die Tiere weiterzuvermitteln. Heute hingegen fehlt es oft an Interesse – oder am passenden Garten. Besonders häufig geben ältere Menschen ihre Tiere ab, oder solche, die nach einer Trennung aus dem Haus mit Garten ausziehen müssen. Bei einem Tier, welches locker über 50 Jahre alt wird, kann dies schon mal vorkommen.

Infos zur Haltung
Die regionalen Sektionen der Schildkröten-Interessensgemeinschaft Schweiz (SIGS) organisieren regelmässig kostenlose Vorträge zu den Themen Gehegebau, Fütterung, Überwinterung etc.

Auch einige von Ruth Hubers eigenen Schildkröten sind bald ein halbes Jahrhundert alt. Ihre allererste Schildkröte trägt den altehrwürdigen Namen «Karl der Kühne». Der Senior hatte bei der Begegnung mit einem Mähwerk früh ein Bein verloren. Huber nahm die Schildkröte in ihre Obhut und kümmerte sich, bis sie über dem Berg war. «Irgendwann begannen mir auch andere Leute ihre Schildkröten zu bringen und so wurden es mit den Jahren immer mehr», erzählt die Tierfreundin. Mittlerweile gibt es kaum noch eine Ecke im grossen Garten der Hubers, die nicht von einer Schildkröte bewohnt wird. Mindestens zweieinhalb Stunden pro Tag nimmt die Pflege der rund 90 Tiere in Anspruch. «Da ist das Reinigen eines Weihers oder die Pflege einer Verletzung noch nicht mitgerechnet», betont Ruth Huber. Auf die Frage, wie sie dies finanziell regelt, antwortet sie mit einem Lächeln: «Es hat noch immer gereicht.» Notfalls habe sie sich immer auf ihr grosses Netzwerk an Tierliebhabern verlassen können. Glücklicherweise unterstützen sie auch oft Leute, die gefundene Schildkröten bei ihr abgeben. Noch mehr freut sich Huber aber, wenn diese bei der Übergabe einen solchen Narren an den Tieren fressen, dass sie gleich ein eigenes Gehege bauen – und damit weiteren Schildkröten ein Zuhause schenken.